Noch hat HSV-Trainer Oenning nach dem Exodus an vermeintlichen Führungsspielern kein Grundgerüst für sein neu formiertes Team gefunden.

Hamburg. Michael Oenning marschiert voran - zumindest am frühen Morgen vor dem Training. Mit einer Verspätung von einer guten halben Stunde spaziert der HSV-Trainer lächelnd um 10.33 Uhr auf den Trainingsplatz, dicht gefolgt von seinen nicht weniger gut gelaunten Assistenten Frank Heinemann, Ronny Teuber und Günter Kern. Die Profis, ebenfalls bester Stimmung, traben erst einige Minuten später den kurzen Weg vom Kabinentrakt im Stadion zum nahe gelegenen Platz. Das Betriebsklima beim HSV, so ist zumindest der Eindruck, könnte nach zwei Spieltagen dieser noch jungen Bundesligasaison nicht viel besser sein.

Also alles in Lot? Mitnichten!

"Wir haben keine Super-, Mega-, Hyperkrise", stellt Oenning empört fest, als er nach der Vormittagseinheit auf den, vorsichtig formuliert, suboptimalen Start angesprochen wird. "Ich würde nicht von einem misslungenen Start sprechen." Oenning wird ernst, das Lächeln verschwindet. Eine Bewertung der sportlichen Lage komme nach nur zwei Spielen zu früh. Oenning gestikuliert, streicht sich über das Gesicht. Er habe keine Angst, sei nicht besorgt.

Die Wahrheit liegt bekanntlich in der Mitte. Natürlich klingt es grotesk, schon nach den beiden sieglosen Spielen gegen Dortmund und Berlin ernsthaft vom Abstiegskampf zu sprechen. Und trotzdem dürfen die Partien gegen den Meister und einen Aufsteiger, in denen der HSV durchweg enttäuschte, sehr wohl als Gradmesser für den Leistungsstand nach der Vorbereitung angesehen werden. Niemand muss Angst haben, Grund zur Sorge gibt es aber mehr als ausreichend.

"Ich weiß, dass wir vieles noch besser machen müssen", gibt Oenning selbstkritisch zu, "es ist uns bislang noch nicht gelungen, eine echte Spielidee umzusetzen." Anders als Vorgänger Armin Veh, der meistens in der Ich-Form sprach, redet Oenning beinahe ausnahmslos in der Wir-Form. Wir sind auf der Suche, wir müssen besser werden, wir wollen kompakter stehen. Der 45-Jährige versucht die Profis einzubinden, verteilt Verantwortlichkeiten, stärkt die Gemeinschaft. Eine funktionierende Mannschaft, auch das weiß Oenning ganz genau, hat er so aber noch nicht gefunden.

Nach dem Exodus an vermeintlichen Führungsspielern (Frank Rost, Zé Roberto, Ruud van Nistelrooy, Joris Mathijsen, Piotr Trochowski), die im Sommer aussortiert wurden, setzt Oenning in dieser Saison auf flache Hierarchien. Kapitän bleibt Heiko Westermann, seine Stellvertreter sind Dennis Aogo und Mladen Petric. Eine dringend benötigte Achse auf dem Spielfeld ist indes noch nicht zu erkennen. "Wir sind noch auf der Suche nach einer echten Achse", sagt der Fußballlehrer, dem besonders die Besetzung der Mittelfeldzentrale Kopfschmerzen bereitet.

Gegen Bayern München (Sa., 15.30 Uhr/Sky) will es Oenning nun erstmals mit den Routiniers Westermann und David Jarolim auf der "Doppel-Sechs" probieren ("eine denkbare Alternative"), nachdem alle anderen Konstellationen bislang nicht überzeugten. Die jungen Innenverteidiger Jeffrey Bruma, 19, und Michael Mancienne, 23, sollen von den Außenverteidigern Dennis Aogo und Dennis Diekmeier sowie vom erfahrenen Torhüter Jaroslav Drobny geführt werden. "Wir wollen sehr kompakt aus der Defensive spielen", kündigt der Coach ein echtes Geduldsspiel beim Rekordmeister an.

Dabei weiß auch Oenning, dass Geduld bekanntlich eine Tugend ist, die im Geschäft Fußball wenig verbreitet ist. Der Harvestehuder ist sich darüber im Klaren, dass nach saisonübergreifend neun sieglosen Spielen in Folge, Umbruch hin oder her, auch von ihm möglichst bald Erfolge erwartet werden. "Wir kommen nicht aus der Nummer raus, Ergebnisse zu erzielen", sagt Oenning, der die schlechteste Startbilanz aller HSV-Trainer aufweist. Nie zuvor hat ein HSV-Trainer nur eins von den ersten zehn Spielen auf der Bank gewonnen. "Ich halte nicht viel davon, saisonübergreifende Dinge zu vergleichen", kontert der Coach, der sich lediglich über das 6:2 gegen Köln bei seinem Debüt freuen durfte. "Man kann Äpfel nicht mit Birnen vergleichen."

Ausreichend Zeit für den viel zitierten Umbruch erwartet aber ohnehin niemand beim HSV. "Wir müssen davon wegkommen, zu viel über den Umbruch zu reden", sagt Marcell Jansen, der in München den formschwachen Eljero Elia im linken Mittelfeld ersetzen soll. "Wir dürfen nicht denken, dass wir viel Zeit bekommen, wir müssen stattdessen endlich mal etwas umsetzen."

Ausgerechnet gegen Bayern soll damit nun angefangen werden. Ausgerechnet? Gerade gegen Bayern! "Unser Vorteil ist, dass wir schon gegen München gespielt und gesehen haben, dass es auch gegen die Bayern klappen kann", so Oenning, der daran erinnert, dass seine Mannschaft beim T-Home-Cup 2:1 gewann. Psychologisch sei das durchaus ein Faktor, sagt er und grinst. Der Trainer, und das ist die Erkenntnis eines ganz normalen Trainingstages, geht weiter voran.