Brunnen. Der vergoldete Stollenschuh steht direkt am Eingang der Gastwirtschaft auf einem Podest. Als Erinnerung an einen Volltreffer, der Fußballgeschichte schrieb. Erzielt von Timo Konietzka am 24. August 1963 - in der 1. Minute des ersten Spieltages der neu gegründeten Bundesliga. Das Premierentor.

Der Schütze von damals sitzt am Stammtisch links vom Tresen. Im Trachtensakko, mit emailliertem Schweizer Kreuz am Kragen. Handschlag. Moinmoin. Unverkennbar das kernige Gesicht mit dem Stoppelhaar. Wie vor 45 Jahren, als der Kicker aus dem Kohlenpott im linken Mittelfeld (Rückennummer 10) Furore machte, mit Borussia Dortmund sowie München 1860 deutscher Meister wurde und in 100 Bundesligabegegnungen 72 Tore erzielte. Allein Gerd Müller hat eine trefflichere Quote vorzuweisen. Vor bald 70 Jahren in Lüden in Westfalen geboren, wechselte Konietzka vor vier Jahrzehnten ins Land der Eidgenossen, erwarb 1990 den Schweizer Pass. Gemeinsam mit Ehefrau Claudia betreibt er heute die Gaststätte "Ochsen" im malerischen Dorf Brunnen am Vierwaldstättersee. Eine Fußminute ist es bis zur Uferpromenade mit einem Blick, der seinesgleichen sucht. Fjordähnliche Buchten, von Bergen eingerahmt, darauf schmucke Chalets und kleine Holzhütten. Wolken krönen die Gipfel.

"Ich verdanke dem Fußball alles", bekennt der 69-Jährige und bittet zu Tisch. "Poulet im Körbli", geröstetes Hähnchen mit einer nach Geheimrezept zubereiteten Sauce im Bastkörbchen, genießt weit über Brunnen hinaus exzellenten Ruf. In der Regel sind die 100 Restaurantplätze abends ausgebucht. Ebenso wie die gemütlichen Hotelzimmer und bei schönem Wetter die Bar am Kanal draußen vor der Tür. Von dort lässt sich die kunstvoll restaurierte Fassade des 1740 errichteten Gebäudes mit farbigen Wappen, einem Ochsenkopf, grünen Fensterläden und vielen Blumen bewundern.

"Wir haben eine Menge investiert", sagt Konietzka - nicht ohne Stolz. Und spielt das geschäftliche Kompliment an seine Gattin weiter: "Sie schmeißt den ganzen Laden." Er selbst sei meist nur am Wochenende vor Ort, hole Getränke heran oder helfe in der Küche aus. Von Montag bis Freitag fährt Timo Konietzka als Handelsreisender durch deutsche Lande - bis vor kurzem für orthopädisches Schuhwerk, neuerdings für federnde Gesundheitsmatten. Regelmäßig führt der Weg auch nach Hamburg.

Und warum ackert einer, der eigentlich ausgesorgt haben müsste, mit fast 70 immer noch? "Um mich selbst zu schützen", so die spontane Antwort. Die Alternative, so der "Knallhartmann" (eigene Angabe) alter Schule, der schon als Spieler und mehrfacher Meistertrainer Ordnung, Ehrgeiz, Einsatz und Disziplin beschwor, sei permanentes Sitzen am Stammtisch, Schnäpse mit Gästen, immer wieder Anekdoten von damals. Zum Beispiel der Skandal von 1966, mit einem halben Jahr Sperre geahndet. Timo, jung und feurig, hatte dem Schiedsrichter mit dem Schuh das Schienbein "gekitzelt" und die Pfeife geklaut. Nur weil Siegfried Held die Pille mit der Hand berührt und das 2:1 gegen Konietzkas Münchner Löwen erzielt hatte.

Darum der Wechsel von der deutschen Bundes- in die Zweite Schweizer Liga? "Nö, dat war wegen der Kohle." Statt 30 000 Mark Jahresgage gab's in Winterthur das Dreifache. Daher die Liebe zum Alpenstaat? "Nix, ich hege ein Faible für die Schweizer Lebensart und Natur - beruflich bin ich vonne Gene her deutsch." Vielleicht habe er es daher aus 1000 Meter untertage als Knappe im Kohlenpott zum kommoden Leben in den Bergen gebracht. Konietzka lacht lauthals. Dabei blitzt der Ring am linken Ohr - eine goldene Kuh. Dennoch ziehe es ihn ins Ruhrgebiet, wann immer sich ein Anlass dafür biete. Fünf Jahre hat er auf der Zeche Victoria in Lünen malocht, bis Dortmund "mit mehr Kohle lockte".

Und mit der Borussia ging's anno 1963 am ersten Bundesligatag ins Weserstadion. Konietzka reckt sich empor, schildert temperamentvoll die unvergessliche Szene exakt 58 Sekunden nach dem Anpfiff. Pass auf Lothar Emmerich, "Emma" stürmt links bis zur Grundlinie, flankt die "Kirsche" vor den Werder-Kasten. Dort steht Konietzka - mit rechts donnert er das Leder aus acht Metern ins rechte Eck. So unerwartet schnell für alle Beteiligten war das damals, dass kein Foto existiert.