Kompliment: Nach Tagen heftiger Kritik hat die Vereinsführung endlich reagiert. Ist der Abstieg kein Thema mehr?

Durch Deutschland muss ein Ruck gehen, hatte einst der damalige Bundespräsident Roman Herzog gefordert. In Hamburg heißt die aktuelle Forderung besorgter HSV-Fans und Alt-Internationaler: Der HSV muss endlich aufwachen! Für den Bundesliga-Dino war es zum Start in die 50. Bundesligasaison fünf nach zwölf. Ein Schritt weiter und der Verein würde im Abgrund und damit in der Anonymität der Zweiten Liga verschwinden. Fußballerische Alarmstimmung herrscht an der Elbe nach dem Pokal-Aus und der Auftaktniederlage, die Meinung des Volkes schien einhellig: "So schlimm war es noch nie!"

Nun aber ist doch noch der ersehnte Ruck durch den HSV gegangen. Der Klub und seine verantwortlichen Männer haben, so hat es den Anschein, doch noch gerade rechtzeitig die Kurve gekriegt. Weil es jetzt ein kollektives Aufwachen im Volkspark gab.

Vor ein paar Tagen wurde noch alles von der sportlichen Führung schöngeredet: Die Vorbereitung war ganz gut, der Kader ist absolut bundesligatauglich, der harmlose Angriff wird noch in Schwung kommen, und, und, und. Es wurde sich tapfer stets in die eigene Tasche gelogen, obwohl längst klar war, dass es so niemals mit dem Klassenverbleib klappen würde. Mangelnde Qualität in der Mannschaft wurde damit begründet, dass der HSV kein Geld habe. Was leider auch stimmt, denn der HSV wurde seit Jahren systematisch heruntergewirtschaftet. Not macht erfinderisch, doch diese Not wollte im Klub der Rothosen offenbar niemand erkennen.

Bis jetzt. Umso erfreulicher, dass beim HSV doch noch die Notbremse gezogen wurde. Mit Milan Badelj und Petr Jiracek wurden in letzter Minute zwei exzellente Mittelfeldspieler verpflichtet, die für deutlich mehr Qualität in der Mannschaft sorgen und die auch sofort helfen werden. Und wenn nun noch Rafael van der Vaart verpflichtet wird, und davon gehe ich zu 99 Prozent aus, dann kann der HSV mit einer Mannschaft in die Saison gehen, die nichts mehr mit dem Abstieg zu tun haben wird.

Kompliment, HSV! Auch das muss nach Tagen heftigster Kritik mal gesagt werden. Kompliment deshalb, weil es ganz offenbar ein enges Zusammenrücken zwischen Vorstand und Aufsichtsrat gegeben hat. Gefahr erkannt, Gefahr gebannt - in diesen Tagen ziehen die Herren endlich einmal an einem Strang. Und alle wissen, dass sie ein gigantisches finanzielles Risiko eingehen. Denn sollte trotz dieses Kraftakts am Saisonende der Abstieg folgen, stünde der HSV vor den Scherben einer seit Jahren verfehlten Vereinspolitik. Daran aber mag nun niemand mehr denken.

Das kollektive Aufwachen hat jedoch nicht nur die HSV-Herren mit Schlips und Kragen gepackt, sondern auch jene Männer, die im Trainingsanzug durch den Alltag gehen. Allen voran Trainer Thorsten Fink. Er hat die Phase seiner Experimente (wohl) endgültig eingestellt. Gut so! Heiko Westermann vom Mittelfeld zurück auf die Position des Innenverteidigers, Jeffrey Bruma dorthin, wo er es am besten kann: als Rechtsverteidiger. Der Umschulungsversuch von Zhi Gin Lam war schlimm genug und gehört der Vergangenheit an, und ganz vorne tut sich auch endlich etwas. Statt Marcus Berg erhält nun Artjoms Rudnevs eine Chance beim Auswärtsspiel am Sonnabend in Bremen - es kann sicher nicht schlechter werden.

Kompliment also an den gesamten HSV. Auch an die Fans, die so viel Alarm gemacht haben. Wenn sie jetzt noch lernen, ihre eigenen Spieler bei noch so schlechten Leistungen im eigenen Stadion nicht mehr auszupfeifen, dann könnte diese Saison doch noch ganz erfreulich verlaufen.

Die HSV-Kolumne "Matz ab" finden Sie täglich im Internet unter www.abendblatt.de/matz-ab