Der lettische HSV-Stürmer spricht über Killerinstinkte, die Lust am Toreschießen und den vielleicht wertvollsten Tipp seiner Karriere.

Hamburg. Er wurde als Torjäger vorgestellt - und er löste die Prognosen der HSV-Verantwortlichen ein. In Stuttgart erzielte Artjoms Rudnevs seinen elften Saisontreffer. "Ich habe in der Champions League für Lech Posen gegen Juventus Turin ein besonderes Tor erzielt", sagt der Lette, "ansonsten fällt mir kein schöneres Tor ein."

Hamburger Abendblatt: Herr Rudnevs, wie ist es um Ihr Deutsch bestellt?

Artjoms Rudnevs: Oha, noch nicht so gut. Ich lerne einmal die Woche zusammen mit Milan Badelj. Aber Deutsch ist eine sehr schwierige Sprache, ich fühle mich noch nicht ganz sicher. Lassen Sie uns lieber auf Englisch unterhalten.

Aber Sie kennen die Bedeutung des Wortes "Torjäger", oder?

Rudnevs (lacht): Klar. Das ist derjenige, der die Tore macht.

Welche Bedeutung haben Tore für Sie?

Rudnevs: Ein Tor zu schießen ist das Schönste, was einem Fußballer passieren kann. Und es ist mein Job zu treffen. Das begleitet mich schon seit meinem siebten Lebensjahr. Damals habe ich mit Fußball angefangen.

Als Stürmer?

Rudnevs: Nein, erst hinten, dann im Mittelfeld. Aber irgendwann habe ich den Ball genommen und bin, weil ich ziemlich schnell war, einfach von hinten mit dem Ball am Fuß durch alle Gegner durchgelaufen und habe getroffen. Seitdem spiele ich vorne.

Bei Ihren Stationen in Ungarn und Polen wurden Sie Torschützenkönig. Wie viele Tore können wir beim HSV erwarten?

Rudnevs: Solche Ziele habe ich nicht. Ich spreche nicht über Tore, sondern mache sie lieber erst. Ich will mich entwickeln. Dafür muss ich nicht reden, sondern hart arbeiten.

Weil Sie weniger über das Talent als den Fleiß zum Torjäger geworden sind?

Rudnevs: Eindeutig! Ich habe kein Übermaß an Talent, aber ich bin fleißig und habe einen großen Willen.

Und den viel besagten "Killerinstinkt" eines Stürmers.

Rudnevs: Klar, den braucht man irgendwie. Aber was ist dieser Instinkt? An der richtigen Stelle zu stehen, wenn der Ball kommt? Natürlich braucht man auch Glück. Aber ich glaube, dass man das lernen kann. Nach diesem Motto trainiere ich und entwickele ich mich. Ich möchte mich auf einen Top-Level bringen, dafür reicht nicht nur Instinkt. Ich denke in jeder freien Sekunde über Torszenen nach und darüber, was ich in den entsprechenden Situationen machen würde. Ich bereite mich mental auf die Spiele vor, bin fokussiert.

Was denken Sie in dem Moment, in dem Sie realisieren, dass Sie getroffen haben?

Rudnevs: Das weiß ich gar nicht, da geht etwas ab, was ich nicht beeinflussen kann. Da mache ich oft instinktive Dinge. Vor dem Stuttgart-Spiel hatte ich die Ahnung zu treffen und habe mir einen Jubel ausgedacht. Ich wollte zu den Fans laufen. Am Ende habe ich mit meinen Kollegen gefeiert und bin zum Vorlagengeber Dennis Diekmeier gelaufen. So viel dazu. Der Moment des Tores, das sind Gefühlswellen, die unkontrollierbar sind. Das ist pures Adrenalin.

Tore schießen ist Ihr Elixier?

Rudnevs: Nein, das ist nur meine Familie. Ich muss mich wohlfühlen, um in Form zu kommen. Und dafür brauche ich meine Frau und meine Kinder. Das Wohlgefühl hat in Hamburg zu Beginn gefehlt, als meine Familie noch nicht da war. Jetzt ist das anders. Und ja, jedes Tor macht mich besser. Treffe ich, fängt mein Blut an zu kochen und ich kann fühlen, wie ich stärker werde. Dann will ich gar nicht mehr aufhören und ärgere mich jedes Mal über den Schlusspfiff. Ich brauche als Fußballprofi neben meiner Familie nichts mehr als Tore, um mich weiterzuentwickeln. Die Kette ist leicht: Familie - Wohlfühlen - Tore machen - noch wohler fühlen - dadurch noch mehr Tore machen und noch wohler fühlen, was den Erfolg mit der Mannschaft wahrscheinlicher macht. Ist der da und der Rest auch, ist alles gut. Dann ist der Moment perfekt.

Haben Sie mal überlegt, was passiert wäre, wenn Sie als Kind nicht getroffen hätten?

Rudnevs: Dann wäre ich wohl kein Profi geworden ... (lacht). Zumindest keiner, der sich so sehr freuen darf. Damit das klar ist: Ich bin ein Teamplayer und weiß, dass jeder Einzelne auf dem Platz gleich wichtig ist. Ich habe nur das Glück, derjenige sein zu dürfen, der trifft. Dass ich mehr gefeiert werde als andere, nehme ich nicht persönlich. Aber es ist ein unfassbares Glücksgefühl, mit einem Treffer der Mannschaft zu helfen und Fans glücklich zu machen. Wenn Kinder mit meinem Trikot herumlaufen, macht mich das stolz.

Gibt es ein Torgeheimnis?

Rudnevs: Wenn ich ein Torgeheimnis habe, dann, dass es mir dabei egal ist, ob ich beim Sieg treffe oder vorbereite. Bei meiner ersten Profistation in Ungarn hat mir ein Stürmerkollege den vielleicht wertvollsten Tipp meiner Karriere gegeben. Damals schoss ich aus allen Lagen. Ich war ein egoistischer Stürmer, was oft gelobt wurde. Aber mein Kollege sagte mir, ich solle abgeben, wenn jemand anders besser postiert sei, weil derjenige sich dafür irgendwann revanchieren würde. Und so ist es. Aber vor allem wurde mir damals klar, dass sich der gemeinsame Erfolg mindestens genauso schön anfühlt wie ein eigener Treffer. Erst seitdem bin ich der Artjoms Rudnevs von heute.