Trotz durchwachsener Hinrunde stellt Transfermarkt.de-Geschäftsführer Matthias Seidel den Hamburgern ein positives Zwischenzeugnis aus.

Hamburg. Wahrscheinlich wird nirgendwo sonst in der Bundesliga so sehr mit Millionen jongliert wie in dem unscheinbaren Backstein-Hinterhaus in der Wandsbeker Zollstraße 5a. Von der Straße aus weist nur ein kleines Firmenschild darauf hin, dass in dem wenig einladenden Neubau das in der Branche sehr angesehene Online-Portal Transfermarkt.de seinen Hauptsitz hat. Bis zu 1,7 Millionen Nutzer schauen täglich auf die Internetseite www.transfermarkt.de, auf der sämtliche Fußballer Europas, ihre aktuellen Leistungsdaten, ihre Berater und vor allem ihr Transferwert zu finden sind. "Wir können guten Gewissens behaupten, dass unsere virtuellen Werte doch sehr nahe an die gelebte Wirklichkeit herankommen", sagt Matthias Seidel, der Geschäftsführer des Online-Portals.

Seidel und Timo Oppermann, der für die unzähligen Transfermarkt.de-Statistiken zuständig ist, sitzen in dem großzügigen Besprechungszimmer, trinken Cappuccino und erklären dem Abendblatt, warum ihrer Meinung nach HSV-Sportchef Frank Arnesen in dieser Saison sehr viel besser mit den Millionen gehaushaltet hat als das manch ein Fan glauben mag. "Der HSV hat sich optimal verstärkt. Ganz objektiv muss man feststellen, dass Arnesen im vergangenen Sommer mehr richtig als falsch gemacht hat", sagt Seidel, der als bekennender Werder-Bremen-Anhänger der Parteinahme unverdächtig ist.

Oppermann nickt zustimmend und reicht einen Statistikbogen über den Tisch, nach dem sich der Marktwert des HSV von der Sommerpause bis jetzt von rund 79 Millionen Euro auf mehr als 104 Millionen Euro gesteigert hat. Den größten Marktwertsprung hat Heung Min Son gemacht, dessen theoretischer Transferwert von 4,5 auf acht Millionen Euro gestiegen ist, von den Neuzugängen darf sich Milan Badelj über die größte Steigerung von 4,5 auf 6,5 Millionen Euro freuen. "Kaum jemand kannte Badelj vor seiner Verpflichtung. Wahrscheinlich müssen wir seinen Wert im Winter sogar noch ein weites Mal nach oben korrigieren", sagt Oppermann.

Doch wie kommen die beiden Zahlen-Junkies überhaupt auf all die Transferwerte, mit denen sie mehr als 235.000 Spielern weltweit einen virtuellen Kaufpreis verpassen? "Die Marktwerte werden zunächst von den 185.000 registrierten Benutzern definiert", erklärt Seidel, der mittlerweile 14 hauptamtliche Mitarbeiter hat, "dabei fließen wesentliche Parameter wie Transferwerte, Leistungen des Spielers, Erfahrung und Zukunftsperspektiven in die Bewertung mit ein." Zudem wurde eine Marktwertanalyse eingeführt, bei der jeder Spieler und dessen Entwicklung mehrfach im Jahr bewertet wird. Zwei sogenannte Paten kümmern sich beispielsweise um sämtliche Bundesligaprofis, deren Marktwerte fortlaufend diskutiert und bei eventuellen Entwicklungen neu angepasst werden.

Nicht immer sind die Daten repräsentativ. So hat Rafael van der Vaarts Marktwert in der Hinrunde einen Sturzflug von 24,5 auf 15 Millionen Euro hingelegt, was keinesfalls mit seiner Leistung zu erklären ist. Seidels Begründung: "In der Premier League muss man automatisch von höheren Ablösen ausgehen, deswegen sind die Transferwerte von Profis auf der Insel immer etwas höher." Nachdem van der Vaart aber vom HSV für 12,5 Millionen Euro gekauft wurde, ist auch der Transferwert des Niederländers angepasst worden. Die Durchschnittswertung der User, aktuell bei rund 16,3 Millionen Euro, ist ein Indikator, dass der kostbarste HSV-Profi im Winter noch einmal teurer wird. "Es wird sicher noch eine leichte Anpassung nach oben geben", sagt Oppermann, der glaubt, dass auch die Marktwerte der anderen Hamburger von der Verpflichtung des Mittelfeldregisseurs profitiert haben.

Selbstverständlich kennt auch HSV-Trainer Thorsten Fink die Online-Börse. Doch statt an der virtuellen Theorie orientiert sich der Coach bei seinem Zwischenzeugnis an der tatsächlichen Praxis auf dem Platz. "Natürlich sind Neuzugänge wie René Adler, Rafael van der Vaart oder Milan Badelj bei uns sofort eingeschlagen, aber für mich ist Tolgay Arslan der Shootingstar der Hinrunde", sagt Fink, "mit seiner Entwicklung war so nicht zu rechnen." Auch in der Transfermarkt.de-Community hat sich die respektable Hinserie des U21-Nationalspielers nur langsam herumgesprochen. Aktuell weist die Seite einen Marktwert von 1,75 Millionen Euro aus, wobei der Durchschnitt der User mit 3.163.235 Euro dafür spricht, dass auch Arslans Transferwert im Winter noch mal nach oben korrigiert wird.

Transfermarkt.de-Chef Seidel hat für die Rückrunde seinen ganz eigenen Favoriten: "Ich bin mir sicher, dass Petr Jiracek im neuen Jahr beim HSV durchstartet", sagt der Fachmann, der den Wolfsburger neben van der Vaart und Adler für den wichtigsten Neuzugang der Saison hält. "Jiracek ist genau der Typ Spieler, der den HSV in der vergangenen Saison gefehlt hat. Er marschiert auf dem Platz immer voran", sagt Seidel. Jiraceks Wert hat sich im Kalenderjahr 2012 auch ohne große Spielpraxis von drei auf sechs Millionen Euro verdoppelt, wobei die User der Seite nach Jiraceks langen Zwangspause derzeit einen Durchschnittswert von nur noch 5.037.500 Euro empfehlen.

Bis zum Ende der Transferfrist am 31. Januar werden alle Werte der Bundesligaprofis ohnehin überarbeitet, ein Zwischenfazit ziehen Seidel und Oppermann aber schon jetzt. "Stand jetzt hat sich HSV-Sportchef Arnesen bei seinen Transfers in dieser Saison keinen echten Fehlgriff geleistet", sagt Oppermann, "das wurde in der vergangenen Saison ja noch etwas anders bewertet." Er erinnert daran, dass Hamburgs 29 Profis einen durchschnittlichen Transferwert von 3.596.522 Euro haben, was in der Marktwert-Tabelle der Bundesliga Platz fünf bedeuten würde. "Aber die Wahrheit liegt aus Hamburger Sicht leider immer noch auf dem Platz", sagt Bremen-Fan Seidel. Und lacht.

Der HSV bestätigte am Montag, dass die Mannschaft nach Ende der Saison vom 22. bis 28. Mai nach Indonesien reist, wo unter anderem zwei Testspiele gegen den AS Rom und den indonesischen Erstligisten Persebaya auf dem Programm stehen.