Das Abschneiden in der Europa League dürfte über die Zukunft des derzeit glücklosen Coaches entscheiden.

Hamburg. Bruno Labbadia studierte ganz genau das Blatt Papier, das vor ihm auf dem Tisch im ersten Stock der Nordbank-Arena lag. Und das, was er dort sah, gefiel dem HSV-Trainer. "Wir hatten 63 Prozent Ballbesitz", las der 44-Jährige vor und ergänzte: "Wir waren in allen Bereichen vorne." 6:1 Ecken, 10:7 Torschüsse, 34:6 Flanken - tatsächlich hatte Labbadia mit seiner kurzen Exkursion in die Statistikabteilung absolut recht - und lag am Ende eines durch und durch missratenen Abends doch völlig daneben.

Mit einem gellenden und in dieser Saison so noch nicht da gewesenen Pfeifkonzert hatten die Zuschauer kurz vor Labbadias medialem Statistikvortrag die erneut missratene Leistung ihrer Mannschaft quittiert. Über 90 Minuten hatte der HSV kein Rezept gegen eine an Harmlosigkeit nicht zu unterbietende Mannschaft aus Hannover gefunden, dabei sogar 31 Minuten in Überzahl gespielt. "Was uns fehlte, war ein Tor", fasste Labbadia die nur schwer verdaulichen 90 Minuten in einem Satz zusammen, der erneut theoretisch richtig und praktisch doch so falsch war.

Denn neben den Toren, die neben Labbadia auch die 57 000 enttäuschten Zuschauer schmerzlich vermisst hatten, fehlte dem HSV so ziemlich alles, was ihn zu Anfang dieser Saison noch ausgezeichnet hatte: Spielwitz, Offensivgeist, Torchancen, Durchschlagskraft, ein Konzept und vor allem: Erfolg.

So war es am Ende einer erneut turbulenten aber enttäuschenden Woche wenig verwunderlich, dass dem Hamburger Coach lediglich ein paar schwarze Zahlen auf einem weißen Zettel als Zeugen für das "engagierte Spiel" seiner Mannschaft dienten. Eine Einschätzung, die nach nur einem dreifachen Punktgewinn aus den letzten fünf Heimspielen und insgesamt vier sieglosen Bundesligaspielen in Folge sogar in der eigenen Mannschaft auf wenig Zustimmung stieß. "Wenn wir gegen so eine Mannschaft nicht gewinnen, wann dann?" fragte Kapitän David Jarolim, dem nicht verborgen geblieben war, dass der Abstiegskandidat aus Hannover an diesem lausigen Sonntag nicht zum Fußballspielen nach Hamburg gekommen war.

So hatte die interne Aussprache am Montag vergangener Woche gerade mal drei Tage lang Wirkung gezeigt. Eine Tatsache, die neben den Spielern besonders auch die Verantwortlichen zum Nachdenken anregte. "Wir können jetzt nicht jeden Tag ein Fazit ziehen und alles zwischenbilanzieren. Wir werden die Situation im späten Mai zusammenfassend analysieren", beantwortete Klubchef Bernd Hoffmann die Frage nach der Zukunft des Trainers, die nach den Misserfolgen in der Bundesliga mehr denn je vom Erfolg in der Europa League abhängen dürfte. "Ich gehe davon aus, dass sich Mannschaft und Trainerteam voll auf Lüttich konzentrieren. Das Ziel in der Europa League ist extrem hoch", sagte Hoffmann, der seine Aussage aber keineswegs als Drohung verstanden haben will.

Fraglich ist allerdings, ob es Labbadia tatsächlich schafft, den Fokus vor dem so wichtigen Viertelfinalrückspiel bei Standard Lüttich (Donnerstag, 21.05 Uhr) nach den desolaten Auftritten gegen Hannover 96 und Borussia Mönchengladbach, den lautstarken Protesten des Publikums und dem Ärger um Paolo Guerrero (siehe Seite 25) wieder auf den sportlichen Bereich zu legen. Erschwerend hinzu kommt, dass auch das belastete Verhältnis zu Nationalspieler Piotr Trochowski nach der erneuten Nichtberücksichtigung in der Startelf die Erfolgsaussichten nicht gerade erhöht. Auch Ruud van Nistelrooys erneut frühe Auswechslung zur Halbzeit - angeblich wegen einer Oberschenkelverhärtung - sorgte für großen Unmut unter den Zuschauern.

"Ich kann nur analysieren, was ich auch gesehen habe", sagte Labbadia schließlich - und hatte damit zum ersten Mal an diesem gebrauchten Tag uneingeschränkt recht.