Sein Antritt war phänomenal. Aus dem Stand heraus beschleunigte Gökhan Töre von null auf 100 in ein paar Sekunden. Mit dem Ball zur Torauslinie, halbhohe Eingabe mit dem linken Fuß - Paolo Guerrero musste nur noch aus zwei Metern vollenden. Tor für den HSV. Das geschah im Spiel bei Concordia Schönkirchen am 1. Mai, in der 13. Spielminute. Danach fiel der Deutsch-Türke nicht mehr großartig auf. Gelegentlich hatte es den Anschein, als wolle es der 20-Jährige allein mit der gesamten gegnerischen Mannschaft aufnehmen: Töre umdribbelte alles und jeden, bis er schließlich doch nur hängenblieb.

In der Hinserie wurde Töre für diese Spielart noch als Aufsteiger der Saison gefeiert. 2012 zählt er zu den Absteigern. Töre steht am Scheideweg, er muss sich entscheiden: Leistung wie ein Vollprofi oder Ditschi-datschi-Fußball wie ein Amateur, das ist hier die Frage.

Von der Veranlagung her könnte Gökhan Töre ein ganz Großer werden. Er hat eine blendende Technik, er hat Mut zum Dribbling, er ist pfeilschnell, perfekt am Ball. Nur müsste ihm jetzt noch jemand verraten, dass das im Fußball nur die halbe Miete ist. Technik, Schnelligkeit, Mut haben viele andere Fußballer auch. Es fehlt in dieser Mixtur die Ernsthaftigkeit, die ein Vollprofi an den Tag legen muss. Wenn Töre seinen Weg so weitergehen will, dann irrt er. Zuletzt saß er nur noch auf der Bank, wurde auch nicht mehr eingewechselt.

Beim HSV gab es bereits einmal einen solchen extremen Fall. Und ein Beispiel, wie man sein außergewöhnliches Talent innerhalb weniger Monate verschleudern kann: Eljero Elia. Der 25-jährige Niederländer kam einst für neun Millionen zum HSV, wurde 2011 an Juventus Turin verkauft - und ist ein Millionär für die Bank. Dreimal wurde Elia in dieser Saison ausgewechselt, einmal kam er. Ganze 120 Spielminuten in dieser Saison. Auch er hat nicht begriffen, dass zu einem Profi von heute nicht nur Talent gehört, sondern auch Leidenschaft, Engagement und mannschaftliche Disziplin. Vielleicht lernt er es noch, denn Elia soll bei Schalke und beim VfL Wolfsburg im Gespräch sein.

Gökhan Töre wird an diesem Sonnabend in Augsburg beweisen können, ob er die Schüsse vor den Bug, die der Trainer abgefeuert hat, auch als Warnung verstanden hat. Wenn ja, muss er nur die richtige Antwort auf dem Rasen geben. Die Fähigkeiten dazu hat er ja.

Die HSV-Kolumne "Matz ab" finden Sie täglich im Internet unter www.abendblatt.de/matz-ab