Nach seiner schwierigen Hinrunde sieht der HSV-Profi den Fußballjob sehr viel gelassener. Fink plant mit ihm im linken Mittelfeld.

Abu Dhabi. Dennis Aogo nimmt sich Zeit. Bewusst langsam schlendert der HSV-Profi vom Hotelrestaurant zurück zum Fahrstuhl, schaut aus dem Fenster auf die prachtvolle Shikh-Zayed-Moschee auf der anderen Seite des Khor-Al-Maqta-Kanals, bleibt bei den ausgestellten Kunstwerken in der Lobby des Fünf-Sterne-Hotels Fairmont Bab Al-Bahr kurz stehen und fragt schließlich: "War das so in Ordnung?" Und natürlich war es in Ordnung.

Die Frage richtete sich an einen TV-Journalisten des NDR, der Aogo gebeten hatte, ein paar atmosphärische Aufnahmen, oder wie man im Fernseh-Jargon sagt: kurze Einspieler, mit ihm zu drehen. Der öffentliche Fokus, das wird nicht nur im luxuriösen Eingangsbereich der HSV-Herberge in Abu Dhabi deutlich, ist nach längerer Pause wieder voll auf den einstigen Nationalspieler gerichtet. Und Aogo, der in der Hinrunde an einem rätselhaften Erschöpfungssyndrom litt und dadurch lediglich zu sieben Spielen von Anfang an kam, hat nicht mal etwas dagegen. "Durch das vergangene Jahr bin ich etwas gelassener geworden. Ich habe meine innere Balance gefunden", sagt der 25-Jährige, als er sich wenig später lächelnd in einen schwarzen Ledersessel in der Lobby beim Abendblatt-Termin fallen lässt.

Die wochenlange Zwangspause war für ihn die wichtigste Zeit seines Lebens

Wirklich lustig war es allerdings nicht, in welcher Situation sich Aogo Mitte der Hinrunde plötzlich wiederfand. In den vergangenen Monaten musste er bereits häufiger erklären, was da im September und Oktober überhaupt mit ihm los war. Schlechte Blutwerte wurden angeführt. Der Fußballer berichtete, wie auch sein Kopf davon belastet wurde, dass sein Körper nicht mehr so recht funktionierte. Der Schritt in eine Rehaklink in Innsbruck, über den zunächst öffentlich nicht berichtet werden sollte, war die logische Folge. Es waren harte Wochen für den gebürtigen Karlsruher, der nach seiner Rückkehr nach Hamburg daraus auch nie einen Hehl gemacht hat. Doch rund 4900 Kilometer von seiner Wahlheimat entfernt scheint Aogo so richtig befreit über die härteste, aber nach eigener Aussage auch "wichtigste Zeit in meinem Leben" reden zu können. "Ich habe einen Weg gefunden, zu mir selbst zu finden", sagt er, streicht sich über seine zahlreichen Tätowierungen auf den Armen und schaut dann von einem auf den anderen Moment sehr ernst drein, "ich bin zufriedener und ausgeglichener als früher. Früher bin ich den Erwartungen anderer hinterhergelaufen."

Über all das hat Aogo in der Weihnachtszeit auch in seiner Heimatkirche in Karlsruhe, der Arche, mit der Gemeinde offen gesprochen. "Ich bin fest davon überzeugt, dass sehr viele Menschen ihren Weg noch suchen", sagt der Fußballer, der seine Erfahrungen - auf und abseits des Platzes - gerne weitergeben will. Auch in der Mannschaft wolle er gerne wieder eine Führungsrolle übernehmen, die ihn noch vor gar nicht allzu langer Zeit überfordert hatte. "Vor anderthalb Jahren bin ich in die Rolle des Führungsspielers reingeredet worden, da war ich aber selbst noch nicht so weit."

Aogo nimmt sich die Zeit, über seine Antworten genau nachzudenken. Kein Satz kommt wie aus der Pistole geschossen. Frage, Pause, Pause, Antwort. Wer sich etwas länger mit dem Fußballer unterhält, der bekommt unweigerlich das Gefühl, dass dieser Dennis Aogo älter sein muss als gerade mal 25 Lenze, ohne dabei aber altklug zu wirken. "Ich bin zwar noch kein Oldie, aber doch etwas älter als unsere Youngster", sagt der nach viereinhalb Jahren Vereinszugehörigkeit dienstälteste Hamburger, dessen Stimme auch im Mannschaftsrat des HSV Gewicht hat, "trotzdem kann ich mich gut in sie reinversetzen. Ich bin schon der Meinung, dass ich generell gut mit Menschen umgehen kann."

Diese Fähigkeit will Aogo, der im fernen Abu Dhabi sein Zimmer wie immer mit Kapitän Heiko Westermann teilt, nach seiner Fußballkarriere nutzen - am liebsten fernab aller Fußballplätze: "Stand jetzt kann ich mir sehr gut vorstellen, mich nach der aktiven Karriere vom Profifußball zu verabschieden. Als Trainer will ich jedenfalls nicht arbeiten." Sein größter Wunsch sei es, ein eigenes Unternehmen zu führen. Er wolle eine Firma leiten, hätte mit einem Freund auch schon mehrere Ideen entwickelt. Nur im Detail verraten will er all dies noch nicht, solange er dann doch noch täglich dem Ball auf dem Rasen hinterherjagt. "Mein großer Traum war es immer, mir selbst etwas aufzubauen. Diesen Traum will ich nach der Profikarriere verwirklichen", sagt Aogo, der aber vorerst noch möglichst lange die linke Seite hoch- und runterlaufen möchte.

Trainer Fink plant mit dem Nationalspieler im linken Mittelfeld

Im Hier und Jetzt geht es für den WM-Teilnehmer, der erst kurz vor der EM im vergangenen Jahr aus dem Nationalmannschaftskader gestrichen wurde, zunächst mal ganz profan um einen Stammplatz wie für die anderen 26 HSV-Profis in Abu Dhabi auch. Anders als Mitte der Hinrunde dürften seine Chancen in der Rückrunde aber sehr viel aussichtsreicher sein. "Dennis macht einen guten Eindruck. Wir planen weiterhin im Mittelfeld mit ihm", sagt Trainer Thorsten Fink, der Aogos Stammplatz als Linksverteidiger in dessen Abwesenheit an Konkurrent Marcell Jansen übergeben hat. Ein ernsthaftes Problem ist das für Aogo aber schon lange nicht mehr: "Über so etwas mache ich mir ehrlich gesagt keine großen Gedanken mehr. Mir ist vor allem wichtig, dass ich Spaß auf dem Platz habe, da ist es ganz egal, ob ich im Mittelfeld oder in der Abwehr spiele."

Abendblatt-Redakteur Kai Schiller schreibt täglich aus Abu Dhabi einen Brief an Hamburg www.abendblatt.de/schillersbriefe