Horst Schnoor, HSV-Torwart in der Premieren-Spielzeit, und der aktuelle Keeper René Adler beim exklusiven Abendblatt-Generationengespräch.

Hamburg. Der Treffpunkt für das Abendblatt-Generationengespräch hätte wohl nicht passender sein können. Als HSV-Torhüter René Adler fünf Minuten nach Horst Schnoor im Fünfmeterraum vor der Nordtribüne der Imtech-Arena zum Fototermin erscheint, nimmt sich der 78 Jahre alte Schnoor seinen 51 Jahre jüngeren Nachfolger umgehend zur Brust. "Hallo René", sagt der frühere Keeper, der 15 Jahre lang zwischen 1952 und 1967 das HSV-Tor gehütet hat, "damit eines gleich mal klar ist, wir bleiben beim Du. Ich bin der Horst."

Hamburger Abendblatt:

Herr Schnoor, ärgern Sie sich manchmal, dass Sie nicht ein paar Jahrzehnte später geboren wurden und heutzutage ein gut verdienender Fußballprofi sind?

Horst Schnoor: Nicht eine Sekunde. Natürlich haben wir damals nicht ansatzweise so viel Geld verdient, aber Spaß hatten wir mindestens genauso viel. Ich habe 1200 Mark im Monat verdient, nebenbei im Autohandel von meinem Vater gearbeitet. Aber wir hatten eine tolle Zeit, sind mit den Jungs um die Häuser gezogen, ohne dass es am nächsten Tag gleich in der Zeitung stand.

René Adler: Da bist du zu beneiden. Sei froh, dass es damals noch keine Handys und vor allem Handykameras gab. Wenn ich heute mit einem Kollegen in einer Bar sitze, dann schickt sofort irgendjemand mit seinem Smartphone ein Bild an eine Zeitung.

Schnoor: Wenn man das so hört, dann bin ich umso glücklicher, damals gespielt zu haben. Auch wenn ich am Anfang meiner Karriere nicht mal Handschuhe hatte.

Keine Handschuhe?

Schnoor: Nein. Erst irgendwann nach der Bundesligagründung sind Torwarthandschuhe so richtig in Mode gekommen. Sepp Maier war der Erste, der damit angefangen hat. Er hatte sich selbst ein paar Handschuhe gebastelt, mit diesem Noppenbelag von Tischtennisschlägern. Im Winter habe ich dann auch ab und an mit Wollhandschuhen gespielt, die ich mir von zu Hause mitgebracht hatte. Und wenn es geregnet hat, habe ich die Handschuhe ein wenig mit Sand eingerieben, damit sie griffiger wurden. Ich bin auch heute noch nicht so richtig von diesen modernen Torwarthandschuhen überzeugt. Wenn man einen Ball auf einen Finger bekommt, dann knickt man doch noch einfacher um, oder?

Adler: Ach, ich bin ganz glücklich über die Handschuhe. Ich kenne es ja auch nicht anders, meine ersten Torwarthandschuhe habe ich bereits mit sieben Jahren von meinen Eltern bekommen. Und wenn ich heute mal einen umgeknickten Finger habe, dann kann ich einfach beim Ausrüster anrufen, der mir sofort einen Spezialhandschuh anfertigt. Dann werden schnell beide Finger getaped - und weiter geht's.

Und warum spucken Torhüter vor einem Freistoß oder einer Ecke eigentlich immer in ihre Handschuhe?

Adler: Es kommt ja jedes Jahr so ein neuer Synthetikball raus, der für uns Torhüter immer schlechter zu fangen ist. Wenn es dann auch noch regnet, ist der Ball häufig glitschig. Man spuckt dann in die Handschuhe, damit sie noch griffiger sind. Und wahrscheinlich ist auch ein wenig Aberglaube dabei.

Herr Schnoor, mit welchen Bällen wurde damals gespielt?

Schnoor: Also, mit diesen Lederbällen, die bei Regen so schwer wie eine Kanonenkugel wurden, haben wir nur ganz am Anfang gespielt. Dann gab es bei uns auch Kunststoffbälle. Ich kann mich noch gut an ein Spiel gegen Real Madrid erinnern, da haben die Spanier ihre eigenen Bälle mitgebracht, die viel leichter als unsere waren. Die haben wir immer weit ins Aus geschossen, damit wir möglichst mit unseren schwereren Bällen weiterspielen konnten. Nur der Schiedsrichter, der Niederländer Leo Horn, wollte da nicht mitmachen. Der hat mich fast vom Platz gestellt.

Adler: Solche Geschichten gibt es heute nicht mehr. Es wird ja jeder Winkel des Stadions mit unzähligen Kameras abgedeckt. Und bei jedem Tor wird mit 1000 Zeitlupen diskutiert, ob der Torhüter mit den Fingerspitzen noch hätte drankommen können oder nicht.

Sind Ihre Hände speziell versichert?

Adler: Ich habe eine Berufsunfähigkeitsversicherung, aber die gilt bei jeder Art von Verletzung. Meine Hände habe ich nicht zusätzlich versichert.

Schnoor :Im Gegensatz zu René hatte ich früher immer Glück mit Verletzungen. Natürlich hatte ich hier und da mal einen Fingerbruch, aber das ist Berufsrisiko. Ansonsten habe ich 13 Jahre lang nahezu ohne schlimme Verletzung gespielt, ehe mir mal mein Teamkollege Harry Bähre bei einem misslungenen Klärungsversuch das halbe Gesicht weggetreten hat. Die Kieferhöhle war zertrümmert, das Jochbein gebrochen, und einen Schädelriss hatte ich auch.

Adler: (lacht) Sieht man dir heute aber gar nicht mehr so richtig an.

Mit Verletzungen kennen Sie sich ja aus.

Adler: Das stimmt leider. Meine Finger habe ich natürlich auch schon mehrfach gebrochen, aber das war nie so schlimm. Richtig schlimm waren nur meine Schulterverletzung, wegen der ich die WM 2010 in Südafrika verpasst habe, und meine Knieverletzung, die mir zuletzt in Leverkusen zu schaffen gemacht hatte. Aber hier in Hamburg bin ich jetzt wieder zu 100 Prozent fit.

Sie hatten bereits als 15-Jähriger ein Angebot vom HSV. Warum haben Sie sich damals dagegen entschieden?

Adler: Ich hätte in Hamburg in das HSV-Internat gehen müssen, was ich nicht so richtig wollte. In Leverkusen wurde mir angeboten, bei einer Gastfamilie zu wohnen. Das klang familiärer.

Aber Sie gingen doch in Leipzig auch auf ein Sportinternat.

Adler: Das stimmt, aber ich konnte trotzdem zu Hause bei meinen Eltern wohnen bleiben. Ich bin jeden Morgen um sieben Uhr mit der Straßenbahn zur Schule gefahren und abends um halb acht nach dem Training wieder zurückgekommen. Und den gleichen Tagesablauf konnte ich dann in Leverkusen, wo ich auf dem Dachboden von Torwarttrainer Rüdiger Vollborn wohnte, beibehalten. Den Wechsel habe ich auch nie bereut, schließlich habe ich acht Jahre bei Bayer gespielt.

Schnoor: Ich war 15 Jahre lang die Nummer eins beim HSV, aber so etwas gibt es heute ja gar nicht mehr.

Wie sind Sie zum HSV gekommen?

Schnoor: Ich spielte in der Jugend bei Langenhorn, habe dann beim HSV angerufen und gefragt, ob ich nicht mal zum Training vorbeikommen dürfte. Ich spielte dann in der ersten Jugend, wo ich auch Uwe Seeler und die anderen Jungs alle kennenlernte. Ab dann war die HSV-Raute in meinem Herzen.

Sie haben nie darüber nachgedacht, den Verein noch mal zu wechseln?

Schnoor: 1961 hatte ich ein Angebot vom FC Barcelona, aber für mich kam das eigentlich überhaupt nicht infrage. Für mich zählte nur Hamburg.

Herr Adler, hatten Sie eigentlich vor diesem Treffen schon mal von Horst Schnoor gehört?

Schnoor: Hat er bestimmt nicht.

Adler: Doch, doch. Natürlich habe ich über ihn in der Vereinschronik gelesen.

Wer waren Ihre Torwart-Vorbilder?

Adler: Ein richtiges Idol hatte ich eigentlich nicht. Ich fand Andreas Köpke immer gut. International war ich von Peter Schmeichel von Manchester United begeistert, aber auch Oliver Kahn hatte es mir angetan.

Schnoor: Dabei hatte der Kahn nie wirklich großes Talent. Der hat sich alles erarbeitet, wie ein Besessener.

Adler: Das stimmt, das hat der Olli ja auch selbst mal zugegeben. Aber so einer ist mir immer lieber, der sich nicht auf seinem angeblichen Talent ausruht, sondern sich so richtig reinhängt. Ich kann mit Spielern einfach nichts anfangen, die nicht alles aus sich rausholen.

Schnoor: Genau deswegen ist René der Richtige für den HSV. Von seiner Sorte gibt es bei uns viel zu wenige. Das kann man auch im Training beobachten.

Wie sah das Torwarttraining vor 50 Jahren aus?

Schnoor: Das gab es nicht. Fußballerisch brauchten wir auch nicht so gut wie die Jungs heute zu sein, weil wir den Rückpass noch mit der Hand aufnehmen durften. Wir Torhüter haben uns gegenseitig warmgeschossen. Fertig.

Adler: Richtig professionelles Torwarttraining habe ich auch erst in Leverkusen kennengelernt. René Müller, der früher Torwarttrainer in Leipzig war, hatte mich zwar als einzigen C-Jugendlichen ein- bis zweimal die Woche speziell trainiert, aber ich wollte so ein Training jeden Tag haben. Deswegen bin ich von Leipzig nach Leverkusen gewechselt. Ich wollte unbedingt dazulernen, besser werden ...

Schnoor: ... und wieder die Nummer eins von Deutschland sein.

Adler: Natürlich ist das ein Ziel von mir. Die Nationalmannschaft ist noch lange nicht abgehakt.

Herr Schnoor, warum hat das bei Ihnen mit der Nationalmannschaftskarriere eigentlich nie so richtig geklappt?

Schnoor: Sepp Herberger kannte ja noch nicht mal meinen Vornamen. Ich war in der Juniorennationalmannschaft, später auch mal hinter Hans Tilkowski der zweite Mann in der A-Nationalmannschaft, aber der Herberger hat mich immer nur Hans genannt. Der war so verliebt in den Hans Tilkowski, dass er mich auch immer nur Hans genannt hat. Bei einem Frühstück in Hannover kam er dann mal wieder morgens ins Restaurant und sagte zu mir "Guten morgen, Hans." Da rief Charly Dörfel durch den ganzen Raum: "Der heißt Horst." Aber gebracht hat das nichts, ich blieb für ihn der Hans. Dann habe ich mir irgendwann mal den Horst Freese von der "Bild"-Zeitung geschnappt und ihm gesagt, dass er das alles mal aufschreiben soll. Das hat er dann auch gemacht. Und von da an war das Kapitel Nationalmannschaft für mich endgültig beendet.

Richtig losgehen soll dagegen an diesem Wochenende die 50. Bundesliga-Saison. Was erwarten Sie vom HSV?

Schnoor: Ich muss gestehen, dass ich sehr skeptisch bin. Wir haben viele gute und erfahrene Leute abgegeben, aber kaum Verstärkungen geholt. Trotz allem hoffe ich, dass es besser als in der vergangenen Saison läuft.

Adler: Schlechter sollte es ja auch nicht mehr werden ...

Schnoor: Das stimmt. Die vergangene Saison war ein Warnschuss. Wir hatten das große Glück, dass es drei Mannschaften gab, die noch schlechter als wir waren. Dieses Glück ist jetzt aufgebraucht, das hat man auch bei den nicht ganz so tollen Spielen in der Vorbereitung gesehen.

Adler: Ich muss gestehen, dass ich es gar nicht so schlimm fand, dass wir in der Vorbereitung nicht alle Gegner mit Hurra-Fußball an die Wand gespielt haben. Häufig sind die Erwartungen dann umso größer in der Liga, und der Schuss geht nach hinten los. Ich bin mir jedenfalls sicher, dass wir top vorbereitet sind - auch wenn wir das gegen Karlsruhe noch nicht beweisen konnten. Es war für alle kein guter Tag. Ich will mit meinen Kollegen trotzdem zeigen, dass der HSV noch immer ein großer Verein in Deutschland ist.

Reicht der Kader dafür aus?

Adler: Für uns geht es jetzt nur darum, gegen Nürnberg zu gewinnen. Aber natürlich würde ich jeden Neuzugang, der noch zu uns stoßen wird, mit offenen Armen empfangen. Wie man hört, soll ja noch jemand kommen.

Sie haben noch nicht das Gefühl, auf das falsche Pferd gesetzt zu haben?

Adler: Auf gar keinen Fall. Mir ging es ja nicht darum, zu einem Meisterkandidaten zu wechseln. In Leverkusen hatten wir eine brutal große Qualität in der Mannschaft, da hätte ich mich wohl nur bei Bayern München verbessern können. Und es wäre Augenwischerei, wenn ich behaupten würde, der HSV habe genauso große Qualität wie Leverkusen. In Hamburg reizt mich ganz einfach die Aufgabe, etwas Neues aufzubauen, eine neue Mannschaft mit zu entwickeln. Vielleicht können wir dann mal in zwei oder drei Jahren an ähnliche Ziele wie Leverkusen denken.

Schnoor: Ein Glück, dass du einen langfristigen Vertrag unterzeichnet hast.

Adler: Das habe ich ganz bewusst gemacht. Ein Verein wie der HSV muss irgendwann natürlich den Anspruch haben, in der Champions League zu spielen. Aber eins nach dem anderen.

Schnoor: Das gefällt mir. Du bist immer positiv. Und denk doch mal an die Dortmunder. Die waren doch vor ein paar Jahren schon klinisch tot. Jetzt sind sie plötzlich die Übermannschaft Deutschlands. Also, wenn du das auch mit dem HSV schaffst, dann hätte ich jedenfalls nichts dagegen.