Michael Oenning, Vehs Assistent beim HSV, spricht im Interview mit dem Hamburger Abendblatt über Trainerwechsel und Spielerintelligenz.

Hamburg. Am 21. Dezember 2009 trennte sich der 1. FC Nürnberg von Michael Oenning. Seit Sommer arbeitet der 45-Jährige als Co-Trainer für den HSV und kehrt Sonnabend erstmals an seine alte Wirkungsstätte zurück.

Abendblatt: Stimmen Sie als Germanist zu, dass Fußballer zu doof sind?

Michael Oenning: Das würde ich sofort verneinen! Wäre ja Wahnsinn. Spielintelligenz ist zweifellos vorhanden, es gibt Profis, die mit ihrer Erfahrung instinktiv die richtige Entscheidung treffen. Aber klar, ein Team wird umso besser sein, je mehr es taktische Vorgaben über einen langen Zeitraum auch wirklich umsetzen kann.

Wäre es dabei nicht hilfreich, die geistige Ausbildung zu fördern, statt zu kappen? Ein Talent wie der 17-jährige Julian Draxler bricht sogar das Abitur ab.

Oenning: Gäbe es eine Erhebung, wie viele Fußballprofis einen Schulabschluss oder sogar Abitur haben, würde man sich wundern. Es gibt auch das Gegenbeispiel, dass kluge Fußballer viel zu sehr mit sich selbst hadern. Thomas Broich (Burghausen, früher Gladbach, die Red.) ist ein hochintelligenter Junge, der zu viel mit sich selbst zu tun hatte, als einfach unbeschwert Fußball zu spielen. Intelligenz ist nicht nur ein Vorteil. Ich glaube auch nicht, dass elf Abiturienten die beste Fußballmannschaft wären.

Ich meine nicht, dass van Nistelrooy sich die "Deutschstunde" von Siegfried Lenz durchlesen müsste, um über Freude an seinen Pflichten zu sinnieren. Geht es nicht um Persönlichkeitsentwicklung?

Oenning: Die "Deutschstunde" sollte er auf jeden Fall lesen, das ist ein sehr gutes Buch. Wir sind gut beraten, wenn wir die bestmögliche Schulbildung für unsere Jungs im HSV-Nachwuchs herstellen, Bildung ist sehr wichtig. Aber die Entscheidung nach der zehnten Klasse für den Fußball kann trotzdem richtig sein. Ich wundere mich, wie wenig Profis von der Zeit, die sie neben dem Fußball haben, nutzen, um zu lernen. Eine Fremdsprache zum Beispiel.

Apropos, warum achten viele Klubs zu wenig darauf, dass ihre Ausländer schnell Deutsch sprechen? Die Sprache ist doch der Schlüssel für alles: Teaminterne Kommunikation, Wohlfühlfaktor.

Oenning: Es gibt genug Gegenbeispiele in der Liga. Sie dürfen aber nicht vergessen: Wenn die intellektuellen Fähigkeiten nicht so ausgeprägt sind, ist es auch schwierig, Deutsch zu lernen. Dazu kommt, dass, wenn viele Sprachen vorhanden sind, man gerne dazu neigt, in diese Sprachen zurückzufallen.

Würde ein Training des Kopfes nicht auch in Drucksituationen helfen, konzentriert zu bleiben?

Oenning: Wer gut austrainiert ist, kann sich länger konzentrieren. Wer dann noch Strategien entwickelt, fokussiert zu bleiben, obwohl man müde wird, ist man sicher im Vorteil. Aber das ist vom Individuum abhängig, wer in der Lage ist, das zu begreifen. Da sind wir dann wieder beim Intellekt.

Das Image der Fußballer hat in dieser Transferperiode wieder sehr gelitten ...

Oenning: ... ich würde das nicht auf den Fußballer abwälzen. Problematisch ist eher das System, das die Möglichkeit bietet, sich trotz eines Vertrags rauszuzicken und seinen Egoismus durchzubringen. Das ist aber auch ein gesellschaftliches Problem.

Sehen Sie Chancen, die Identifikation und andere Werte als Geld zu fördern?

Oenning: Auf jeden Fall. Jeder Spieler hat eine große emotionale Bindung zu dem Klub, wo er seine ersten Profi-Schritte gemacht hat. Wenn man es schafft, diese Spieler langfristig zu binden, entsteht so was von alleine. Es gibt aber auch Spieler, die mehr Wechsel haben als Profijahre. In diesen Fällen ist sicher was schiefgelaufen in der charakterlichen Ausbildung, weil sie nie Hindernisse überwunden haben. Das ist auch ein Auswuchs der Globalisierung.

Wie meinen Sie das?

Oenning: Es gibt Berater, die den Spielern sagen: Du musst nicht gut Fußball spielen, du musst nur zum richtigen Zeitpunkt von A nach B transferiert werden. Komme ich in Deutschland nicht klar, gehe ich nach Spanien oder England. Denken Sie daran, wie viele Spieler überall ausgeliehen sind! Das zeigt, dass etwas völlig falsch läuft.

Die Trainer verbleiben auch nicht gerade lange in ihren Klubs.

Oenning: Die Halbwertszeit eines Bundesligatrainers beträgt elf Monate.

Für wen ist das ein schlechtes Bild?

Oenning: Für alle! Auch wir Trainer müssen uns eingestehen, dass wir offensichtlich nicht so gut sind, dass man uns vorbehaltlos behält. Das System ist an dieser Stelle völlig kaputt. Man wäre gut beraten, Mittelfristigkeit reinzubringen. Wir haben in Deutschland nur ganz wenige Vereine, die einen Trainer länger als zwei, drei Jahre haben. Daran zeigt sich das ganze Dilemma.

Der HSV half bei der Statistik tatkräftig mit. Wie schafft man die Wende?

Oenning: Man tut dem HSV unrecht, weil Trainer auch gegangen sind. Aber grundsätzlich muss die Vereinsphilosophie stimmig sein zu dem, was ich auch leisten kann. Und kommuniziert werden. Wenn ich von den handelnden Personen überzeugt bin, muss ich auch in schweren Zeiten zu ihnen halten.

Es gab Diskussionen um Veh, wie lange er bleibt. Beschäftigt Sie das?

Oenning: Ich habe ja den Vorteil, tagtäglich mit ihm zu arbeiten und zu wissen, was wir vorhaben. Insofern mache ich mir da gar keine Gedanken. Wir arbeiten sehr gut zusammen und versuchen, die Ziele umzusetzen.

Das klingt, als ob Sie große Lust hätten, mit Veh ihren Job zu verlängern.

Oenning: Das ist Ihre Interpretation. Aber wenn man erfolgreich ist, warum sollte man was ändern?