Der frühere HSV-Profi Andreas Fischer beendete 2002 seine Fußballkarriere. Heute montiert er Klimaanlagen und machte sogar seinen Meister

Geesthacht. Zugegeben, die Bewunderung für Andreas Fischer hatte in den Neunzigern nicht nur sportliche Gründe. "Jedes Jahr ein Kind, jedes Jahr ein Kind, bis wir deutscher Meister sind ...", sangen die Fans des HSV inbrünstig auf den zugigen Rängen der Westkurve im alten Volksparkstadion und setzten ihren Liebling damit gewaltig unter Druck. Vier Kinder hatte der Mittelfeldspieler mit dem strohblonden Haar da bereits gezeugt, ohne dass auch nur der Hauch einer Aussicht bestand, dass sich der HSV aus dem Mittelmaß befreien könnte. Vom Titel wagten die Fans nicht mal zu träumen. Seinen Kampfnamen hatte Fischer auch schnell weg. Ihm zu Ehren gründeten seine Anhänger einen Fanklub namens "Sexmachines". Das Plakat hängt noch heute in den Arenen.

Steilpass. Im Rohbau der Kreissparkasse Lauenburg in Geesthacht zündet sich ein Handwerker eine Zigarette an. Die Patina an seinen ramponierten Hosen lässt erahnen, wie viele Stunden Arbeit er hier schon hinter sich hat. Von den strohblonden Haaren ist nicht mehr viel übrig, aber sein Körper wirkt durchtrainiert wie eh und eh.

Geschickt lotst der 47-Jährige seinen Besuch an kreischenden Bohrern und dicken Staubwolken vorbei in den ersten Stock, wo Glaser letzte Arbeiten an einem Fahrstuhl vornehmen. Weiter nach oben. Lässig umdribbelt Fischer die vielen Kabel, die sich auf dem rauen Beton winden. Überall nur Männer. Wie früher beim Fußball.

Hinter einer Stahltür im dritten Stock zeigt sich dann der ganze Stolz Fischers: das Herz der Klima- und Lüftungsanlage. In den vielen ineinander gebauten Kästen verschwinden die Rohre, die alle Räume auf insgesamt 1300 Quadratmeter Nutzfläche mit frischer Luft versorgen. Noch stehen die Propeller im Innern der Anlage still. Sie warten darauf, dass ihr Herr und Meister im Februar 2012 das komplexe System aus Zu- und Abluft in Betrieb setzt.

Rückpass. Fischer war nie der Prototyp eines protzigen Kicker-Millionarios, der die Klischees der Traumwelt bedient. Als der gebürtige Paderborner 1987 sein erstes Profispiel für Remscheid in der Zweiten Liga bestritt, war er schon 22 Jahre alt und hatte erfolgreich eine Tischlerlehre absolviert. Erst zwei Jahre später feierte Fischer für Leverkusen sein Debüt in der Bundesliga. Stolze 303 Bundesligaspiele kamen am Ende für Bayer und den HSV zusammen. In den zwölf Jahren erledigte er seinen Job stets zuverlässig, aber eher unauffällig. Sein Wille war ausgeprägter als sein Talent, was aber durchaus für mehr als passable Leistungen reichte. 1993, als Bayer Leverkusen den DFB-Pokal gegen Hertha II gewann (1:0), stand er 90 Minuten auf dem Platz. Häufiger war Fischer für eine Nominierung in der Nationalmannschaft im Gespräch, gereicht für den Sprung ins nationale A-Team hat es aber nie.

Mit privaten Informationen ging ein zurückhaltender Mensch wie er sparsam um: In einem HSV-Steckbrief gab er unter der Rubrik Lieblingsmusik "vieles" an. Um Schlagzeilen zu erzeugen, bedurfte es schon der Nachricht, dass er sich sterilisieren lassen wolle - und der Trennung von seiner Frau.

Querpass. Früher begann Andreas Fischers Arbeitszeit um 15.30 Uhr, heute verlässt er an den Wochentagen um fünf Uhr morgens das Haus in Hitzhusen bei Bad Bramstedt und fährt eine gute Stunde nach Geesthacht zur Baustelle. Erst gegen 18.30 Uhr ist er wieder zuhause. Im Februar hat der selbstständige Unternehmer damit begonnen, in dem mehrgeschossigen Gebäude Rohre zu verlegen. Wenn die Zeit drängte, engagierte Fischer auch mal zwei, drei Aushilfen für die Montage. Die grobe Planung erstellte ein Architektenbüro, die Machbarkeit und Umsetzung, verbunden mit notwendigen planerischen Korrekturen, liegt in seiner Verantwortung. Den Auftrag für das Großprojekt hat Fischer von der Firma Kälte-Bast, einem Spezialisten im Bereich Klimatechnik. Der Schwiegervater seiner zweiten Ehefrau ist dort Geschäftsführer. Er war es auch, der ihn auf die Idee brachte, die Luft zu seinem Element zu machen und forderte ihn auf: "Schau' dir das mal an, vielleicht gefällt dir das."

Fehlpass. 2004, zwei Jahre nach dem Ende seiner aktiven Laufbahn, merkte Fischer, dass er einen Irrweg eingeschlagen hatte. Seine Mission als Trainer, den SC Verl aus der Oberliga wieder in die Regionalliga zu führen, war gescheitert - Verl schloss die Saison "nur" als Vizemeister ab. Viel entscheidender jedoch war, dass sich Fischer in seiner neuen Rolle nicht wohl fühlte: "Ich hatte im Fußball als Spieler immer viel Spaß, aber das ganze Drumherum war nie so mein Ding." Ruhig, nett und bescheiden, so erlief sich Fischer sein gutes Gehalt. Der Rest störte nur. "Ich war froh, dass ich mit Fußball so viel Geld verdienen konnte, aber diese ganze Schauspielerei liegt mir einfach nicht." Fischer registrierte, dass er als Trainer einer Fußballmannschaft noch stärker in den Fokus geriet: Krisensitzungen mit den Funktionären, Gespräche mit Spielern, Verhandlungen mit Beratern, repräsentative Aufgaben mit den Sponsoren und mediale Nachrichtengier.

Die Zeit für Privates wurde knapper und knapper. Fischer erinnerte sich daran, dass ihn die vielen Reisen als Fußballer schon einmal von seiner Familie entfremdet hatten, und musste an den Spruch seines Trainerausbilders denken: "Denkt daran, dass es in Deutschland 2800 arbeitslose Trainer gibt." Und nur 36 Jobs in der Ersten und Zweiten Liga, ergänzte Fischer im Kopf und sagte sich: "Ich will leben und meine Ruhe haben." Verl blieb seine erste und letzte Trainerstation.

Finaler Pass. 2009 endet seine Ausbildung. Und was ihm einst als Sportler versagt blieb, gelingt ihm nun als Handwerker: Fischer darf sich Meister (für Kälte und Lüftung) nennen, nachdem er in Harburg die letzte Prüfung absolviert und mit der Gesamtnote befriedigend bestanden hat. Nur einfach so einen Job runterzuspulen, reizte den ehrgeizigen Fischer nicht. Er wollte die Chancen, die dieser Beruf bietet, in allen Facetten auskosten und ausreizen, das Bestmögliche aus sich herausholen.

Natürlich verdient er heute als Handwerker bei weitem nicht so viel wie als Fußballer, aber der von seiner Kindheit geprägte Fischer hat ein spezielles Verhältnis zu Geld. "Wir waren fünf Geschwister, mein Elternhaus war sehr arm, wir mussten uns alles erarbeiten", blickt er zurück. "Wenn ich mir als 15- oder 16-Jähriger mal einen Wunsch erfüllen wollte, musste ich mir das Geld dafür selbst verdienen." Als Profi hat er zurückhaltend gehaushaltet. Als verrückte Tat galt für ihn schon ein Ein-Tages-Trip nach Mallorca zu der Hochzeitsfeier eines Freundes.

Während er früher im HSV-Steckbrief davon träumte, mit der ganzen Familie mal drei Wochen zusammen Urlaub zu machen, gönnte er sich in der Realität gerade mal fünf Tage auf Rhodos. Mehr brauchte er auch nicht, wie er feststellte: "Ich fahre zwar gerne auch mal irgendwo hin, aber zwei Wochen nichts tun? Das ist nichts für mich."

Der inneren Stimme, die ihn antrieb, sich eine neue Aufgabe nach dem Fußball zu suchen und nicht nur sein Geld zu verwalten, gehorchte er gerne, auch wenn die freie Zeit längst wieder knapp geworden ist. Zumal es genug andere Aufgaben gäbe. Zuhause in Hitzhusen betreiben seine Frau Katrin und deren Mutter einen Reithof und züchten deutsche Reitponys. 40 Tiere sind es derzeit. An den Wochenenden gibt es für Fischer in den Ställen, der Reithalle oder der Führanlage immer etwas zu tun, seine Frau präsentiert die Tiere häufig auf Turnieren. Und irgendwie wundert es nicht, dass Fischer die potenziellen Käufer sofort einschränkt: "Also, an Freizeitreiter wollen wir die Ponys nicht abgeben. Wir suchen ambitionierte Kinder, die auch mal um die deutsche Meisterschaft reiten wollen."

Doppelpass. Sportlich wird es für Fischer nur noch selten. Training? Keine Zeit, keine Lust. Dreimal hat er in diesem Jahr für die HSV-Altliga die Schuhe geschnürt, mehr Auftritte lassen die Termine selten zu. "Da wir häufig an einem Freitag spielen, müsste ich dafür einen ganzen Arbeitstag opfern", sagt Fischer. Dass für ihn das nicht infrage kommen würde, muss er nicht erwähnen. Dabei wird es für die Verantwortlichen der Alten Herren immer schwieriger, Identifikationsfiguren wie ihn aufzutreiben, die mehrere Jahre für einen Klub spielten.

Als größte Momente beim HSV nennt Fischer die Spiele in der Champions League 2000/01, das 4:4 gegen Juventus Turin - obwohl er nur auf der Bank saß - oder die Partien gegen La Coruña und Panathinaikos Athen. Das alles ist so weit weg. Mitgeholfen zu haben, den Klub in Krisenphasen vor dem erstmaligen Abstieg bewahrt zu haben, ist im Grunde sein größter Verdienst. Aber dafür gibt es keine Ehrungen.

Den zwischenzeitlichen Absturz seines HSV in 2011 hat Fischer sorgenvoll, aber aus der Distanz betrachtet. In seinem Job wird er nur noch gelegentlich als ehemaliger Profi identifiziert und muss über die aktuelle Lage des Vereins diskutieren.

Wenn Fischer heute gelegentlich als Besucher den Weg zum HSV-Stadion findet, stehen auf dem Spielerparkplatz fast nur noch Nobelmarken. Äußerer Beleg dafür, dass die Spieler der jetzigen Generation auch in jungen Jahren schnell zu Gehaltsmillionären aufsteigen können. Darf ein 20-Jähriger mit einem Bentley vorfahren? "Warum denn nicht? Sie sorgen doch für einen guten Umsatz in der Autoindustrie", entgegnet er lächelnd, "die Jungs können doch nichts dafür, dass so viel Geld im Umlauf ist." Allerdings, so schränkt er ein, wüssten viele Spieler gar nicht, wie gut es ihnen geht: "Sie dürfen nie vergessen, dass Fußball für sie ein endliches Gewerbe ist und dass sie Rücklagen für die Zeit danach schaffen müssen." Jeglicher Neid, dass der Verdienst heute besser ist als früher, ist ihm fremd, getreu dem Motto: Der Vergleich ist des Glückes Tod.

Diagonalpass. Wir sitzen inzwischen in einem Café in der Geesthachter Fußgängerzone. Als Mittagssnack hat sich Fischer nur einen Kaffee und ein Stück Kuchen gegönnt. Er tätschelt seinen Bauch als Begründung. Als wir den Raum betreten hatten, war sein Blick unmerklich nach oben gegangen. Er gesteht, dass die jahrelange Arbeit ihre Wirkung hinterlassen hat: "Egal, wo ich in öffentlichen Räumen bin, schaue ich an die Decke und ein Spielfilm läuft ab: Wie fühlt sich die Luft an? Ist die Temperatur korrekt? Was könntest du noch hier machen? Wo könnte die Außeneinheit stehen?"

Seine Gedanken gehen zurück zur Baustelle, den Meister der Lüfte zieht es zurück, schließlich wartet sein Werk auf die Vollendung, auf den einen Moment. "Wenn du auf den Knopf drückst und dann alles läuft, das gibt dir eine tiefe Befriedigung."

Aber nur so lange, bis die nächste Aufgabe wartet. Nicht nur in Geesthacht. Neun Wochen hat er mal in Paris verbracht, von der französischen Metropole aber nicht viel gesehen angesichts des Termindrucks mit den 13-stündigen Schichten. Die größte Reise, die in die Traumwelt und wieder zurück, hat er aber bereits erfolgreich zurückgelegt. "Ich habe die Zeit in der Bundesliga genossen"; sagt er beim Aufstehen noch, "aber ich habe kein Problem damit, inzwischen wieder ein normaler Handwerker zu sein."

Und Tor.