Der HSV-Südkoreaner, Rudnevs und Aogo sorgen für die Belohnung in einem leidenschaftlich geführten Derby gegen Werder Bremen.

Hamburg. So mir nichts, dir nichts wollte Thorsten Fink den vollbesetzen Presseraum im ersten Stock der Imtech Arena am frühen Sonntagabend nicht verlassen. Während nicht mal zehn Meter weiter Werders enttäuschter Trainer Thomas Schaaf noch Minuten später mehr als 20 Medienvertretern Bremens 2:3-Derbyniederlage erklären musste, hatte der HSV-Coach bereits alles über das starke Spiel seines Teams gesagt, was es zu sagen gab. "Das war ein richtiger Derbyfight, der großen Spaß gemacht hat", sagte Fink zum Schluss, streckte aber noch einmal bewusst die breite Brust raus, riss die Arme hoch, spannte die Muskeln an und machte neben dem Pressepult eine Siegerpose nach dem Motto: Seht alle her, wir haben gerade Werder Bremen weggehauen!

Die Freude über den ersten Derbysieg nach drei Niederlagen in Folge war nachvollziehbar. Fink hatte sich bereits vor dem Duell einiges einfallen lassen, um die Besonderheit dieses 98. Nordderbys hervorzuheben. Nachdem er der Mannschaft zum Heißmachen eine zusammengeschnittene DVD mit Hamburger Höhepunkten aus der Derbygeschichte gezeigt hatte, las er kurz vor dem Anpfiff seinen Spielern noch ein paar motivierende Sätze aus Paulo Coelhos Bestseller "Sei wie ein Fluss, der still die Nacht durchströmt" vor. "Ich wollte einfach mal etwas Besonderes machen", erklärte Fink, der zudem an der Kabinentür ein spezielles Plakat aufhängen ließ. Auf dem derben, aber nicht ganz ernst gemeinten Bild, das unter HSV-Fans schon in den vergangenen Tagen bei Facebook die Runde gemacht hatte, hält ein kleiner Junge mit HSV-Pullover einen Kampfhund an der Leine, zeigt nach vorne und sagt: "Da ist der Bremer!" Die Idee hinter all den finkschen Psychotricks: Anders als in der Vorwoche in Nürnberg (1:1) sollte seine Mannschaft nicht noch einmal die erste Halbzeit verschlafen.

Anders als in Nürnberg verschlief der HSV diesmal nur neun Minuten

Und tatsächlich erlaubten sich Finks Profis an diesem Wochenende lediglich, die ersten neun Minuten zu verschlafen, was der Erzrivale aus Bremen aber eiskalt ausnutzte: Flanke Aleksandar Ignjovski, Heiko Westermann zögert, Jeffrey Bruma steht alleine gegen Sokratis und Assani Lukimya, der in bester Uwe-Seeler-Manier mit dem Rücken zum Tor zur frühen Führung einköpft. Da sind sie, die Bremer!

Doch anders als in Nürnberg waren es diesmal die Hamburger, die nach kurzer Schockstarre in Person von Heung Min Son die richtige Reaktion auf dem Platz zeigten. Nach sehenswertem Pass von Milan Badelj legte sich der in England begehrte Südkoreaner den Ball nahe der Grundlinie zurecht, tanzte Gegenspieler Gebre Selassie aus und drosch den Ball mit Vollspann aus spitzem Winkel in das rechte Toreck (23.). "Das war vielleicht das schönste Tor meiner bisherigen Karriere", sagte der erst 20 Jahre alte Stürmer, "aber schießen kann ich ja." Und wie. "Sonny hat zwei echte Goldfüßchen. Er hat diese Gabe, genau dahin zu schießen, wo er auch hinschießen will", lobte Motivationskünstler Fink. Da sind sie dann also, die Hamburger!

Die Höhepunkte des unterhaltsamen Nordderbys hatten sich die Protagonisten auf dem Rasen allerdings auch an diesem Wochenende für die Zeit nach dem Pausentee aufgehoben. "Ich habe der Mannschaft in der Halbzeit gesagt, dass wir große Chancen haben, dieses Spiel zu gewinnen, wenn wir im zweiten Durchgang den Druck erhöhen", sagte Fink, der wie schon in Nürnberg erneut die richtigen Worte gefunden zu haben schien. So dauerte es gerade mal 28 Sekunden nach dem Wiederanpfiff, ehe ausgerechnet Dennis Aogo mit seinem ersten Bundesligator für den HSV und unter Mithilfe seines Oberarms (siehe unten) zur 2:1-Führung die Richtung vorgab. "Wir haben uns in dieses Spiel so richtig reingebissen", sagte in Anlehnung an das Kabinentür-Plakat Marcell Jansen, der gemeinsam mit Aogo eine linke Angriffsseite der Extraklasse bildete.

Aogos Treffer hatte für die Hamburger tatsächlich einen regelrechten Hallo-Wach-Effekt. Es folgten die vielleicht besten Minuten dieser Saison, die Artjoms Rudnevs nach herrlicher Vorarbeit Aogos mit dem Treffer zum 3:1 krönte (54.). "Wir haben heute bis zum letzten Tropfen gefightet", sagte Rudnevs, der sich bereits über seinen achten Saisontreffer freuen durfte, "dieser Sieg macht uns richtig stolz."

Gefährdet wurde der Erfolg nur kurzzeitig durch Sokratis' Anschlusstreffer zum 3:2 (54.), bei dem sich ausnahmsweise HSV-Torhüter René Adler ("Mein Fehler!") eine kurze Auszeit gönnte. Der anschließend zu erwartende Bremer Sturmlauf blieb allerdings weitgehend aus, ganz im Gegenteil. Während sich die Hamburger vor 54.758 Zuschauern weiter Chance um Chance erspielten, fiel Werder hauptsächlich durch die beiden berechtigten Platzverweise gegen Clemens Fritz (80.) und Marko Arnautovic (90.) in der Schlussphase auf.

"Wir haben diesmal die Nerven behalten, die Bremer eben nicht", sagte Jansen, der sich über das Erreichen des in der Winterpause gemeinsam erklärten Ziels freuen durfte: "Wir wollten besser als in der Hinrunde aus den Startlöchern kommen. Das ist uns wohl gelungen." Eine Erkenntnis, die auch Trainer Fink unterstrich: "Vor einem Jahr wären wir nach dem frühen 0:1 noch untergegangen. Wir sind jetzt einfach viel gefestigter als damals."

Gegen Frankfurt soll der Wunschstart perfekt gemacht werden

Und Paulo Coelho? Was hätte der brasilianische Schriftsteller wohl zu dem teilweise begeisterten Derbysieg des HSV gesagt? "Deine Zeit wird kommen, aber du weißt nicht, wann - daher lebe so intensiv wie möglich." So steht es jedenfalls in dem von Fink bemühten Buch geschrieben. Ob aber die Zeit des HSV in dieser Saison tatsächlich gekommen ist, dürfen die Hamburger bereits am kommenden Sonnabend (18.30 Uhr, Sky und Abendblatt-Liveticker)im Verfolgerduell gegen Aufsteiger Eintracht Frankfurt beweisen. Sieben Punkte aus den ersten drei Spielen, so lautete das von Trainer Fink in der Winterpause vorgegebene interne Ziel.

Da sind sie dann, die Frankfurter!

Statistik

Hamburger SV: R. Adler – Diekmeier, Bruma, H. Westermann, M. Jansen – Badelj – Skjelbred (62. T. Arslan), Aogo – van der Vaart (83. Rincón) – Son (90. Rajkovic), Rudnevs

Trainer: Fink

Werder Bremen: Mielitz – Gebre Selassie (56. M. Arnautovic), Lukimya, Sokratis, L. Schmitz – Fritz – Ignjovski, Junuzovic, Ekici (89. Prödl), De Bruyne – N. Petersen

Trainer: Schaaf

Schiedsrichter: Thorsten Kinhöfer (Herne) – Zuschauer: 54.758

Tore: 0:1 Lukimya (9.), 1:1 Son (23.), 2:1 Aogo (46.), 3:1 Rudnevs (52.), 3:2 Sokratis (54.)

Gelbe Karten: R. Adler, Rudnevs – N. Petersen

Gelb-Rot: Keine – Fritz (80./wiederholtes Foulspiel); M. Arnautovic (90.+1/Unsportlichkeit)