Mit der 0:1-Niederlage am 34. Spieltag machte das lustlos auftretende HSV-Team die schlechteste Saison in 49 Jahren Bundesliga perfekt.

Augsburg/Hamburg. Thorsten Fink hatte schlechte Laune, das war unübersehbar. "Ich kann eben nicht verlieren"; grummelte der HSV-Trainer nach dem 0:1 beim FC Augsburg. Um zu verdeutlichen, was ihm nicht zum ersten Mal bei seiner Mannschaft gefehlt habe, nämlich der unbedingte Siegeswille, genehmigte sich der 44-Jährige einen Ausflug in die Partywelt: "Wenn ein Spieler von mir, nicht verheiratet und ohne Freundin, in die Diskothek geht und will die hübscheste Frau haben", fing Fink an und fuhr flüsternd fort, "dann kann ich nicht sagen: Hör mal, willst du vielleicht mit mir gehen?" Fink wurde wieder lauter: "Dann musst du sagen: Hey Puppe! Ich bin der geilste Typ. Du gehst mit mir. Fertig. Man muss etwas wirklich wollen und ausstrahlen."

Um in Finks Bild zu bleiben: Würden sich seine Spieler im Nachtleben ähnlich passiv verhalten wie am Sonnabend in der SGL-Arena, würden sie wohl allesamt niemals eine Familie gründen können mangels ausreichender Aktivität auf dem Tanzparkett. Ganz offensichtlich hatten viele Spieler während der Reise nach Augsburg vergessen, worum es bei ihrem Beruf in erster Linie geht: ums Toreschießen, ums Gewinnen.

Als gelungen durften nur die Beschreibungen der Spieler über die ungenügenden Darbietungen auf dem Platz bezeichnet werden. Mit Blick auf die rund 3000 mitgereisten und feiernden Fans schämte sich Dennis Aogo sogar ein bisschen: "Diese Unterstützung hatten wir heute nicht verdient." Und Kapitän Heiko Westermann fügte sauer hinzu: "Wir haben es wieder mal nicht fertiggebracht, eine charakterlich starke Leistung zu bringen."

Um die Darbietungen der Spieler richtig einordnen zu können, seien beispielhaft die persönlichen Werte von Robert Tesche erwähnt, der im zentralen Mittelfeld neben dem Norweger Per Skjelbred auflief. Tesche kam in 90 Minuten auf 49 Ballkontakte und verlor von seinen nur 13 Zweikämpfen elf, was eine Quote von 15,4 Prozent gewonnener Duelle bedeutet. Vernichtend.

+++ Die HSV-Spieler in der Saisonkritik +++

Alle vor dem Saisonfinale getroffenen Aussagen nach dem Motto, man wolle sich aus dieser schwierigen Saison mit einem Erfolgserlebnis verabschieden, wirkten rückblickend nur wie blanker Hohn. Über weite Strecken der Partie zeigten die HSV-Profis trägen Fußball ohne jede Inspiration, ohne Zweikampfhärte, ohne Tempo. Einfach unwürdig, den HSV so zu vertreten.

Auch Paolo Guerrero wird wenig gute Erinnerungen an den Ausflug nach Bayern haben. Ein harmloser Zweikampf des Peruaners mit Sebastian Langkamp brachte den Augsburger so aus dem Gleichgewicht, dass dieser unglücklich gegen das Plexiglasdach der Ersatzbank krachte und sich eine Platzwunde auf der Nase zuzog. Die zu harte Verwarnung von Schiedsrichter Manuel Gräfe war Beleg dafür, dass Guerrero in seinem Fußballerleben wohl kein Foul mehr begehen darf, ohne sofort wieder sein Rüpel-Image zu bedienen.

Mit der 14. Niederlage, deren Zustandekommen Fink als symptomatisch für die gesamte Saison bezeichnete (Töre ließ sich bei der Flanke vor dem 0:1 düpieren), sicherten sich Guerrero und seine Kollegen zudem den wenig schmeichelhaften Titel "schlechteste HSV-Mannschaft aller Zeiten". In 49 Bundesligajahren belegten die Hamburger nie Platz 15, 36 Punkte bedeuten ebenfalls Minusrekord. Und soll man bei nur 35 Toren in 34 Spielen noch ein Wort über die, pardon, Torgeilheit dieser Mannschaft verlieren?

Die Analyse mit Matz, Scholz, Reihnardt und Golz:

"Jeder Spieler muss sich hinterfragen, warum diese Saison so gelaufen ist, was wir besser machen können", forderte Aogo, der wohl heute von Bundestrainer Joachim Löw in das erweiterte vorläufige Aufgebot für die EM berufen wird. Überraschend darf sich auch Heiko Westermann, der gemeinsam mit Aogo in der vergangenen Woche einen gesonderten Laktattest überstehen musste, Hoffnungen auf eine Teilnahme an den Trainingslagern auf Sardinien und in Südfrankreich machen, wo dann der endgültige DFB-Kader bekannt gegeben wird. So richtig freuen konnte sich Aogo angesichts der Rekordsaison allerdings nicht: "Wenn jeder reflektiert, wird rauskommen, dass jeder mehr investieren muss."

+++ 3:3 - HSV läuft gegen FC Bergedorf 85 aus +++

Frank Arnesen war ebenfalls bedient: "Das ist mein schlechtestes Jahr in den 36 Jahren, in denen ich im Fußballgeschäft bin." Zugleich wies er aber darauf hin, dass der lustlose Auftritt in Augsburg nicht dazu tauge, die Qualität des HSV zu bemessen. Mit seinen Vorstandskollegen trifft der Sportchef nun am Dienstag zusammen, um die Planungen für den neuen Kader voranzutreiben. Am Abend, wenn auch der Aufsichtsrat tagt, soll Bewegung in die seit Wochen schwebenden Transfers von Torwart René Adler (Leverkusen) und Offensivspieler Artjoms Rudnevs (Lech Posen) kommen.

Für Fink ist längst klar, auf welcher Position zudem akuter Handlungsbedarf besteht: "Meine Priorität ist ein Mittelfeldspieler, der das Spiel lenkt, und vielleicht noch ein zweiter", sagte er. In den kommenden Wochen werde man viele Einzelgespräche führen. Es geht darum herauszufinden, welche Spieler dazu taugen, mit der notwendigen Mentalität für eine Entwicklung in der Jubiläumssaison (50 Jahre Bundesliga, 125. Geburtstag des Vereins) zu sorgen. "Am wichtigsten wird es sein, nur Leute zu verpflichten, die weiter kommen wollen"; sagte Fink. "Und die abzugeben, die das nicht wollen."

Namen nannte der HSV-Trainer natürlich nicht, aber es gilt als wahrscheinlich, dass sich nach David Jarolim, Mladen Petric und voraussichtlich auch Jaroslav Drobny noch weitere Profis verabschieden - je nach Angebotslage. Zwar betonte die sportliche Leitung auch in Augsburg, dass nach den 18 Abgängen im Sommer 2011 dieses Mal kein radikaler Umbau geplant sei. Aber Arnesen machte klar: "Unsere finanzielle Situation ist nicht besser geworden, obwohl im Vergleich zur Vorsaison 15 Millionen Euro weniger ausgegeben worden. Ich muss Raum schaffen, um neue Spieler verpflichten zu können."