Der HSV verliert seinen letzten Test 2:4 gegen Energie Cottbus. Trainer Armin Veh entscheidet über Kapitänsamt und die Nummer eins im Tor.

Flensburg. Armin Veh ist ein wirklich guter Schauspieler. Kein bisschen Ärger oder Wut trübte sein Mienenspiel. Sanft lächelnd beobachtete der HSV-Trainer die Pokalübergabe an Claus-Dieter Wollitz, der den HSV mit Energie Cottbus im Flensburger Städtischen Stadion mit 4:2 (1:1) bezwungen hatte, und meinte milde: "Das war ein guter Test. Vielleicht war es gar nicht schlecht, dass wir verloren haben."

Einige Minuten später war es zumindest in Bezug auf seine Wortwahl mit der Güte vorbei. Immer noch freundlich im Ton sezierte der HSV-Coach die Leistung seiner Mannschaft, monierte die "fehlende Disziplin und das Herz" im Defensivspiel sowie den Verlust jeglicher Ordnung nach der Pause: "Von alleine kommt nichts. Wir müssen zu einhundert Prozent konzentriert agieren, und zwar über 90 Minuten. Und: Fußball ist noch immer ein Mannschaftssport."

Natürlich: Die Partie gegen den Zweitligaklub war im Endeffekt nur ein bedeutungsloser Test mit vielen Wechseln eine Woche vor dem Pokalspiel beim Torgelower SV Greif, der aber in Ansätzen die seit Jahren im HSV-Tram grassierende Krankheit schonungslos aufdeckt. Als Cottbus-Trainer Wollitz trotz des Sieges von einem Zwei-Klassen-Unterschied sprach und hinzufügte, der HSV habe viel, viel Qualität, müsse diese nur zusammen rüberbringen, nannte er den Hauptgrund für den fehlenden großen Erfolg in den vergangenen Jahren: die fehlende Einheit auf und neben dem Platz.

Nachdem der HSV in der ersten Hälfte mindestens drei Treffer hätte erzielen können, mit seiner Chancenverwertung aber mehr als fahrlässig gewesen war, fiel die HSV-Elf nach Wiederanpfiff in ihre Einzelteile auseinander, wodurch die zuvor harmlosen Cottbuser zu ihren Toren förmlich eingeladen wurden. Jaroslav Drobny dürfte der traurigste HSV-Profi an diesem verregneten Sonntagnachmittag gewesen sein, schließlich wollte der Tscheche noch einmal Pluspunkte im Kampf um die Nummer eins sammeln, was bei vier Gegentoren gründlich misslang, auch wenn ihn keine direkte Schuld traf.

Vieles spricht dafür, dass Frank Rost, der in Hamburg bleiben durfte, seinen Status als Nummer eins verteidigt, zu stark präsentierte sich der 37-Jährige während der Vorbereitung und zeigte sich viel präsenter auf dem Platz als sein Konkurrent. Würde Veh, der am Freitag seine Wahl öffentlich machen will, nicht nach dem Leistungsprinzip verfahren, wäre dies kein gutes Signal ans Team, das ganz genau registrieren wird, nach welchen Kriterien der neue Trainer seine Entscheidungen fällt.

Bedeutsam ist die T-Frage aber nicht nur in rein sportlicher Hinsicht, schließlich ist Rost in der Mannschaftshierarchie in der Chefetage angesiedelt. Eine Herabstufung würde die sichtlich noch brüchige Statik des Kaders gehörig durcheinanderwirbeln. Nicht minder wichtig ist Frage nach dem künftigen Kapitän. Gegen Cottbus durfte Neuzugang Heiko Westermann zum dritten Mal in Folge die Binde tragen. Der Ex-Schalker scheint in der K-Frage die besten Karten zu haben, den bisherigen Amtsinhaber David Jarolim abzulösen, was nicht gegen den immer vorbildhaft arbeitenden Tschechen spricht, sondern für ein sichtbares Zeichen an die Spieler: Diese Saison darf nicht einfach alles so weiter wie in der vergangenen Serie laufen.

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Das Vermeiden alter Verhaltensmuster wäre nicht nur wünschenswert, sondern auch, wie nicht zuletzt das Cottbus-Spiel zeigte, zwingend notwendig. "Das ganze Jahr wurde von Führungsspielern geredet, und dann war keiner da", nannte Marcell Jansen die "Strukturschwäche" ebenso als großen Mangel wie Mladen Petric, der umgekehrt beklagte, dass sich zu viele Häuptlinge im Kader befänden: "Wir brauchen mehr Leute, die marschieren, die annehmen, was erfahrene Spieler vorgeben. Es gibt zu viele, die schon ein Häuptling sein wollen." Da der Kader größtenteils zusammengeblieben ist, muss Veh ganz besonders darauf achten, ob sein Team als Mannschaft in die richtige Richtung marschiert.

Nähme man das Cottbus-Spiel als Maßstab, müsste bei Veh Alarmstimmung herrschen, schließlich zeigt sich Charakter gerade in solchen Spielen. In Flensburg aber entschied er sich fürs Lächeln und erinnerte sich auch daran, dass schließlich seine WM-Fahrer noch reichlich Nachholbedarf haben. Dass er das Pokalspiel als weiteren wichtigen Test im Hinblick auf den Bundesliga-Start gegen Schalke nannte, spricht dafür, dass er mit weiteren umfangreichen Renovierungsarbeiten rechnet, bis seine Mannschaft die nötige Stabilität erreicht hat, um nicht nur gegen einen Zweitligaklub zu gewinnen, sondern zur Bundesligaspitze zu gehören.

HSV: Drobny - Demel, Westermann (46. Diekmeier), Mathijsen (61. Benjamin), Jansen (46. Kacar) - Jarolim (63. Tesche), Zé Roberto - Petric (61. Choupo-Moting), Guerrero (46. Elia), Pitroipa - van Nistelrooy. Tore: 1:0 Guerrero (19.), 1:1 Jula (24.), 1:2 Peterson (54.), 1:3 Peterson (62.), 2:3 Pitroipa (74.), 2:4 Petersen (87.).