Der Zweikampf René Adler gegen Manuel Neuer prägt das Duell zwischen dem HSV und Bayern München. Experten sind sich uneinig.

Hamburg/München. Einige müssen sich ständig in die Nasszelle begeben. Manche kauen Fingernägel. Andere sagen gar nichts mehr. Wird die Anspannung vor dem Wettkampf immer größer, reagieren viele Sportler extrem. Manuel Neuer liest. Kommt er in ein Stadion, nimmt sich der Torwart des FC Bayern München das Klubmagazin. Es ist sein Ritual. An diesem Sonnabend vor dem Bundesligaspiel beim Hamburger SV (18.30 Uhr, Sky und Liveticker auf abendblatt.de) wird der 26 Jahre alte Nationaltorwart also durch das "HSV live Magazin" blättern.

Ab und zu gibt es in den Stadionheften Kreuzworträtsel, es wäre interessant zu sehen, was Neuer bei folgender Frage eintragen würde: Bester Torwart Deutschlands, fünf Buchstaben, der letzte ein R. N-e-u-e-r natürlich. Oder etwa A-d-l-e-r?

Viele Fans und Experten sind bei der Frage unentschlossen. Und blicken gespannt auf das Spiel im Volkspark, auf das Duell der aktuell besten deutschen Torhüter. Spielverlauf und Endstand könnten eine Antwort geben. Ergebnis, Ergebnis an der Videowand, sag mir - wer ist der Beste im ganzen Land?

Bayerns Trainer Jupp Heynckes sieht seinen Torwart auf einem Niveau mit dem Spanier Iker Casillas von Real Madrid. Seit zwei Jahren ist Neuer die Nummer eins in der Nationalmannschaft, Adler gehörte wegen einer langen Verletzungspause seit 2010 nicht mehr zum Kader. Jetzt steht er nach seinen vielen Paraden für den HSV vor seiner Rückkehr. Bundestrainer Joachim Löw lobt ihn, und der 27 Jahre alte Neu-Hamburger sagt: "Es gab noch nie einen besseren Adler als jetzt. Ich bin heiß auf das Spiel gegen die Bayern. Und ich kann verstehen, dass sich die Fans für das Duell zwischen Manuel und mir interessieren."

Die Statistiken der aktuellen Saison (Datenmaterial von Castrol Edge Analyse; siehe Tabelle unten) sprechen für Adler: Kein Torhüter der Bundesliga hielt mehr Bälle (42). Keiner wehrte mehr gefährliche Schüsse mit Flugparaden ab (20). Keiner machte mehr Großchancen zunichte (acht). Und wie Neuer verschuldete Adler noch kein Gegentor, keinen Elfmeter. Jupp Heynckes kennt ihn aus seiner Leverkusener Trainerzeit und schrieb Adler schon im Sommer eine SMS mit besten Wünschen. Er sagt: "René hat sich beim HSV überragend eingefügt. An der Nummer eins ist nicht zu rütteln, das ist Manuel Neuer. Aber ich freue mich, dass René seine lange Leidenszeit überwunden hat. Er ist in einer Form, in der er zur Nationalmannschaft eingeladen werden muss." Die Torwartfrage, meint HSV-Kollege Thorsten Fink, regele sich "allein über die Leistung".

Adler selbst ist bescheiden. Er will keine Einladung des Bundestrainers fordern. Aber natürlich will er wieder an den Punkt zurückkehren, den er 2010 schon einmal erreicht hatte. Er war Stammtorwart der deutschen Auswahl, die Zeitungen nannten ihn den "Bundes-Adler", er hätte auch bei der Weltmeisterschaft in Südafrika spielen sollen. Doch dann musste der damalige Leverkusener wegen einer Rippenverletzung absagen. Neuer nutzte seine Chance. Der Münchner erreichte mit Deutschland den dritten Platz bei der Weltmeisterschaft 2010, das Halbfinale bei der Europameisterschaft 2012 und mit dem FC Bayern im selben Jahr das Finale der Champions League. Von den 35 Länderspielen mit Neuer hat die deutsche Nationalmannschaft 28 gewonnen, bei den Bayern ist er einer der wichtigsten Führungsspieler geworden, außerdem zum Weltfußballer des Jahres 2012 nominiert. "Manuel hat sich toll entwickelt", sagt Adler.

Dennoch weiß auch Neuer, dass sein Hamburger Kollege eine Rückkehr in den Nationalkader verdient hätte. Beide haben Respekt voreinander. "René hat beim HSV ausgezeichnete Leistungen gezeigt. Er ist ein großer Rückhalt für die Mannschaft und ein Spieler, den die Leute sehen wollen", sagt Neuer über den Konkurrenten. Tatsächlich ist die Hierarchie hinter dem Bayern-Profi in der Nationalelf offen, Ron-Robert Zieler von Hannover 96 und Marc-Andre ter Stegen von Borussia Mönchengladbach sind noch nicht so weit, als dass sie Druck auf Neuer ausüben könnten. Beide schwächelten zuletzt in ihren Vereinen und genießen keinen Welpenschutz mehr. Adlers Rückkehr in die Auswahl scheint nur noch eine Frage der Zeit zu sein.

Zwei starke Torhüter in einer Nationalmannschaft - das kann zu Reibungen führen. Oliver Kahn und Jens Lehmann lieferten sich vor der Heim-Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland einen unerbittlichen Konkurrenzkampf. Löw muss sich aber wohl keine Sorgen machen, dass Neuer und Adler den beiden nacheifern. Adler sagt: "Manuel und ich hatten schon früher ein kollegiales Verhältnis. Wir sind an der Konkurrenzsituation gewachsen. Und derzeit beide gut drauf."

Wie hat es René Adler geschafft, wieder so gut zu werden? In der vergangenen Saison hatte er kein einziges Spiel absolviert, weil er wegen einer Verletzung seinen Stammplatz bei Bayer Leverkusen an Bernd Leno verloren hatte. Der Wechsel in die Hansestadt habe ihm einen Kick gegeben, erklärt Adler. Im Sommer war er ablösefrei nach Hamburg gekommen und nimmt seitdem eine Führungsrolle in der jungen HSV-Mannschaft ein. Diese Verantwortung gefällt ihm, sagt er. Er sei mit seiner Freundin, der Schauspielerin und Moderatorin Lilli Hollunder, sehr glücklich und arbeite zusätzlich zum Mannschaftstraining viel an seiner Athletik und Sprungkraft. "Ich hatte noch nie so einen Fitnesszustand. Ich habe meine Mitte gefunden", sagt Adler.

Seit sechs Jahren haben die Bayern nicht mehr beim HSV gewonnen. Mit einem Sieg gegen den Tabellenführer könnte Adlers Mannschaft in die Spitzengruppe der Liga aufrücken. "Wenn mir jemand anbietet, dass ich im Vergleich mit Manuel schlechter aussehe, wir aber gewinnen, würde ich sofort unterschreiben", sagt der 27-Jährige.

Als Oliver Kahn Nationaltorwart war, erzählten sich Fußballfans gern einen Witz: Kahn sitzt vor einem Kreuzworträtsel. Gesucht ist der beste Torwart der Welt, vier Buchstaben. Kahn grübelt, "Ich!", ruft er. Passt nicht. "Du!", ruft seine Frau. Passt nicht. Kahn will darüber schlafen. Er wacht nachts auf und brüllt: "Jetzt hab ich es: Die meinen mich !" So einfach kann es sein.