Der HSV erlebt in Brasilien ein echtes Abenteuer und verliert gegen Grêmio Porto Alegre mit 1:2. Wüste Prügeleien auf den Rängen.

Porto Alegre. Nach getaner Arbeit reizten viele der HSV-Spieler am Sonntag die Frühstückszeit im Flughafenhotel Deville bis zur letzten Minute aus. Sie tranken ihren Kaffee erst kurz vor 10.30 Uhr, genehmigten sich dann bei Temperaturen um 30 Grad Celsius ein Sonnenbad am kleinen Pool. Wenig später fuhr die Mannschaft zu einem Beach-Club, in dem die Spieler Beine und Seele baumeln ließen.

Erst um 1.30 Uhr in der Nacht hatte der Bus vor der Vier-Sterne-Herberge gehalten, nach deutscher Zeit um 4.30 Uhr. Ein extrem langer Tag hatte sein Ende gefunden, mit einer extrem langen Anreise, einem äußerst ungewöhnlichen Spiel und einer verzögerten Abfahrt aus dem Hotel. Diese typisch brasilianische Nacht wird den Spielern noch lange im Gedächtnis bleiben.

Dass der Umgang mit der Zeit in Südamerika ein etwas anderer ist als in Europa, wurde schon vor der Partie deutlich. War der HSV zuvor von einem Spielbeginn um 21 Uhr ausgegangen, so erfuhr der Klub nach dem 15-stündigen Flug, dass der Anpfiff erst gegen 22.15 Uhr erfolgen solle. Besser gesagt: sollte. Der Beginn der Eröffnungsfeier für die neue Arena war für 20 Uhr geplant, doch erst um 20.50 Uhr schossen die ersten Feuerwerksraketen in den Himmel. Gut eine Stunde lang wurde den begeisterten Fans des Grêmio Foot-Ball Porto Alegrense von 1903 ein pompöses Theater der großen Gefühle geboten, mit Auftritten der Blue Man Group, einer Blaskapelle, die die brasilianische Hymne spielte und Hunderten Tänzern, die auf den noch abgedeckten Rasen den Spruch abbildeten: "Nada pode ser major" - nichts kann größer sein. Zu sentimentalen Rückblicken in die Klubgeschichte gehörte auch der Auftritt der Weltpokalsieger von 1983, die den HSV damals 2:1 besiegten. Die heutige Spielergeneration der Hamburger zückte ihre Handys für Erinnerungsfotos.

Es braucht Zeit, sich zu feiern, so war es kein Wunder, dass erst von 22.40 Uhr an der Ball rollte, sofern an Rollen überhaupt zu denken war. Besonders auf den Außenbahnen war der Rasen schlichtweg eine Katastrophe, nach jedem Antritt oder Zweikampf taten sich tiefe Löcher auf. "Die Arena wurde sehr schnell gebaut, der Rasen war noch nicht wirklich fertig", erklärte Zé Roberto später, der vor der Partie jeden HSV-Akteur herzlich umarmt hatte.

Als der frühere Hertha-Stürmer André Lima nach einer Ecke nach acht Minuten per Kopf für die Führung Grêmios sorgte, steuerte die sowieso schon ausgelassene Stimmung auf einen neuen Höhepunkt zu. Die Fans, darunter auffällig viele Frauen, sangen, tanzten auf den Rängen. Doch nach gut 15 Minuten fand der HSV langsam ins Spiel. Schnell wurde deutlich, dass der Drittplatzierte der brasilianischen Liga kein Team zum Fürchten war. Einzig Zé Roberto, der als 38-Jähriger seinen gefühlt achten Frühling erlebt und vor einer Vertragsverlängerung um ein Jahr steht, stach aus dem Team heraus.

Völlig unerwartet aber sorgten die Grêmio-Fans selbst für einen Stimmungssturz. Hinter dem Tor, wo die Antreiber für die gewaltigen Fangesänge standen, tobte plötzlich eine Prügelei, was viele Zuschauer mit Buhrufen quittierten. Immer wieder kam es zu neuen Auseinandersetzungen, weshalb die Polizei in den Block marschierte, selbst - zum Teil äußerst rabiat - Hand anlegte und Fans abführte. Dies nahmen alle zuvor taktgebenden Trommler zum Anlass, das Stadion zu verlassen

Die stimmungsvolle Show nach der (Stadion-)Show war zunächst vorbei, was allerdings auch an den dürftigen Leistungen der heimischen Elf lag, während der HSV in der zweiten Halbzeit aufdrehte und erstaunlicherweise trotz der kurzen Pause nach dem Hoffenheim-Spiel und den Reisestrapazen viel mehr investierte. Den Titel "weißer Brasilianer" verdienten sich vor allem die eingewechselten Tolgay Arslan und Heiko Westermann, der als Linksverteidiger viel Schwung brachte und nach einer Arslan-Ecke mit seinem (noch abgefälschten) 18-Meter-Schuss für den Ausgleich sorgte (69.). Lautes, schmerzerfülltes Stöhnen der Fans mischte sich mit anerkennendem Applaus.

Doch ausgerechnet ein ehemaliger Bremer sorgte für das gleiche Ergebnis wie 1983, als der HSV mit 1:2 nach Verlängerung unterlag. In der 87. Minute entwischte Marcelo Moreno Jeffrey Bruma und schoss aus halblinker Position ein. Die murrende Menge war wieder versöhnt - sofern sie überhaupt noch da war. Als der Schiedsrichter um 0.30 Uhr abpfiff, hatte sich das Stadion schon fast zur Hälfte geleert.

Jetzt schnell duschen, ins Hotel und in die Betten, dachten alle. Ein Trugschluss. Weil kein Wasser aus den Duschen floss, stiegen die Spieler nass geschwitzt in den Bus und wollten abfahren. Doch weil rund um die Arena das Verkehrschaos in vollem Gange war, sollte eine Polizeieskorte den Weg durch das Gedränge bahnen - die allerdings auch für den Grêmio-Bus bestellt war. So mussten die HSV-Spieler erst 45 Minuten auf die Kollegen warten, deren Duschen voll funktionstüchtig waren. Eine Stunde nach Spielende kamen die Hamburger im Hotel an. Nicht optimal angesichts der Erkältungsgefahr im klimatisierten Bus, aber am Sonntag meldete sich niemand krank ab. Alle konnten abends zum Churrasco aufbrechen - dem typischen Grillfest.

Viel Zeit, den brasilianischen Sommer zu genießen, bleibt dem HSV nicht. Schon an diesem Montag um 13 Uhr hebt die Business-Chartermaschine der Privat Air Richtung Hamburg ab. Nach der Landung am Dienstag um sieben Uhr hat Trainer Thorsten Fink ein lockeres Auslaufen angesetzt. Der HSV wird dann nicht nur um 825.000 Euro Antrittsprämie reicher sein, sondern auch um unvergessliche Erfahrungen.

Grêmio FBPA: Grohe - Pará, Werley (63. Saimon), Naldo, Pico (46. Tony) - Fernando (46. Marco Antonio), Souza - Elano (46. Marquinhos), Zé Roberto (46. Léo Gago), Leandro (63. Rondinelly) - Lima (46. Moreno).

HSV: Drobny - Bruma, Scharner, Rajkovic (64. Diekmeier), Aogo (46. Westermann) - Sala, Rincon, Tesche (64. Arslan), Ilicevic (80. Skjelbred) - Rudnevs (46. Son), Berg. Tore: 1:0 Lima (8.), 1:1 Westermann (69.), 2:1 Moreno (87.). Zuschauer: 60.500. Gelb: Tesche, Arslan.