Ex-HSV-Vorstandschef Bernd Hoffmann bilanziert seine Amtszeit, spricht über eigene Fehler und fordert ein neues System beim HSV.

Hamburg. Noch sind nicht alle Kisten ausgepackt. Doch der Hausherr hat blendende Laune. In seinem neuen Büro im Erdgeschoss einer Jugendstilvilla in Harvestehude empfängt Bernd Hoffmann, 46, die Abendblatt-Reporter zum großen Gespräch über seine Amtszeit und den vorzeitigen Abschied am 16. März.

Hamburger Abendblatt: Herr Hoffmann, am vergangenen Sonnabend wurden vor dem Anpfiff des Spiels gegen Mönchengladbach scheidende HSV-Spieler wie Frank Rost oder Piotr Trochowski offiziell verabschiedet. Hätten Sie sich auch eine ähnliche Verabschiedung gewünscht?

Bernd Hoffmann: Nein, das wäre vor dem Spiel sicher nicht der richtige Rahmen gewesen. Aber grundsätzlich ist es, wie auch die Umstände der Trennung, eine Frage des Umgangs. Wir haben im Team und mit viel Einsatz den HSV in den letzten acht Jahren ein großes Stück vorangebracht. Ich hatte die zweitlängste Amtszeit aller HSV-Präsidenten in der Vereinsgeschichte. Ich denke, das hätte eine angemessene Verabschiedung verdient.

Wann werden wir Sie wieder im Stadion sehen?

Hoffmann: Bestimmt irgendwann in der nächsten Saison. Ich werde dann gern meinen Platz neben den anderen Ex-Präsidenten einnehmen. Und ab und an mit den Kindern in den Familienblock gehen. Für meine Familie und auch für mich ist der HSV ja weiter eine Herzensangelegenheit.

Überwiegt in Ihnen die Trauer über die Trennung oder die Erleichterung?

Hoffmann: Das hält sich die Waage. Ich habe meine Aufgabe über acht Jahre mit großer Leidenschaft und Freude erfüllt. Deshalb bin ich schon wehmütig. Die Zeit beim HSV war eine tolle Erfahrung, von der ich keine Minute missen möchte. Auf der anderen Seite spüre ich auch eine gewisse Befreiung. Der Druck im Fußballgeschäft ist schon enorm, vor allem habe ich das in den letzten Wochen meiner Amtszeit gespürt. Das ist schon auch eine Befreiung, und meine Kinder erleben jetzt, dass ihr Vater nicht nur physisch präsent ist, wenn er überhaupt mal zu Hause ist. Und ich genieße es, dass ich wieder Zeit für Freunde habe, die mich mögen, obwohl ich nicht mehr Vorstandsvorsitzender des HSV bin.

Sind Sie in Wahrheit doch harmoniebedürftig? In der Öffentlichkeit gelten Sie als der Machtmensch aus Leverkusen.

Hoffmann: Meinen Geburtsort werde ich nicht mehr ändern können. Und ich werde auch kein Bundesliga-Spiel mehr für den HSV bestreiten. Daher galt ich immer eher als der Mann der Zahlen. Aber ohne Teamgeist und ein positives Klima hätten wir den HSV in den vergangenen Jahren nicht auf diese Weise entwickeln können. Dazu musste ich Ziele vorgeben, denen viele mit Leidenschaft gefolgt sind. Vom Leiter der Fußballschule bis zum Greenkeeper. Und wenn ich mal zu impulsiv war, habe ich lieber einen Ball über den Flur geschossen, als einen Mitarbeiter zu beschimpfen. Aber als Gesamtverantwortlicher bin ich gefordert, Entscheidungen zu treffen, auch unangenehme.

Sind Sie stolz auf Ihre Amtszeit? Oder ärgern Sie sich, dass es am Ende doch nicht zu einem Titel gereicht hat?

Hoffmann: Natürlich hätte ich mir gewünscht, dass die Vitrine im HSV-Museum um eine große Trophäe reicher wird. Dennoch bin ich stolz auf das Erreichte. Wir haben in unserer Amtszeit 78 Europapokalspiele gespielt und dabei tolle Fußballfeste erlebt. Also ein stabiles sportliches Niveau erreicht und dabei solide gewirtschaftet. Und gleichzeitig mit Fertigstellung und Ausbau der Arena Werte geschaffen. Als wir 2003 hier angetreten sind, betrug das negative Eigenkapital 25 Millionen Euro, die Mitgliederzahl lag bei 17 000. Wir haben das negative Eigenkapital auf null zurückgefahren, es sind inzwischen über 70 000 Mitglieder. Und der HSV ist wieder zu einer gesellschaftlichen Institution in Hamburg geworden.

Ihr Nachfolger Carl-Edgar Jarchow sieht Ihre Bilanz etwas anders. Er wirft Ihnen vor, dass Sie zu hoch gepokert haben. Ohne die entsprechenden Einnahmen hätten Sie einen Kader auf Champions-League-Niveau bezahlt.

Hoffmann: Bitte lassen Sie mich zunächst sagen, dass ich niemals öffentlich das operative Geschäft des neuen Vorstands kommentieren werde. Fakt ist, dass die wirtschaftlichen Restriktionen der kommenden Saison keine Konsequenz der Amtsführung der letzten Jahre, sondern die jährlich wiederkehrende Herausforderung an das Management des HSV ist. Eine konkurrenzfähige Mannschaft zusammenzustellen, zu finanzieren und gleichzeitig die Vorfreude auf die nächste Saison so zu orchestrieren, dass Mannschaft, Fans, Partner und VIP-Kunden auch wieder Lust auf die neue Saison haben, das war auch in den vergangenen Jahren unsere Aufgabe und auch unsere Herausforderung. Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen habe ich immer sehr klar benannt, so bei den Mitgliederversammlungen im letzen Juli im Stadion oder im Januar dieses Jahres. Selbstverständlich waren diese Zahlen auch dem Aufsichtsrat in jedem Detail bekannt.

... aber zu solchen Vorwürfen müssen Sie doch Stellung nehmen ...

Hoffmann: ... nur insoweit, dass ich sie für völlig unberechtigt halte. Wir haben mit Kaderkosten gearbeitet, die im Bereich vier bis acht der Liga liegen. Bayern, Schalke und Wolfsburg rangieren seit Jahren deutlich vor dem HSV. Danach kommen Klubs wie Stuttgart, Dortmund, Leverkusen, Hoffenheim und der HSV, die in etwa auf Augenhöhe sind. Es war unser Anspruch, mit diesen Klubs um die Europapokalplätze zu streiten. Und gleichzeitig solide zu wirtschaften. Beides ist uns gelungen.

Na ja, der HSV muss immerhin kommende Saison noch Verbindlichkeiten von 14 Millionen Euro aus längst getätigten Transfers schultern.

Hoffmann: Es ist eine gängige Praxis in diesem Geschäft, Ratenzahlungen zu vereinbaren. Wir haben seit Jahren eine offensive Transferpolitik verfolgt und damit den Wert der Mannschaft erheblich erhöht. Das gibt auch heute einen gewissen Spielraum. Aber natürlich ist es eine Variante, den Nachteil gegenüber den Wettbewerbern auszugleichen. Der liegt vor allem an der sehr ambitionierten Finanzierung des Stadions. Der Kredit für die Arena soll bis 2017 abgelöst werden, also rund zehn Jahre früher als bei den meisten Konkurrenten mit neuen Stadien. Das ist zwar sehr gut für die Zukunft, führt aber dazu, dass der HSV derzeit jedes Jahr rund 15 Millionen Euro weniger zur Verfügung hat als die Wettbewerber, die auch das internationale Geschäft anstreben. Diese Lücke muss man mit kreativen Konzepten versuchen zu schließen.

Also Kredite aufnehmen ...

Hoffmann: Eben nicht. Wir sind nicht den Weg anderer Klubs gegangen, die ihre Kreditlinie bei der Bank erhöht haben oder sich Werbeverträge haben vorzeitig auszahlen lassen. Stattdessen haben wir mit Erfolg auf hohe Transfererlöse, innovative Sponsoren-Konzepte wie den Hamburger Weg oder externe Finanzierungsmodelle gesetzt.

Wie beim umstrittenen Vertrag mit dem Investor Kühne, der dafür im Gegenzug Transferrechte an Spielern erhalten hat. Dieser Deal ist nicht nur von vielen Fans scharf kritisiert worden.

Hoffmann: Nur dank des Engagements von Herrn Kühne konnten wir die Spieler Westermann, Kacar und Diekmeier verpflichten. Alle drei gehören inzwischen zum Stamm und werden wohl auch in Zukunft dazugehören. Ich kann da nichts Negatives entdecken.

Warum haben Sie nicht einfach die Ausgaben der Höhe der Einnahmen angepasst?

Hoffmann: Keine Frage, das hätten wir natürlich machen können. Aber dann muss man auch bereit sein, die Ansprüche zu reduzieren. Unser Weg war kontrolliert offensiv, mit dem Ziel, internationale Topspieler wie Rafael van der Vaart an den HSV zu binden und den Verein unter die Top 20 Europas zu führen. Das war der Anspruch von Vorstand, Mannschaft, Fans und sicher auch den Medien. Aber noch mal: Wir haben nicht gepokert, sondern solide gewirtschaftet. Sonst hätte uns die DFL kaum als einen von nur drei Klubs in der Bundesliga dem vereinfachten Lizenzierungsverfahren zugerechnet.

Hätte es auch einen Sparkurs gegeben, wenn Sie im Amt geblieben wären?

Hoffmann: Klar war immer, dass wir für unseren Kurs mittelfristig internationale Einnahmen brauchen. Ohne den Europacup hätten auch wir die Kaderkosten reduziert.

Aber warum haben Sie ausgerechnet mit Paolo Guerrero zu besseren Konditionen verlängert, obwohl der mit seinem Flaschenwurf gegen einen Fan für einen Skandal sorgte?

Hoffman: Zunächst gilt, dass jede Personalentscheidung im sportlichen Bereich im Einvernehmen mit den Verantwortlichen, also dem Sportchef und dem Trainer, getroffen wurde. Also auch diese Entscheidung. Von Paolos Fähigkeiten waren wir alle überzeugt. Aber natürlich kann man rückblickend darüber diskutieren, ob es besser gewesen wäre, hier ein Zeichen zu setzen.

Gilt das auch für Ruud van Nistelrooy, der im Winter zu Real Madrid wechseln wollte? Dem HSV hätte dies durch eingespartes Gehalt sowie eine Ablöse bis zu fünf Millionen Euro einbringen können.

Hoffmann: Als Ruud gehen wollte, hatte er gerade unser Siegtor zum 1:0 auf Schalke erzielt. Wir waren damals noch in Reichweite der Europapokalplätze. Daher brauchten wir ihn, um unsere sportlichen Ziele zu erreichen. Ihn gehen zu lassen wäre das falsche Signal gewesen. Klar ist aber auch: Im Fußball sind permanent Entscheidungen auf Basis von Fakten zu treffen, die sich manchmal schon am nächsten Spieltag anders darstellen. Beinah jeder Verein und sicher jeder Spieler durchläuft in einer Saison unterschiedliche Phasen.

Herr Hoffmann, welche Fehler werfen Sie sich rückblickend vor?

Hoffmann: Die größten Fehler in einem Unternehmen macht man nach meiner Erfahrung immer dann, wenn es einem gut geht. Dies galt für meine Zeit beim HSV für das Jahr 2006. Damals ging es uns gut, wir hatten Rückenwind, und bei der folgenden WM hat die deutsche Nationalmannschaft unter Jürgen Klinsmann gezeigt, in welche Richtung sich der Fußball entwickelt. Mit einem schlüssigen Konzept, mit konsequentem Projektmanagement, mit dem Bekenntnis zur Jugend. Ich habe damals bei unseren sportlich Verantwortlichen nachgefragt, was wir daraus lernen und für uns umsetzen können, und mich mit der Antwort zufriedengegeben, dass man daraus nichts lernen kann. Stattdessen haben wir drei Tage vor Transferschluss die Spieler Sorin, Sanogo und Ljuboja für viel Geld verpflichtet.

Später wollten Sie Jürgen Klopp als Trainer holen ...

Hoffmann: ... der im Aufsichtsrat und im Vorstand nicht mehrheitsfähig war. Ich wollte keinen Krawall, habe zu früh eingelenkt. Stattdessen hätte ich diese Entscheidung durchsetzen müssen, notfalls mit der in der Satzung garantierten doppelten Stimme des Vorstandsvorsitzenden. Aber auch das ist jetzt rückblickend leicht zu bewerten.

War es nicht auch ein Fehler, dass Sie nach der Demission von Beiersdorfer keinen neuen Sportchef geholt haben?

Hoffmann: Keine Frage, es war falsch, nicht viel konsequenter auf die Lösung dieser Personalie zu drängen. Wobei ich sagen muss, dass es immer unser Anspruch war, einen Sportchef zu finden. Und zwar einen, der eine Spielphilosophie definiert und konsequent im Verein etabliert. Es gab mit Roman Grill, Urs Siegenthaler und Matthias Sammer mindestens drei respektable Kandidaten, deren Installierung aus unterschiedlichen Gründen gescheitert ist. Frank Arnesen steht inhaltlich genau für diese Richtung. Ich bin froh, dass diese Verpflichtung noch zustande kam, hoffe aber auch, dass Frank die konsequente Unterstützung erhält, die notwendig ist, um mittelfristig Erfolge zu erzielen.

Inwieweit hat dabei die basisdemokratische Struktur des HSV Ihre Arbeit beeinflusst?

Hoffmann: Auch wenn Sie es mir nicht glauben werden: Mir hat die Überzeugungsarbeit gegenüber den Mitgliedern und Fans oft Spaß gemacht. Aber natürlich ist es schwieriger, einen Verein mit diesen Entscheidungsprozessen zu führen. Das ist ganz sicher eines der zentralen Themen für die Zukunftsfähigkeit des Vereins. Und wenn man sich zur Mitbestimmung der Mitglieder bekennt, dann muss man sie auch konsequent leben. Dann darf es nicht sein, dass ein kleiner Teil von mobilisierten Mitgliedern ausreicht, um die Geschicke des Vereins bei Jahreshauptversammlungen entscheidend zu beeinflussen. Um zukunftsfähig zu bleiben, muss der HSV auf ein System umstellen, das allen Mitgliedern von Flensburg bis Memmingen erlaubt, über Brief oder auf elektronischem Weg bei wichtigen Entscheidungen mitzubestimmen oder zu wählen.

Was sind jetzt Ihre persönlichen Pläne in Ihrem Büro?

Hoffmann: Ich werde sicherlich dem Fußball verbunden bleiben. Dieses Geschäft kenne ich schließlich seit 20 Jahren in allen denkbaren Facetten. Aber ich lasse mir mit einer endgültigen Entscheidung Zeit. Zunächst genieße ich den Hamburger Sommer, das tägliche Abendessen mit den Kindern, aber auch die Gerüche beim Schlendern über den Isemarkt, und neben dem Sport- auch den Kulturteil Ihrer Zeitung.

Werden Sie womöglich bei einem Konkurrenten des HSV anheuern?

Hoffmann: Das schließe ich auf absehbare Zeit aus. Dafür ist meine Verbundenheit mit dem HSV viel zu groß.

Und wie wäre es mit einem Comeback als HSV-Vorstandschef?

Hoffmann: Ich habe immer gesagt, dass es eine tolle Aufgabe ist, HSV-Chef zu sein. Aber das ist mit Sicherheit kein absehbarer Schritt. Zumal es in dieser Zusammensetzung des Aufsichtsrats ohnehin undenkbar für mich ist. Mit einer Mehrheit der Aufsichtsräte habe ich allerdings gern und gut zusammengearbeitet. Und hätte das auch gern weiter getan.

Sie könnten ja auch für den Aufsichtsrat kandidieren.

Hoffmann: Der HSV ist wirklich ein ungemein spannendes Thema. Aber manchmal tut ein bisschen Abstand auch ganz gut.