Aufsichtsratschef Horst Becker verzichtet nach wochenlangen Querelen im HSV-Kontrollgremium auf einen Rücktritt. Es war eine lange Sitzung.

Hamburg. Es war 22.34 Uhr, als sich gestern Abend die Tür des Sitzungssaals im Stadionrestaurant Die Raute öffnete. Dann sprach Gerd Krug als Ältestenrat nach einer über viereinhalbstündigen Sitzung des Aufsichtsrates zu den wartenden Medienvertretern und sagte die alles entscheidenden zwei Sätze: "Der Aufsichtsrat wird in gleicher Besetzung bleiben wie bisher. Horst Becker hat unser Vertrauen."

Für interne Beobachter kam diese Entwicklung außerordentlich überraschend. Schließlich hatten viele Insider mit einem Rücktritt von Becker, 69, als Vorsitzendem des Aufsichtsrates nach den wochenlangen Querelen gerechnet. Doch jetzt bleibt Becker zumindest bis Januar Chef des Kontrollgremiums.

Dann wählt der HSV bei der turnusmäßigen Mitgliederversammlung sechs neue Aufsichtsräte in das Kontrollgremium. Über den neuen Vorsitzenden werden die Räte anschließend bei ihrer ersten Sitzung unmittelbar nach der Versammlung entscheiden.

Damit enden zumindest vorläufig die wochenlangen Diskussionen um den Aufsichtsrat. Vor allem um Becker. Immer wieder hatten seine Aufsichtsratskollegen hinter vorgehaltener Hand ihrem Chef Führungsschwäche vorgeworfen, hatten - mal mehr, mal weniger offen - die gescheiterten Vertragsgespräche mit dem Sportchef-Kandidaten Nico Hoogma kritisiert und das desolate Bild beschrieben, das der Aufsichtsrat seit der Demission Dietmar Beiersdorfers unter Becker darstellte. Becker hatte den peinlichen Showdown zwischen den ursprünglichen Nachfolgekandidaten Roman Grill und Oliver Kreuzer genauso zu verantworten wie die insgesamt elf Monate lange Suche nach einem Sportchef. Sergej Barbarez, der zwischenzeitlich selbst ein aussichtsreicher Kandidat war und nach der Nominierung Bastian Reinhardts entnervt als Aufsichtsrat hinschmiss, hatte Becker öffentlich eine zu große Nähe zum Vorstand vorgeworfen.

Für Becker war damit das Maß voll. Öffentlich sprach er über Rücktrittsgedanken, klagte verbittert über "gezielte und gewollte Indiskretionen" gegen seine Person, die er so im Aufsichtsrat noch nie erlebt haben wollte.

Bei Bratkartoffeln und Roastbeef mit Remouladensauce rauften sich die Räte dann doch gestern Abend wieder zusammen. Ein sichtlich erleichterter Becker erklärte anschließend: "Wir haben alles aufgearbeitet. Nachdem mir meine Kollegen das Vertrauen ausgesprochen haben, habe ich mich entschieden, weiterzumachen. Die Kollegen haben gesagt: ,Horst, du musst weitermachen', das hat mich überzeugt."

Womöglich gab auch Beckers Naturell den Ausschlag. Schließlich gilt der ehemalige Banker als Ur-HSVer, dem auch seine Kritiker immer zugutehalten, dass er sich wie kaum ein Zweiter zu seinem Verein bekennt. Eine Art "Mutter Beimer" des HSV.

Er ist seit einer gefühlten Ewigkeit dabei, immer bemüht, zwischen den Lagern zu vermitteln. Bereits seit 1954 ist er offizielles HSV-Mitglied, vor 28 Jahren begann sein ehrenamtliches Engagement als Kassenwart des Amateurvorstandes. Es folgten drei Jahre als Schatzmeister unter Präsident Wolfgang Klein, zwei Jahre als Vizepräsident unter Ernst Neumann und 1990 schließlich elf Monate als kommissarischer HSV-Präsident. Nach einer sechsjährigen Auszeit ließ er sich 1996 als Delegierter der Amateurabteilung in den damals neu gegründeten Aufsichtsrat aufstellen, den er seit 2007 leitet.

Auch in einem anderen Punkt gibt es jetzt mehr Klarheit. Denn vor der Diskussion um Becker hatte Vorstandschef Bernd Hoffmann ein Vorhaben präsentiert, das nach Abendblatt-Informationen auf breite Zustimmung im Kontrollgremium stieß. Was für den Verein von großer Wichtigkeit ist. Schließlich ging es um das Projekt "Anstoß{+3}", mit dem der HSV künftig Spieler mithilfe von Investoren finanzieren will. Wie bereits berichtet, ist der Logistik-Unternehmer Klaus-Michael Kühne grundsätzlich bereit, sich mit einem Betrag von bis zu zehn Millionen Euro für die Verpflichtung von neuen Spielern beim HSV zu engagieren.

"Der Verein kann bei diesem Projekt nur gewinnen", steht für Hoffmann fest. Denn: Der Investor hätte nur bei einem möglichen Weiterverkauf die Aussicht auf einen finanziellen Gewinn. Offenbar konnte Hoffmann die Räte überzeugen - zumal für ihn feststeht: "Niemand muss sich sorgen, dass der Verein stückweise verkauft wird. Die gesamte Entscheidungsgewalt bleibt zu jedem Zeitpunkt in unserer Hand."