Thorsten Fink blickt auf sein erstes Jahr als HSV-Trainer zurück und erzählt, warum er auf ein langfristiges Engagement setzt.

Hamburg. Am 17. Oktober 2011, morgen vor genau einem Jahr, übernahm Thorsten Fink den HSV. Seinen wichtigsten Auftrag, den HSV in der Bundesliga zu halten, erfüllte er. Nach verpatztem Start war der Trend mit drei Siegen und einem Remis positiv.

Hamburger Abendblatt: Herr Fink, wäre Ihre Aufgabe beim HSV ein 10.000-Meter-Lauf, wie weit wären Sie?

Thorsten Fink: Kurz hinter dem Start. Nach meinem Gefühl habe ich die Mannschaft gerade erst übernommen. In der vergangenen Saison ging es in erster Linie darum, den Klassenverbleib sicherzustellen.

Können Sie hier überhaupt langfristig denken? Sie sind in Hamburg der erste Trainer seit Thomas Doll, der deutlich länger als ein Jahr im Amt sein wird.

Fink: Gegenfrage: Soll ich davon ausgehen, dass ich in ein paar Monaten wieder weg bin? Nein, so würde das nicht funktionieren. Ich sehe in diesem Verein sehr viel Potenzial. Den HSV nur kurz nach oben zu bringen und dann weiterzuziehen war nie mein Ziel. Ich bin gekommen, um zu bleiben. Um länger zu bleiben. Drei, vier Jahre sind ein guter Zeitraum für eine Planung.

Das wären fast Bremer Verhältnisse.

Fink: In dem Klub kann man auch langfristig arbeiten wie ein Thomas Schaaf bei Werder. Das ist mein Ziel. Dann könnten auch immer die Dinge umgesetzt werden, die sich ein Trainer wünscht. Ich möchte bis 2014 meinen Kader aufbauen. Mein Kader heißt: Dieses Team habe ich zusammengestellt, damit kann ich mich identifizieren. Das heißt natürlich nicht, dass ich alles alleine entscheide.

Hätten Sie gedacht, dass Ihr erstes HSV-Jahr so schwer wird?

Fink: Ohne das 0:4 gegen Stuttgart in der Rückrunde, als wir auch noch Paolo Guerrero für acht Wochen verloren haben, wäre es leichter gewesen. Die Motivation Europa League war danach weg, die Gier nach Erfolg ließ spürbar nach. Zwei, drei Spiele später steckten wir wieder im Abstiegsstrudel. Die Negativspirale aufzuhalten war schwierig. Die Selbstzweifel kehrten zurück, das Selbstvertrauen war weg. Das war wie bei einem Staudamm, der überall wieder aufbricht. Ihn zu stopfen war schon eine Energieleistung.

Wie haben Sie als Trainer versucht, gegen diesen Negativlauf anzukämpfen?

Fink: Du musst schon aufpassen, dich als Trainer nicht anstecken zu lassen. Ich habe in dieser Zeit nicht viel Zeitung gelesen. Oder ich habe versucht, den Spieß umzudrehen und den Spielern gesagt: Ich habe keine Lust, mich beschimpfen zu lassen. Habt ihr Lust darauf? Lasst es uns denen zeigen. Sich solch ein Feindbild aufzubauen, kann auch wichtig für eine Mannschaft sein.

Wir sind also die Bösewichte?

Fink: Das waren keine Aussagen gegen die Arbeit der Presse. Sie können ja nicht gut schreiben, wenn wir schlecht spielen. Aber das war nur ein Beispiel. Natürlich habe ich auch positive Reize gesetzt, ihnen gute Szenen vorgespielt und gesagt: Wer soll euch daran hindern, das zu wiederholen? Ihr seid top ausgebildet, ihr habt gute Laktatwerte. Warum sollen wir Angst haben?

Hatten Sie auch mal einen Durchhänger?

Fink: Natürlich, aber dafür hat man ein Team, das dich auffängt. Als Trainer musst du aber generell mental ausdauernd sein und vorneweg gehen. Wenn ich das nicht leisten kann, muss ich mir einen anderen Beruf wählen. Ich war schon immer ein Kämpfer. Aber es war schwierig, keine Frage.

Nach außen haben Sie die Spieler stets geschützt. Hat sich das ausgezahlt?

Fink: Mein Gespür sagte mir, dass öffentliches Draufhauen nicht zu einer besseren Leistung geführt hätte. Ich habe das nur mal als Stilmittel nach dem Hoffenheim-Spiel benutzt, aber ich sage lieber intern, wenn es mir zu wenig war. Das habe ich übrigens auch jetzt, nach den Siegen, getan. Wir dürfen uns nicht täuschen lassen von zehn Punkten. Die Entwicklung einer echten Winner-Mentalität dauert Monate. Unser Motto muss sein: Siege sind nicht das Wichtigste. Sie sind das Einzige.

Gehen wir kurz ein Jahr zurück. Hat es sofort Klick gemacht, als sich der HSV über Frank Arnesen bei Ihnen meldete?

Fink: Er hat sich vor unserem Spiel gegen Manchester United bei mir gemeldet. Er fragte: Können wir uns mal treffen? Ich sagte: Ja, aber es darf nicht zwei, drei Wochen dauern. Ich muss als Trainer wissen, was los ist. Ich habe mich dann mit ihm, dem Vorsitzenden Carl Jarchow und Jörn Wolf (Mediendirektor, d. Red.) in einem Tapas-Restaurant in der Altstadt von Palma getroffen. Wir saßen fünf Stunden zusammen, danach war für mich der Fall klar. Man hat gemerkt, dass sie sich genau über mich erkundigt hatten. Aber der HSV erstellt ja auch Profile über Spieler, bevor er sie verpflichtet. Ich spürte das totale Vertrauen.

Woran haben Sie das festgemacht?

Fink: Als sie mir einen Vertrag bis 2013 vorgelegt haben, antwortete ich: Ne, ne, wenn, dann bis 2014. Da haben sie gesagt: Okay, dann machen wir das.

Wie schwer war es, aus dem Vertrag in Basel rauszukommen?

Fink: Wissen Sie was: Ich habe dem Präsidenten schon während der Vorbereitung gesagt, dass ich eigentlich aufhören müsste. Man soll gehen, wenn es am Schönsten ist. Aber das war nur ein Gedankenspiel. Als der HSV ins Spiel kam, sollte ich erst bis Dezember weitermachen, aber der HSV blieb hartnäckig.

Was haben Sie gelernt in dem Jahr?

Fink: So einen großen Verein wie den HSV hatte ich vorher nicht geführt, da lernt man jeden Tag. Ich musste vor allem mehr aufpassen, was ich sage.

Und was muss das Umfeld lernen?

Fink: Mein Lieblingsspruch ist ja: Egal, wie es kommt, es gibt immer einen, der es hat kommen sehen. Gewisse Aussagen von außen wirkten eher kontraproduktiv. Man sollte der Mannschaft auch mal ein halbes Jahr Zeit geben, nicht alle zwei, drei Wochen was anderes erzählen. Es war wirklich auffällig, wie negativ viele Leute gedacht haben.

Aber ist nicht in Hamburg die Akzeptanz gewachsen, dass eine Teilnahme an der Europa League oder gar an der Champions League kein Automatismus ist?

Fink: Stimmt, man ist demütiger geworden. Früher kamen nach zwei Spielen sofort die Fragen nach dem Erreichen der Europa League.

Na ja, noch ein, zwei Siege, dann ist es sicher wieder so weit.

Fink: Wir bauen jedenfalls keine Luftschlösser. Dennoch ist hier durch die lange sportliche Krise richtig was zusammengewachsen, der Zusammenhalt ist nach meinem Empfinden groß. Wissen Sie, was für mich eindeutig der Wendepunkt war?

Der Dortmund-Sieg?

Fink: Das war sicher ein Schlüsselspiel. Aber der Auslöser war van der Vaart, auch wenn nicht alles auf ihn fokussiert sein muss. Mit ihm haben auf einmal viele Leute positiv gedacht, obwohl wir noch nicht einmal gespielt hatten. Jeder sagte: Jetzt geht es aufwärts. Milan Badelj ist auch ein super Spieler, aber den kannte ja keiner.

Der Fußball als mentales Spiel.

Fink: Genau, ähnlich wie beim Golfsport. Was kommt bei einem Sportler direkt nach dem Talent?

Das Üben?

Fink: Die Einstellung, der Kopf. Erst dann folgen die anderen Dinge wie Technik, Taktik, Kondition. Wenn der Kopf nicht stimmt, können Sie noch so viel Talent haben.

Unabhängig vom Tabellenplatz, für welchen Fußball soll der HSV stehen?

Fink: Für das, was wir in den vergangenen Wochen gezeigt haben: Begeisterung und Leidenschaft. Gegen Mannschaften wie Bayern oder Dortmund ist das zwar schwer, aber gegen alle anderen Mannschaften können wir es schaffen, das Spiel zu beherrschen. Wir wollen unsere Philosophie nach unten tragen und aus dem Nachwuchs Spieler hochziehen. Wenn ich mal gehen muss, soll man sagen: Da ist was Ordentliches hinterlassen worden.