Der deutsche Nationalspieler versteht nicht, warum man in Hamburg nicht auf ihn setzt, und wehrt sich gegen Vorwürfe der Wehleidigkeit.

Hamburg. Wenn Joachim Löw seine 22 Auserwählten heute um 11 Uhr in der Arena Wiesbaden zum ersten Training vor dem EM-Qualifikationsspiel gegen Kasachstan (Sa, 20 Uhr, Kaiserslautern) bittet, hat Marcell Jansen seine Einheit in Hamburg fast hinter sich - mit dem kleinen Rest der Spieler, die sich nicht auf Länderspielreisen befinden. Und statt abends im Hyatt Regency in Mainz den Analysen des Bundestrainers zu lauschen, steht das Benefizspiel gegen Oberligaklub Eintracht Norderstedt (18.30 Uhr, Edmund-Plambeck-Stadion) zugunsten der Familie von Arlind Berisha an.

Verwunderlich ist es auf den ersten Blick nicht, dass Löw bei der Nominierung vergangene Woche freiwillig auf die Dienste des 25-Jährigen verzichtete. Schließlich hatte Jansen auch unter dem inzwischen entlassenen HSV-Trainer Armin Veh seinen Stammplatz im Verein eingebüßt. Dass Nachfolger Michael Oenning dem Linksfuß in seinem ersten Spiel als Cheftrainer gegen Köln noch nicht einmal einen Platz im Kader einräumte, rundete Jansens Woche im negativen Sinne ab.

Vor nicht einmal einem Jahr allerdings schien das Vertrauen Löws noch unerschütterlich. Obwohl Jansen ab dem 21. März wegen einer Fußverletzung nicht mehr eingesetzt werden konnte, reiste er als Rekonvaleszent in die DFB-Trainingslager vor der WM nach Sizilien und Südtirol. Jansen gewann den Wettkampf um seine Fitness und stand in vier WM-Partien auf dem Platz, inklusive des Halbfinals gegen Spanien und des Spiels um Platz drei gegen Uruguay. "Ich bin seit 2005 im Kreis der Nationalmannschaft, war bei zwei großen Turnieren dabei, habe viele wichtige Spiele gemacht und mir dieses Vertrauen des Bundestrainers in dieser Zeit erarbeitet", sagte Jansen damals

Und heute? "Im Moment passiert so viel im Verein, da will ich mich nicht als Einzelner so in den Vordergrund spielen, schließlich muss der HSV jetzt sehr wichtige Entscheidungen treffen, die den Sommer stark beeinflussen", sagt der 36-fache Nationalspieler, um aber fast im gleichen Atemzug zu betonen, dass er sensibilisiert ist: "Noch weiß niemand, was im Sommer passiert. Auch ich nicht. Deshalb bin ich auch noch geduldig. Auf jeden Fall bis zum Sommer. Dann wird es wichtig sein, dass gewisse Dinge greifen. Bis dahin werde ich alles genau beobachten. Ich merke mir, wie man mit mir umgeht."

Wer schuld sei an seiner Nichtberücksichtigung für die DFB-Auswahl, ist für Jansen klar: der HSV. "Schlimm ist für mich, dass ich mich zuletzt nicht für die Nationalmannschaft empfehlen konnte, da hat mir der Verein Steine in den Weg gelegt, das ist ganz bitter. Denn meine Leistungen waren immer okay." Eine Wahrnehmung, die von Veh nicht geteilt wurde und beispielsweise auch nicht durch die Bewertungen des "Kickers" gestützt worden, wo seine 14 Einsätze an 27 Spieltagen mit der Durchschnittsnote 4,12 eingestuft wurden.

Eigentlich müsste Jansen als ein Schwergewicht in Fußball-Deutschland anerkannt sein. Bei der Heim-WM 2006 und auch der EM 2008 war er der jüngste Spieler im Kader. Jetzt, mit 25, kann er auf drei Teilnahmen von großen Turnieren zurückblicken. In seiner Vita steht: EM-Vize, zweimal WM-Dritter. Eine stolze Bilanz.

Dennoch hat er mit seinem Image zu kämpfen. Er gilt als verletzungsanfällig und fiel zuletzt nach einem Zehenbruch in der Hinrunde lange aus - was sein Verhältnis zu Veh belastet haben soll. "Es kann sein, dass es da ein Problem gab", gibt er jetzt zu, "Aber mich immer zu rechtfertigen, dass ich verletzt war, geht mir auf den Sack. Ich habe mir den Zeh narkotisieren lassen, einmal sogar so sehr, dass mein Bein taub wurde. Wir haben es probiert, aber es ging nicht. Wenn das dem Trainer missfallen hat, dann wohl, weil es in der Phase auch stark um seinen Job ging."

Jansen glaubt nicht, dass es sportliche Gründe gewesen sein können, die zu seinem Reservistendasein geführt haben: "Ich werde auf der Straße und selbst auf dem Spielfeld gefragt, was denn da los sei. Und ich habe keine Antwort. Nein, irgendwie wollte man meine Hilfe hier bislang nicht. Aber ich überlasse es jedem Einzelnen, sich selbst eine Meinung darüber zu bilden."

Keine Frage: Jansen, dessen Vertrag in Hamburg noch bis 2013 läuft, ist frustriert. Er hofft auf Einsätze, will mithelfen, dass der Neuanfang des HSV unter Michael Oenning gelingt. "Obwohl, ein wirklicher Neuanfang ist das sicher nicht. Michael hat ja auch vorher schon zu 70 Prozent alles gemacht."