Am Sonntag beginnt die Heim-WM. Damit werden das Lebenswerk und der 40 Jahre lange Kampf der Hamburgerin um Gleichberechtigung gekrönt.

Hamburg. Hannelore Ratzeburg muss immer noch schmunzeln, wenn sie sich an die Geschichte erinnert. Wer weiß, wie alles gekommen wäre, wenn Kurt Reimuth damals im Vereinshaus von West-Eimsbüttel nicht donnernd mit seinem Krückstock auf den Tisch geschlagen und gerufen hätte: "Nehmt euch in Acht vor solchen Frauen!" Hannelore Ratzeburg war 19 Jahre alt, als sie im März 1971 auf der Mitgliederversammlung von "Wespe" für Aufregung sorgte. Der ältere Herr aus dem Fußballklub an der Koppelstraße in Stellingen, Inhaber einer Rossschlachterei, muss in dem jungen Mädchen eine Art Hexe ausgemacht haben. Eine gefährliche weibliche Gegenspielerin auf jeden Fall, die es soeben gewagt hatte, der Herrenrunde mitzuteilen, dass sie eine Frauenfußballmannschaft gründen will. "Wir wollten doch nur spielen", sagt Hannelore Ratzeburg heute.

Sie wollte auch immer gewinnen. Und deshalb musste man sich sehr wohl vor dieser resoluten Person in Acht nehmen, wenn man sie zum Gegner hatte. Da hatte Kurt Reimuth schon recht behalten.

Was er nicht ahnte, war, dass seine männlichen Kollegen der 19-Jährigen mitten in der aufgeregten Versammlung den Vorschlag zur Mitarbeit machten. "Dann wählt sie doch in den Vorstand", so der Rat an die Mitglieder. Soll sie mal zeigen, was sie draufhat. Lass die Hanne doch mal machen! "Die haben gehofft, dass der Spuk schnell wieder vorbei ist und wir nach ein paar Monaten die Lust am Fußballspielen verlieren", sagt Hannelore Ratzeburg.

Es kam ganz anders. 40 Jahre später ist die forsche Fußballerin aus Eimsbüttel die mächtigste Frau im deutschen Fußball. Keine verkörpert so wie sie die Geschichte des Frauenfußballs. Es ist auch die Geschichte der Frauen in diesem Land und ihr mühevoller Kampf um Anerkennung, für Gleichberechtigung und gegen dumpfe Vorurteile.

Auf der Visitenkarte von Hannelore Ratzeburg mit dem grünen DFB-Logo steht seit vier Jahren "Vizepräsidentin". Bereits 1980 wurde sie Mitglied der Uefa-Kommission für Frauenfußball, zehn Jahre später eroberte sie in gleicher Funktion den Weltverband Fifa. Immer war sie die erste und lange die einzige Frau unter Männern. Manche sagen, Hannelore Ratzeburg hat genau so viel für die Emanzipation und die Gleichberechtigung der Frauen in Deutschland getan wie Alice Schwarzer.

Vor zwei Jahren bekam sie das Bundesverdienstkreuz, heute Abend erhält sie für ihr großes Engagement und die nachhaltige gesellschaftliche Wirkung den Elisabeth-Selbert-Preis in Wiesbaden. Die Juristin Elisabeth Selbert aus Kassel setzte 1949 bei den Verhandlungen im Parlamentarischen Rat über das Grundgesetz den Satz "Männer und Frauen sind gleichberechtigt" durch. In der Laudatio heißt es: "Der große Enthusiasmus von Hannelore Ratzeburg und ihre Hartnäckigkeit haben den Frauenfußball zu dem gemacht, was er heute ist. Damit hat sie, ähnlich wie die Namensgeberin, ein Stück Gleichberechtigungsgeschichte geschrieben."

Es waren aufgeregte Zeiten damals. Die Studenten gingen gegen den Muff aus 1000 Jahren unter den Talaren auf die Straße, die Jugend wollte sich nicht mehr mit den vorgefundenen Strukturen und der Rollenverteilung zwischen Mann und Frau abfinden. "Es war die Zeit, als der akkurate Haarschnitt verloren ging", sagt Hannelore Ratzeburg und lächelt.

Auch sie durfte nicht aufs Gymnasium, weil sie "nur ein Mädchen war und schnell heiraten und Kinder bekommen würde". Ihr Vater war Bäcker und Konditor, arbeitete bei Nur hier, ihre Mutter war im Einzelhandel tätig. Sie selbst machte über den zweiten Bildungsweg Abitur und studierte Sozialpädagogik.

Zehn Jahre zuvor regelte noch der Gehorsamsparagraf im Bürgerlichen Gesetzbuch, dass in Deutschland "dem Manne die Entscheidung in allen das gemeinschaftliche eheliche Leben betreffenden Angelegenheiten zusteht; er bestimmt insbesondere Wohnort und Wohnung". Und erst 1970 hatte der Deutsche Fußball-Bund (DFB) das Verbot des Frauenfußballs aufgehoben. Bis 1955 mussten Vereine, die ihre Plätze Frauen zum Fußballspielen zur Verfügung stellten, mit einer Strafe des DFB rechnen. Flugs titelte die "Welt" am 3. Januar 1970: "Gefasst erwarten Hamburgs Funktionäre ein neues Problem - Frauen-Fußball".

Männer wie Kurt Reimuth wussten damals also die Mehrheit der Bevölkerung hinter sich, wenn sie kräftig mit dem Stock auf den Tisch hauten. Frauenfußball in den 1970er-Jahren war in etwa so beliebt, als hätte man den Herren gesagt, sie dürften ihre Siege in der Kabine zukünftig nur noch mit Multivitaminsaft feiern. Bayern-Bomber Gerd Müller ließ sich zum Thema Frauen und Fußball zitieren: "Die sollen kochen, nicht kicken."

Und vielleicht wäre "der Spuk" ja wirklich vorbei gewesen, wenn sich Hannelore Ratzeburg, die durch ihren Freund zum Fußball gekommen war, nach ihrem ersten Einsatz am 9. Mai 1971 mit ihren Freundinnen entschlossen hätte, die Fußballschuhe gleich wieder in die Ecke zu werfen. 0:6 hieß es nach zwei mal 30 Minuten gegen die Mädchen vom HSV. "Wir sind alle immer dahin gerannt, wo der Ball war", sagt sie. Unter den 300 Zuschauern waren "fast nur Männer, und die haben sich königlich amüsiert."

Einer aber entpuppte sich damals schon als Visionär. Horst Barrelet, Vorsitzender des Hamburger Fußball-Verbandes (HFV), zeigte sich bereits 1970 als beweglicher Funktionär, der bereit war, neue Wege zu gehen. "Was gestern verpönt war, kann morgen zum Schlager werden. Frauenfußball ist keineswegs absurd. Der Frauenfußball wird sich nicht als Clownerie, sondern als echter Sport durchsetzen, davon bin ich überzeugt", sagte Barrelet. "Und es spricht nichts dagegen, dass die Begeisterung bei den Frauen vermutlich größer sein wird als bei den Männern."

Der Weg war steinig. Wenn Hannelore Ratzeburg heute den aktuellen Nationalspielerinnen von früher erzählt, klingt das wie ein Märchen. Aber es ist "ein wahres Märchen". Es sind Geschichten aus Zeiten, "in denen es legitim war, Frauen zu demütigen und lächerlich zu machen".

Als die Männer nur am Spielfeldrand standen, um nach dem Abpfiff lautstark den Trikottausch zu fordern. Als sie Handzettel druckte und diese in Eimsbüttel in Briefkästen, Hauseingänge und Studentenwohnheimen verteilte, um Spielerinnen zu werben.

Und als die kleine Hannelore aus Hamburg 1975 ihre erste Rede beim Deutschen Fußball-Bund gehalten hat. In einem Hörsaal mit steil nach oben ragenden Rängen. Sie ganz unten, mit schlotternden Knien und überall nur Männer. Doch nach den ersten drei Sätzen ging es gut. "Ich hatte ja was zu erzählen." Von dem Pfingstturnier in Hamburg zum Beispiel. "Mit vier Mädchenmannschaften und vielen neugierigen Zuschauern. Das war so etwas wie ein kleiner Durchbruch." Hanne war damals Spielerin, Trainerin, Schiedsrichterin. Andere Verbände waren längst noch nicht so weit wie Hamburg. Da stand eine Funktionärin am Pult, die wusste, wovon sie redet und wie sich ein Grandplatz sonntagmorgens um neun nach einem Foul anfühlt.

Und deren hervorragende Eigenschaft die Beharrlichkeit ist. Mitstreiter beim Hamburger Fußball-Verband beschreiben sie als gründlich bis penetrant. Eine, die sich bis ins Detail kümmert. "Die Chefin" wird sie genannt. Wenn in Pressemitteilungen "Spieler" steht, gibt sie nicht eher Ruhe, bis daraus "Spieler und Spielerinnen" geworden ist. Wenn irgendwo in Hamburg ein E-Mädchen-Turnier stattfindet, kommt Hannelore Ratzeburg und überreicht den Pokal. Sie kann lachen und flachsen, aber wehe, jemand macht einen dummen Spruch über Frauenfußball. Dann ist der böse Blick noch die friedlichste Reaktion.

Im Grunde ging es ihr von Anfang an und immer nur um Gerechtigkeit. "Wir wollten den Männern nie etwas wegnehmen", sagt sie, "aber wer sollte uns das Fußballspielen verbieten?"

Dafür hat sie vier Jahrzehnte gekämpft. Warum? "Weil ich nicht aufgeben wollte." Auch wenn sie manches Mal vor Ärger "in die Tonne getreten hat". Wie oft ist sie im Zug zum DFB nach Frankfurt gefahren, hat sich in die Sitzungen gesetzt, in denen drei Stunden von Männern nur über Männerthemen geredet wurde. Und wenn die Zeit um war, hieß es: "Hanne, fass dich bitte kurz." Und dann hat sie gesagt: "Moment mal, das kommt gar nicht infrage. Ich habe euch so lange zugehört und erwarte jetzt, dass ihr mir auch zuhört."

Sie hatte ja, um im Bild zu bleiben, ein leeres Spielfeld vor sich. Es gab ja nichts, als sie anfing. Keine Mannschaften, keine Punktspiele. "Mein Vorteil war, dass ich mich auf Dinge eingelassen habe, von denen ich nicht wusste, was dahinter steckt." So konnte sie Strukturen schaffen. "Gestalten ist das, was mir liegt", sagt sie.

Eine niedliche Umschreibung ist das für eine, die in Deutschland den Vereins- und den Länderpokal eingeführt hat. Später, klugerweise, erst die zweiteilige Bundesliga, aus der dann die einteilige wurde. Die den damaligen DFB-Präsidenten Hermann Neuberger überzeugte, die Europameisterschaft 1989 in Deutschland auszutragen. Und die maßgeblichen Anteil daran hatte, dass es seit 1981 auch eine offizielle Frauennationalmannschaft gibt, die am 10. November 1982 vor 5500 Zuschauern in Koblenz ihr erstes Länderspiel mit 5:1 gegen die Schweiz gewann.

Die Ideen gingen ihr nie aus: Spielten anfangs noch acht- bis 16-jährige Mädchen in einer Mannschaft, schaffte sie die Aufteilung: acht bis 13 und 13 bis 16. Sie plädierte für gemischte Mannschaften. "Heute kommen die meisten Nationalspielerinnen aus gemischten Teams. Sie haben sich bis zur B-Jugend mit den Jungs gemessen. Die haben schon auf der Straße mit den Nachbarjungs gekickt und sich durchgesetzt."

Sie hat das alles neben ihrem Beruf gemacht. Im "richtigen Leben" ist Hannelore Ratzeburg seit 30 Jahren Vorschullehrerin in Iserbrook. Liest viele Bücher mit den Kindern oder erklärt ihnen mit Esslöffeln und Salz und Pfeffer die statische Aufladung, um der ungebremsten Bilderflut, die die kleinen Menschen zu Hause trifft, etwas entgegenzusetzen.

Sie findet nicht, dass sie ihre Zeit geopfert habe. Im Gegenteil. "Ich habe meine Zeit gestaltet." Ein Ehrenamt habe so viele Vorteile. Kein Chef, den man fragen muss, wenn man neue Dinge anpackt. Soziale Kompetenzen erwerben, die natürlich wieder Auswirkungen auf den Beruf haben. Konflikte austragen können, Erfolgserlebnisse genießen, in der Welt herumkommen.

In diesen Wochen ist Hannelore Ratzeburg pausenlos unterwegs. Und es ist ein bisschen so, dass jetzt ihr Lebenswerk gekrönt wird. Sie sitzt in der NDR-Talkshow. Sie ist Gast im Klubheim des SC Eilbek. Livesendung von NDR 90,3 zum Thema Frauenfußball. Moderatorin Britta Kehrhahn will wissen, was "die Mutter des Frauenfußballs" davon hält, dass sich jetzt fünf DFB-Juniorennationalspielerinnen für den Playboy ausgezogen haben? Die seien alt genug und hätten sicher eine sportliche Figur, antwortet sie knapp.

Es gibt auch Fragen, die sie eigentlich nicht mehr beantwortet. Wann wird die erste Frau eine Herren-Bundesliga-Mannschaft trainieren? "Das impliziert ja, dass der Männerfußball das Maß aller Dinge ist", sagt sie. Hannelore Ratzeburg trägt immer noch eine Art Grundskepsis mit sich herum, als erwarte sie hinter jeder Frage einen Angriff. Aber sie ist schon gelassener geworden. Den Kampf hat sie ja auch längst gewonnen. Eine Million Mädchen und Frauen spielen inzwischen organisiert Fußball beim DFB. 10 000 kamen letztes Jahr dazu, bei den Männern sinkt die Zahl der Klubs. Das WM-Eröffnungsspiel in Berlin werden 74 000 Menschen im Olympiastadion verfolgen - ausverkauft. Erstmals werden alle WM-Spiele live im TV gezeigt. Für den Titel gibt es pro Spielerin 60 000 Euro, 1989 bei der EM erhielten die deutschen Siegerinnen jeweils ein Kaffeeservice. Es gibt die Nationalspielerinnen auf Panini-Bildchen, es gibt ein Kicker-Sonderheft zur Frauen-WM. Der Boom ist buchstäblich überall sichtbar.

Letzte Woche war DFB-Generalsekretär Wolfgang Niersbach zum Verbandstag des HFV nach Hamburg gekommen. Er redete über Strukturen und Talentförderung. Und schließlich auch über die anstehende Frauenfußball-Weltmeisterschaft. Überall gelte jetzt Steffi Jones als WM-Botschafterin, als "Kaiserin" und weiblicher Pendant zu Franz Beckenbauer, sagte er. "Aber diese Weltmeisterschaft", so Niersbach, "ist die WM der Hannelore Ratzeburg - und es ist ihr zu gönnen."

Hannelore Ratzeburg saß in der ersten Reihe und freute sich sichtlich über den minutenlangen Applaus.

Die Worte des DFB-Generals hatten eine ziemliche Wucht. Auch ohne Krückstock.