Sportgespräch HSV-Fußballer Dennis Aogo über die Suche nach einer Heimat, seine Zukunftspläne und die Chancen auf einen Platz im deutschen WM-Team

Sciacca. Es sind spannende Tage für den HSV-Profi Dennis Aogo. Im WM-Trainingslager der Nationalmannschaft kämpft er um seine minimale Chance auf ein Ticket nach Südafrika. Mit Erfolg?

Hamburger Abendblatt:

Herr Aogo, wie häufig sind Sie noch in der alten Heimat?

Dennis Aogo:

In Freiburg?

Nein, Karlsruhe.

Gefühlsmäßig ist das tatsächlich meine Heimat, meine ganze Familie lebt dort noch, auch wenn ich mich schon ein wenig entfremdet habe, weil ich schon so viele Jahre nicht mehr dort gelebt habe. Obwohl Hamburg sehr schön ist, habe ich, Stand heute, noch vor, nach meiner Karriere wieder in die Gegend von Karlsruhe zu ziehen.

Was zieht Sie dorthin?

Schwer zu beschreiben, das ist Heimat. Wenn ich dort bin, habe ich ein Gefühl, zu Hause zu sein.

Für Sie hat der Begriff Heimat auch bei der Farbe des Nationaltrikots eine Rolle gespielt. Haben Sie mal gewackelt?

Als ich das mit Nigeria gehört habe, musste ich tatsächlich ein paar Tage darüber nachdenken. Wenn man sich mit Fußballern unterhält, die schon einmal an einer WM teilgenommen haben, hört man, dass dies das Größte und mit nichts zu vergleichen sei. Ich glaube, als Fußballer muss es das Ziel sein, das Bestmögliche aus seiner Karriere rauszuholen. Dafür haben wir etwa 15 Jahre Zeit, um irgendwas Greifbares nach der Karriere zu haben. Dazu gehören meiner Meinung nach Titel, aber auch Teilnahmen an großen Turnieren. Trotzdem habe ich immer irgendwie gezögert und mir gesagt: Dennis, wenn du da bist, ist es eine völlig andere Kultur, die Leute werden dich auch nicht als Afrikaner anerkennen. Natürlich wird das alles anders, weil viele in Europa aufgewachsene Afrikaner für ihr Land spielen, aber man wird eben nie ein Einheimischer sein. Aber entschieden habe ich nur emotional.

Wie ist Ihr Kontakt zur Familie in diesen Tagen?

Abgesehen davon, dass ich meinem Vater am Telefon gesagt habe, dass wir gut angekommen sind, bin ich ziemlich abgeschnitten von der Außenwelt. Mein Handy lag in der Ecke, ich habe die Zeit genutzt, mich auf das Sportliche zu fokussieren. Wir haben intensiv trainiert. Die restliche Zeit habe ich mit meiner Freundin verbracht.

Wie fühlt man sich so als Streichkandidat?

Dass nicht mit mir gerechnet wird, war vor der WM-Nominierung nicht anders, denn viele wurden von meinem Namen überrascht. Ich gehe jedoch positiv mit der Situation um und bin ganz locker.

Was machen Ihre Geschwister, haben sie auch etwas mit Sport zu tun?

Nein, absolut gar nichts.

Was machen sie denn?

Ich muss dazu sagen, ich bin in Oberreut aufgewachsen, einem Bezirk, wo es nicht so ganz einfach war. Mit einer hohen Arbeitslosenquote - einer der sozial schwächsten Standorte in Karlsruhe. Trotzdem haben alle Arbeit und versuchen, einen guten Job zu machen. Davor habe ich großen Respekt.

Bekommen Sie das in der Familie gut geregelt, wenn einer so gutes Geld verdient?

Es gibt schon mal Reibereien in der Familie. Geld kann immer ein Streitfaktor sein, der Stress bereitet. Ich versuche aber schon zu helfen, wo es nur geht.

Wie machen Sie das? Schließlich wollen Sie die Familie ja nicht erniedrigen.

Es ist nicht einfach. Es kommt noch dazu, dass ich der Jüngste bin, was für meine älteren Geschwister manchmal ein bisschen schwierig ist. Aber man kann ihnen in gewissen Situationen auch das Gefühl geben: Hey, ich helfe dir, aber nur in einem gewisse Maße. Aber es ist nicht immer hilfreich, nur zu geben. Man muss wissen, wann der richtige Zeitpunkt ist. Grundsätzlich bin ich froh, in der Situation zu sein, helfen zu können - und das werde ich auch in Zukunft tun.

Man sagt über Sie, Sie würden sehr professionell arbeiten. Hatten Sie diesen Ehrgeiz schon immer?

Nein, absolut nicht, das hat sich erst in Freiburg im Internat entwickelt, als ich im Umfeld viel mit Fußball beschäftigt war. Vorher war ich eigentlich überhaupt nicht der Motivierte, sondern eher der etwas Chaotische, der Faule, der immer zu dick war, zu wenig gelaufen ist und deshalb von den Trainern immer eins auf die Mütze bekommen hat. Das hat sich wirklich erst in der B- und A-Jugend verbessert.

Wann hat es Klick gemacht?

Das weiß ich nicht bewusst. Es gab einen Trainer, der mir in den Hintern getreten hat, mit viel Aufwand versuchte, mich in die richtige Bahn zu lenken.

Sie sind in einer Großfamilie aufgewachsen, im Profifußball dominieren die "Ich-AGs" - jeder hat eigene Interessen ...

... das war auf jeden Fall eine Umstellung. Ich kam aus Freiburg, einem Verein, in dem alles familiär war, nach Hamburg. Es gab viele Gleichaltrige, mit denen man im Internat aufgewachsen war. Und dann kommt man eben zu einem großen Verein, wo es anders ist, da muss man schon versuchen, sich sein eigenes, kleines Umfeld aufzubauen.

Wie zerstreuen Sie sich?

Es gibt viele Dinge, die ich gerne tue, aber es ist schwierig, diese Sportaktivitäten noch nebenbei zu machen. Tennis spiele ich gerne. Aber bei dem Niveau und den Belastungen muss man schauen, dass man regeneriert, wenn man nicht auf dem Trainingsplatz steht. Billard spiele ich ab und zu.

Machen Sie etwas für den Kopf?

Nein, das muss ich. Ich weiß noch nicht, in welche Richtung, aber eine Beschäftigung werde ich mir suchen, damit man außerhalb des Fußballs etwas hat, was Spaß macht. Ich habe vor, mich regelmäßig bei bestimmten Organisationen zu engagieren, weil es mir Spaß macht, Leuten zu helfen. Ohne Geld.

Weil Sie in einem schwierigen Umfeld aufgewachsen sind?

Nicht bewusst, aber es ist gut möglich, dass ich mich ein Stück verantwortlich fühle, etwas zurückzugeben.

Häufig wird im Profifußball über mangelnde Identifikation gesprochen. Wie lange braucht es, um sich mit einem Klub zu identifizieren?

Das ist nicht zeit-, sondern typabhängig. Man kann jetzt nicht pauschal sagen: Nach zwei Jahren küsse ich die Raute. Es geht eher darum: Wie interessiert man sich für den Verein, wie informiert man sich über das Drumherum. Es gibt ja auch Spieler, die gehen nach einem Spiel nach Hause und alles weitere interessiert sie nicht.

Das Interesse des AC Mailand ist bekannt. Bleiben Sie beim HSV?

Ich werde mich erst nach dem Ende der Saison mit meinem Berater Gordon Stipic zusammensetzen und analysieren, was gut und was schlecht war. Fakt ist, dass ich mich sehr wohl fühle in Hamburg, trotz des nicht so positiven Saisonausklangs. Der HSV ist ein besonderer Verein, und ich würde mich freuen, wenn ich Teil einer Gruppe sein dürfte, die in Hamburg etwas Spezielles erreicht. Vielleicht wird es eine lange Geschichte mit mir und dem HSV.