Der HSV belohnt sich beim 3:2 gegen Dortmund für seinen großen Kampfgeist und beendet die Rekordjagd der Borussia. Son trifft doppelt.

Hamburg. Es war zu befürchten, dass Jürgen Klopp nicht die richtigen Worte finden würde. Schließlich war der Dortmunder Trainer wenig geübt darin, Niederlagen seiner Borussia in der Bundesliga zu kommentieren. Vor einem Jahr, am 18. September 2011, hatte der BVB mit 1:2 in Hannover verloren und war seitdem 31 Spiele ungeschlagen geblieben - bei stolzen 25 Siegen. Eine halbe Stunde stand nun die Niederlage gegen den HSV fest, und Klopp konnte eine wichtige Mitteilung verkünden: "Unsere Serie ist gerissen, der HSV hat drei Punkte und wir keinen. Und wir werden trotzdem weitermachen."

Ein typischer Spruch der Marke Klopp, dem ansonsten die Lust auf Späße vergangen war, schließlich war ihm auch die historische Chance durch die Lappen gegangen, dem Rekord des HSV von 36 Spielen ohne Niederlage (1982/83) noch näher zu rücken.

Den Spielbetrieb einzustellen hätten aber allenfalls die Experten dem HSV geraten - vor dem Spiel gegen Dortmund. Zu einseitig schienen die Kräfteverhältnisse. "Ich muss ehrlich sagen: Auch ich hatte nicht damit gerechnet, dass uns ein Erfolg gegen den deutschen Meister gelingt", gab Carl Jarchow offen zu. Vier Pflichtspielniederlagen in Folge hatten auch beim Klubvorsitzenden Spuren hinterlassen. Und dann dieses sensationelle 3:2. "Es war ein richtiges Spektakel", staunte selbst Klopp. Ein aufgestellter Seismograf hätte seine wahre Freude gehabt. Das Stadion bebte. "Die Unbesiegbaren besiegen" hatte das Abendblatt vor dem Spiel getitelt. Auftrag erfüllt.

Ausgerechnet Heung Min Son durfte sich mit seinen beiden Toren zu den Matchwinnern zählen. Schon beim letzten Heimsieg vor fünf Monaten hatte der Südkoreaner das 1:0 gegen Hannover erzielte. Jener Son, der sich bislang wenig bis gar nicht auf seiner Position im rechten Mittelfeld positiv auszeichnen konnte. "Ich muss sagen, dass ich selbst mit mir unzufrieden war, ich habe schlecht gespielt", sagte der 20-Jährige, "aber der Trainer hat mich weiterspielen lassen, deshalb bin ich nach dem zweiten Tor zu ihm gelaufen."

Es war ein Nachmittag mit vielen Siegern beim HSV. Zum Beispiel Thorsten Fink, der nicht nur für die Treue in der Personalie Son belohnt wurde. Auch sein mutiger Plan mit Tolgay Arslan in der Mittelfeldzentrale ging blendend auf, weil der ehemalige Dortmunder, der seine Stärken in der Offensive hat, nicht nur tatkräftig dabei half, dass der HSV mehr Ballkontrolle als zuletzt hatte, sondern auch klug verteidigte. Und während Marcell Jansen als Linksverteidiger glänzte, sorgte der vor ihm postierte Ivo Ilicevic für den dritten Treffer der Hamburger.

"Wir hatten nie Zweifel an der Leistungsfähigkeit dieser Mannschaft, aber wir haben auf diesen ersten Schritt gewartet, der besonders das Selbstbewusstsein der jungen Spieler steigert", sagte Jarchow. Wie bestellt sagte Son wenige Minuten später über das Solo über den halben Platz, das zu seinem zweiten Treffer führte: "Wenn einmal etwas klappt, klappt es immer ..."

Es gab noch viel mehr große und kleine Sieger bei diesem berauschenden Fußballfest. Wie René Adler, der die ganz hohe Torwartschule demonstrierte (siehe auch Seite 22), aber auch den oft gescholtenen Heiko Westermann, den die Farben Gelb-Schwarz offenbar noch immer bis in die Haarspitzen motivieren, obwohl er seit 2010 nicht mehr für Schalke spielt. Die Liste wäre jedoch nicht komplett ohne den Namen Rafael van der Vaart, zu dessen Heimpremiere wohl kein anderer Begriff als Traumeinstand passt (s. auch Bericht unten). Keine zwei Minuten dauerte es bis zur Flanke auf Son zur frühen Führung. Blitzschnell setzte der Niederländer auch Ilicevic bei dessen Treffer ein. Doch es waren nicht nur diese beiden Assists - schon in Frankfurt war er an beiden HSV-Toren beteiligt -, die seinen besonderen Wert für diese Mannschaft deutlich werden ließen. Die große Hoffnung der HSV-Chefs war es, dass van der Vaart die Lücke an der Spitze der Mannschaftshierarchie schließen könnte. Er konnte.

Zwar setzte van der Vaart (wie vor den Toren) einige spielerische Glanzpunkte, entscheidend für den Erfolg war aber sein Beitrag zum Mentalitätsumschwung im gesamten Team, der sich beispielhaft in den Laufwerten widerspiegelte. Mit Milan Badelj (12,4 Kilometer), van der Vaart (11,7), Tolgay Arslan (11,7), Dennis Diekmeier, Heung Min Son und Marcell Jansen (alle 11,0) erreichten gleich sechs Spieler die Elf-Kilometer-Marke, Heiko Westermann und Michael Mancienne (beide 10,5) lagen knapp darunter. "Wir wollten zeigen, dass wir eine Mannschaft mit ganz viel Leidenschaft sind", sagte van der Vaart. "Von einer Wende zu sprechen wäre aber zu früh."

Auch das Glück zog mit van der Vaarts Rückkehr wieder ein. Während die HSV-Defensive in den ersten 45 Minuten stark verteidigte, ließen die Gäste in der drangvollen Schlussoffensive eine Vielzahl an hochprozentigen Torchancen teilweise kläglich aus. "Bei 26:6 Torschüssen müssen wir das Spiel gewinnen, diese Niederlage ist beschissen", sagte Klopp drastisch, während Mats Hummels Selbstkritik übte: "Wir haben viel falsch gemacht, um dieses Spiel zu verlieren." Von einem unverdienten Sieg wollte dennoch niemand sprechen, weil eine oft zitierte Glücksregel von Helmuth Graf von Moltke ("Glück hat auf die Dauer doch zumeist wohl nur der Tüchtige") ihre Anwendung fand, genau wie Glücksregel Nummer zwei, formuliert von Marcell Jansen: "Wir haben das Glück erzwungen, das uns vorher gefehlt hat."

Während es der zuletzt immer heftiger kritisierte Sportchef Frank Arnesen vorzog, den Triumph still zu genießen, blickte Fink bereits in die Zukunft: "Ich hoffe, dass dieses Spiel eine Initialzündung war." Denn die HSV-Fans können den Sensationssieg vom Wochenende nur kurze Zeit genießen. Nur wenn ihr Team am Mittwoch (20 Uhr) in Mönchengladbach die Leistung bestätigen kann, darf wirklich von einer Trendwende gesprochen werden. Eine Sorge ist der HSV allerdings definitiv los. Die große Feier zum 125. Vereinsgeburtstag am Sonnabend gegen Hannover 96 mit Gala in der O2 World droht nicht von einem Null-Punkte-Start verdorben zu werden. Auch ein Sieg, obwohl es dafür keine Punkte gibt. Weitermachen.