In Venezuela genießt der Mittelfeldspieler des HSV einen Starstatus. Jetzt hat der 23-jährige Tomás Rincón Angst vor Entführungen.

Hamburg. Zur Begrüßung zwinkert er freundlich mit dem linken Auge und lässt sich entspannt in den Sessel gleiten. Sofort entwickelt sich mit Tomás Rincón ein flottes Gespräch, natürlich in fließendem Deutsch. Unterricht braucht der Venezolaner, der 2008 nach Hamburg kam, seit einem Jahr nicht mehr - was durchaus nicht die Regel ist bei Fußballern. Sein Landsmann Juan Arango, der seit 2009 für Borussia Mönchengladbach spielt, hat noch immer einen Dolmetscher an seiner Seite, weil er absolut kein Deutsch spricht.

Mit Arango verbindet den HSV-Profi so einiges. Bei der Copa América sorgte das Team aus Venezuela mit dem Sprung ins Halbfinale international für Aufsehen. Auch in der WM-Qualifikation läuft es blendend nach Siegen über Argentinien (1:0) und Bolivien (1:0) sowie einem 1:1 in Kolumbien.

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Ende des Jahres wird es spannend: Wenn in Venezuela traditionell der Titel "Fußballer des Jahres" vergeben wird, kommen nur zwei Namen infrage: Rincón und Arango. "Wenn es klappt, schön. Wenn nicht, auch okay", sagt der Mittelfeldspieler. Es wäre für den 23-Jährigen sowieso nur eine nette Zugabe, nachdem es für Rincón zuletzt auch in Hamburg steil bergauf ging. Seit Thorsten Fink den HSV trainiert, hat Rincón nicht eine Minute in der Bundesliga versäumt. Hatte der Klub zu Beginn der Saison noch ein massives Problem in der Zentrale, so wirkt der nur 1,75 Meter große Kämpfer als wichtiger Stabilisator. Immer anspielbar, kommt er zumeist auf die meisten Ballkontakte. Zudem profitiert er davon, dass Fink früher selbst auf der Sechs spielte: "Der Trainer gibt uns viele praktische Tipps, wie wir uns im defensiven Mittelfeld zu verhalten haben."

Rincón erzählt vom neu gewonnenen Rhythmus, der Sicherheit in seinem Spiel dank der kontinuierlichen Einsätze, und wird kurz nachdenklich: "Ich habe lange gewartet auf diesen Moment und übernehme gerne diese Verantwortung. Genau wie in der Nationalmannschaft." Häufig hätte er sich immer wieder neu motivieren müssen, nicht aufzugeben, vor allem in den Phasen, als er mehrfach nicht im Kader stand. "Aber dass es ein Fehler war, nach Hamburg zu kommen? Diesen Gedanken hatte ich nie."

Für sein geringes Lebensalter wirkt Rincón sehr reif, was wohl auch an seinem familiären Hintergrund liegt. Nachdem die Mutter früh verstorben war, musste er sich um seine kleine Schwester Imalay kümmern. "Ich habe sie nach Teneriffa geschickt, sie möchte Köchin werden", sagte er gestern fast nebenbei. Er wollte sie aus seiner in den Anden gelegenen Heimatstadt St. Cristóbal herausholen, wo es für Familienmitglieder Rincóns gefährlich geworden ist. "Ich habe keine Panik, aber schon ein bisschen Angst, wenn ich dort bin", gibt er zu. Entführungen von Prominenten sind keine Seltenheit, vor einigen Wochen wurde der Baseball-Spieler Wilson Ramos gekidnappt. Und in seiner Heimat genießt Rincón fast Heldenstatus, alle HSV-Spiele sind im TV zu sehen. So verwundert es nicht, dass sich Rincón Gedanken macht: "Noch habe ich keinen Bodyguard, später aber vielleicht schon."