Bei HSV-Gegner Bayer Leverkusen übernimmt Ex-“Capitano“ Michael Ballack nach langer Leidenszeit wieder die Führungsrolle.

Hamburg/Leverkusen. Die Aussage von Rudi Völler ist gerade mal gute zwei Monate alt: "Wenn er auf uns zukommen sollte, wären wir gesprächsbereit und würden eine vernünftige Lösung finden", sagte der Sportchef von Bayer Leverkusen Ende August, gefragt nach einem möglichen Wechsel Michael Ballacks bis zum Ende der sommerlichen Transferperiode. Der Stellenwert des 35-Jährigen war auf einen Tiefpunkt gestürzt. Im Juni hatte der Rosenkrieg zwischen dem 98-fachen Nationalspieler und Bundestrainer Joachim Löw ein unrühmliches Ende gefunden, als der Deutsche Fußballbund (DFB) das Ende der DFB-Karriere des einstigen Vorzeige-"Capitanos" verkündet hatte und dieser tief getroffen auf einen Abschied im Rahmen des Freundschaftsspiels gegen Brasilien dankend verzichtete.

Bei Bayer war es ihm als Ergänzungsspieler kaum besser ergangen, der Wechsel von Chelsea an den Rhein im Juni 2010 schien sich als Fehlentscheidung für beide Seiten zu entpuppen. Die Bayer-AG, die für den neuen Imageträger zehn Millionen Euro für zwei Jahre Vertrag lockermachte, profitierte ebenso wenig wie Ballack selbst. Dieser hatte damals neben Leverkusen auch intensiv mit dem VfL Wolfsburg und dem HSV verhandelt. Der damalige Vorsitzende Bernd Hoffmann wollte um den erfahrenen Ballack ein neues Team, der sich dann aber für den Klub entschied, wo er zum Weltstar aufgestiegen war.

Doch die Schnelllebigkeit scheint das Schicksal Ballacks zum Ende seiner Spielerkarriere zu sein. Wenn der HSV am Sonnabend (18.30 Uhr) zum zwölften Bundesligaspiel der Saison in der BayArena antritt, wird Ballack in Leverkusen wie selbstverständlich wieder als Chef geführt. Vorbei der Zwist mit Neutrainer Robin Dutt, der ihm nach dem in Freiburg erlittenen Nasenbeinbruch die Entscheidung überließ, ob er in der Champions League mit einer 100 Gramm leichten Carbonmaske gegen Valencia auflaufen wolle. "Zorro Ballack", wie ihn der Boulevard taufte, spielte und war bei der 1:3-Niederlage bester Bayer-Akteur.

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Ballack mit dem "Rächer der Armen" der 20er-Jahre in Verbindung zu bringen, passt erst auf den zweiten Blick. Schon als Auslaufmodell früherer hierarchischer Strukturen abgestempelt, erkämpfte sich Ballack verbissen die Akzeptanz in einem Team, dem nach den Abgängen von Leistungsträgern wie Sami Hyppiä und Arturo Vidal die Balance abhanden gekommen war. Gerade einmal fünf Heimtore in fünf Spielen zeugen von der aktuellen Schwächephase der Leverkusener, die als Tabellenachter den Erwartungen deutlich hinterherhinken. Dankbar gestattete der bislang eher glücklose Dutt Ballack die Boss-Rolle. Dabei spielte die wieder erlangte Fitness - gerade in seinem Alter - eine entscheidende Rolle.

Einblicke in seine Seele ließ Ballack jedoch nur selten zu, "Zorro" kämpft lieber seinen einsamen Kampf, desillusioniert davon, wie schnell die in seinen langen Profijahren geschaffenen Werte in der öffentlichen Wahrnehmung nichts mehr wert und das Vertrauen in die einstige Stärke geschwunden waren. Einzig im September gab er vor dem Champions-League-Spiel beim FC Chelsea der "Times" preis, wie frustrierend er es empfand, in der Nationalmannschaft nie mehr eine echte Chance zur Rückkehr bekommen zu haben: "Deshalb bin ich noch sehr unglücklich." Kein Wunder - einen solchen Absturz eines führenden Nationalspielers hat es in der DFB-Geschichte wohl noch nie gegeben.

Dass er trotz vieler Erfolge mit seinen Vereinen Kaiserslautern, Leverkusen, Bayern München und Chelsea London als der "Unvollendete" in die Geschichtsbücher eingehen wird, ist Ballack inzwischen nicht nur bewusst, er hat es auch akzeptiert: "Ich hatte eine großartige Karriere. Auch keinen großen internationalen Titel gewonnen zu haben, ist ein Teil dieser Karriere", sagte er der "Sunday Mail". Doch dieser Makel wird für ihn viel leichter zu ertragen sein, wenn er es am Ende dieser Saison - es dürfte sehr wahrscheinlich seine letzte sein - allen seinen Kritikern und Zweiflern noch einmal gezeigt hat. Und dazu bedarf es für den Maskenmann keiner Titel. Es reicht, wenn er die Chance hat, gebraucht zu werden.