London. Die Geschichte ist, wie alle guten Geschichten, schon öfters erzählt worden. Es war ein schwüler Sommertag im Juni 2003, als Roman Abramowitsch im Hubschrauber über London schwebte. Im Südwesten der Metropole sah der Russe ein Fußballstadion, doch er war nicht begeistert. "Was, diesen Haufen Mist sollen wir kaufen?", rief der russische Milliardär verwundert. Wie sich bald herausstellte, hatte sich Abramowitsch jedoch nur in der Spielstätte geirrt. Anstatt Chelseas steril-modernem Stadion an der Stamford Bridge hatte er das kleine, charmant vor sich hinrostende Craven Cottage vom FC Fulham erspäht.

Nur 1500 Meter trennen die Traditionsklubs, und doch sind es Welten. Jedes Mal, wenn die Superstars der Blauen zu Besuch kommen, wird den Fans der "Cottagers" der eigene Status schmerzhaft bewusst. Sie werden von den "Blues" nicht einmal aufrichtig gehasst; der Milliardärsklub blickt nur mit sanftem Hochmut auf Fulham nieder. Bei keinem Londoner Derby ist die Rivalität einseitiger.

Als Mohamed Al Fayed 1997 für umgerechnet 45 Millionen Euro den FC Fulham kaufte, versprach der Ägypter, den Drittligisten binnen kürzester Zeit in das "Manchester United des Südens" zu verwandeln. Vier Jahre später war der Durchmarsch in die Premier League gelungen, doch in Europas Glitzer- und Glamourliga blieb man bisher ein kleines Licht: die Taschen des Harrods-Besitzers erwiesen sich nicht tief genug für höhere Gefilde.

Fulham war auch dieses Jahr ein Team, das primär den Nichtabstieg als Ziel verfolgte. "Wir haben von Anfang gesagt, dass die Premier League für uns Priorität hat", sagte Trainer Roy Hodgson vor dem Auftakt im internationalen Wettbewerb im vergangenen September, "ich halte viel lieber die Klasse, als die Europa League zu gewinnen."

Mittlerweile kann sich der vielgereiste Fußballlehrer allerdings sogar beide Wünsche erfüllen. Fulham steht in der Liga im gesicherten Mittelfeld und kann im Heimspiel gegen den FC Liverpool am Sonntag den einen oder anderen Stammspieler schonen. "Wir haben 41 Punkte und können weder absteigen noch uns nach oben verbessern", sagte der 62-Jährige nach dem 1:0-Sieg beim VfL Wolfsburg im Viertelfinalrückspiel, "deswegen geht die Europa League ab sofort für uns vor." Am 22. und 29. April stehen nun die Halbfinalspiele gegen den HSV an.

Bobby Zamora, der Torschütze der Londoner in der Volkswagen-Arena am vergangenen Donnerstag, wird mit seinen 20 Saisontreffern immer mehr zum Thema für Englands Nationaltrainer Fabio Capello. Der größte Star der Mannschaft ist und bleibt aber der Mann auf der Bank. Hodgson, der schon Inter Mailand und die Schweiz trainierte, war für viele Experten auf der Insel schon im Vorjahr der wahre "Trainer des Jahres", nicht der Dauergewinner und offizieller Sieger Alex Ferguson (Manchester United). Nach Misserfolgen bei Bristol City und den Blackburn Rovers kann der international respektierte Coach nun endlich auch in der Heimat sein Können unter Beweis stellen. Hodgsons hervorragende Arbeit an der Themse hat ihn prompt für höhere Aufgaben ins Gespräch gebracht; manche sehen in ihm den zukünftigen Nachfolger von Capello. Im denkmalgeschützten Craven Cottage aus der Hochzeit des Sports, der Zeit um die Jahrhundertwende, ist der Buchliebhaber ("Ich mag Milan Kundera, John Updike, Philip Roth") drauf und dran, selbst eine Ikone zu werden.

Die Verhältnisse im Westen der Hauptstadt sind dieses Frühjahr auf den Kopf gestellt. Während die reichen Nachbarn in der Champions League mit dem deutschen Nationalspieler Michael Ballack bereits im März nach dem 1:2 und 0:1 gegen Inter Mailand die Segel streichen mussten, darf Fulham, der kleine, bescheidene Klub, der in seiner 130-jährigen Geschichte noch einen großen Titel gewonnen konnte, vom internationalen Triumph am 12. Mai in der Hamburger Arena träumen.