Nach dem 1:1 gegen Wolfsburg gibt es viel Lob für den Trainer. Fink selbst widerspricht, sagt: “Wir sind doch gerade erst am Anfang.“

Hamburg. Dem Rücken ging es schon wieder ganz gut, und auch das lädierte Knie bereitete am Sonntag keine ernsthaften Probleme mehr. Und trotzdem hielt der bestens erholte Frank Arnesen beim gestrigen Training der Reservisten mehrere Meter Sicherheitsabstand zu Trainer Thorsten Fink, der es doch wirklich beim 1:1 des HSV gegen den VfL Wolfsburg auf die Gesundheit des Sportchefs abgesehen hatte. "Mann, ist der schwer! Ich bin richtig eingeknickt", hatte Arnesen am späten Sonnabend gewitzelt, als er noch mal erzählen musste, wie ihm Fink beim ekstatischen Jubel über den Ausgleichstreffer Mladen Petrics vor Freude mit Anlauf auf den Rücken gesprungen war. Er sei ihm aber natürlich nicht böse, schließlich hätte er sich mindestens genauso gefreut wie der Coach, sagte Arnesen, "wir haben jetzt eben einen hoch emotionalen Trainer, aber das finde ich gut".

Richtig gut, da waren sich eigentlich alle Protagonisten einig, war vor allem der erste Auftritt des HSV unter dem Nachfolger Michael Oennings. "Wir haben mit viel Leidenschaft gespielt, viel Ballbesitz gehabt, wir hatten eigentlich alles, das ist das, was ich mir wünsche", lobte Fink, der nur mit der mangelhaften Chancenverwertung seiner Profis unzufrieden sein musste. Lediglich Stürmer Petric vollendete den schönsten Spielzug des Abends mit einem Tor (56.), was Fink mit dem schon erwähnten Sprung auf den Rücken seines Vorgesetzen feierte. Zum ersten Heimsieg nach 217 Tagen reichte der sehenswerte Treffer allerdings nicht, da VfL-Stürmer Mario Mandzukic nur 65 Sekunden nach dem Anpfiff für die Wolfsburger Führung gesorgt hatte. "Natürlich gibt es immer noch viel, was wir in den nächsten Tagen und Wochen verbessern müssen", bilanziert Fink, dessen letzter Satz des Abends fast wie eine Drohung klang: "Wir sind doch gerade erst am Anfang."

+++ Der HSV spielt 1:1 gegen Wolfsburg bei Fink-Debüt +++

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Wenn der Auftritt der Hamburger gegen den VfL tatsächlich nur ein Appetithappen gewesen sein soll, dann dürfen sich die zuletzt ausgehungerten HSV-Fans auf einen wahren Festschmaus freuen. Bereits am Sonnabend bot Finks Mannschaft so ziemlich alles, was in dieser Saison bislang vermisst wurde. 20:7 Torschüsse, 8:4 Ecken, 12:10 Flanken, 148:143 Sprints, 59:41 Prozent Ballbesitz und 52:48 Prozent gewonnene Zweikämpfe spiegelten dabei nur im Ansatz wider, was sich in 90 unterhaltsamen Minuten auf dem Platz abgespielt hatte. Höhepunkt des Abends war zweifelsohne der Treffer Petrics, der die Ballstafette über Gökhan Töre, Gojko Kacar, Paolo Guerrero und erneut Kacar in Perfektion vollendete. Dabei ist wohl die erstaunlichste Tatsache, dass Fink gerade mal fünf Tage reichten, um seine theoretische Idee von Fußball auch in der Praxis umzusetzen. "Der Stil von Thorsten war deutlich zu erkennen. Er weiß genau was er will, und das kann er auch der Mannschaft erklären", lobte Arnesen, nachdem er sich vom sprunggewaltigen Fink in Sicherheit gebracht hatte.

Die auffälligste Neuerung war, dass besonders das defensive Mittelfeld, bislang ein kreatives Vakuum, als Ausgangspunkt von Finks Angriffsfußball herhalten musste. So ließen sich wechselweise Kacar oder Tomas Rincon bis an den eigenen Strafraum zurückfallen, um das Spiel von dort aufzubauen, im Mittelfeld Platz zu schaffen und das Spiel möglichst breit zu machen. "Wer Ahnung von Fußball hat, der hat gesehen, dass hinter allem ein ganz genauer Plan steckte", sagte Linksverteidiger Dennis Aogo, der genau wie sein Pendant Heiko Westermann weit aufrücken und so das von Fink geforderte Flügelspiel unterstützen sollte. "Wir wollten Offensivfußball zeigen, viel Ballbesitz haben und Chancen kreieren", sagte Westermann, der auch den entscheidenden Faktor für die nicht zu erwartende Leistungssteigerung parat hatte: "Man konnte deutlich die Handschrift des Trainers erkennen."

Lediglich der sonst so selbstbewusste Fink wollte in den Chor der Lobhudeleien nicht vollends einsteigen. "Ich glaube nicht, das man nach nur fünf Tagen bereits so etwas wie eine Handschrift erkennen kann", sagte der Gelobte, der das Pokalspiel am Dienstag gegen Eintracht Trier nutzen will, um den von ihm geforderten Angriffsfußball weiter zu verfeinern. Dabei dürfte es besonders auf der rechten Seite, wo Gökhan Töre eine gute Stunde lang hoch und runter lief, nur wenig Optimierungspotenzial geben. Auf der linken Seite konnte Startelfrückkehrer Marcell Jansen dagegen nur bedingt überzeugen, der eingewechselte Zhi Gin Lam stünde in Trier als Alternative bereit. Bereits am Sonntag ließ Fink seine Profis die zweite Hälfte des Spiels gegen Wolfsburg noch mal auf DVD Revue passieren, um vor allem aber das lang vermisste Leistungsvermögen per Videobeweis zu demonstrieren.

Frank Arnesen hatte sein Urteil bereits vor dem Fernseh-Vormittag gefällt. "Das Spiel war unsere bislang beste Partie in dieser Bundesligasaison", sagte der Däne, dem Finks angedeuteter Kuss nach dem Schlusspfiff deutlich besser als der schmerzhafte Jubel nach Petrics Tor gefallen hat: "Thorsten sieht sehr gut aus. Ein Kuss von ihm ist also nicht so schlecht."