Heute: Axel Tiedemann

Gut, nun ist sie über uns hereingebrochen: Die WM, Verzeihung - die EM. Diesem kollektiven Fußball-Taumel zu entkommen, erscheint unmöglich. Selbst im öffentlich-rechtlichen Radio dröhnt als erste Meldung, dass die deutsche Mannschaft sich auf irgendein Spiel vorbereitet. Welche Erkenntnis! Sie bereiten sich also vor. Und für dieses Wissen soll ich nun auch noch Gebühren zahlen! Wie wär's, liebe Radioleute, wenn ihr morgens als Erstes meldet, dass die Freiwillige Feuerwehr Poppenbüttel sich mit Zähneputzen auf den neuen Tag vorbereitet? Oder dass Onkel Heinrich rasenmähen möchte. Fände ich alles mindestens genauso so spannend.

Und dann dieses Fahnenfieber auf den Autodächern. Überall flattert und wackelt es einem Schwarz-Rot-Gold entgegen. Vielen reicht nicht ein Fähnchen, zwei sind Standard. Ein Auto habe ich gestern gesehen, das hatte zwei Flaggen an allen vier Türen. Dann noch welche an Motor- und Kofferraumhaube. Das Ganze sah irgendwie nach Prinzessin-Sissy-Kutsche aus, war aber doch nur ein Opel aus Gütersloh.

Offenbar waren in den vergangenen Monaten gleich mehrere chinesische Provinzen damit beschäftigt, kleine Deutschlandfähnchen zu produzieren. Und türkische. Auch die flattern jetzt oft auf Hamburgs Straßen. Manchmal in fröhlicher Eintracht mit einer deutschen Flagge. Okay, ist noch ganz sympathisch, dieser fröhliche Doppel-Patriotismus auf dem Autodach. Und zugegeben, am Sonnabend habe ich daher ein paar Mal kurz ins Fernsehen geluschert. Türkei gegen Spanien, oder war es Portugal? Schade, dass die Türken vermutlich verloren haben. Allerdings war ich auch gezwungen, hinzugucken. Der Fernseher lag nämlich bei einer Sommerparty auf dem Weg zum Büfett. Und selbst dort war alles EM-verseucht. Allerdings auf eine Weise, mit der man sich gut arrangieren konnte. Aus jedem EM-Land gab's eine Spezialität. Oberlecker: Prager Schinken, Käse aus Holland, Tortilla aus Spanien, Buletten aus Deutschland. Gewonnen hat da für mich übrigens Portugal. Die Scampi-Oliven-Pfanne war nicht zu schlagen. So lass ich mir die WM schmecken. Pardon, die EM natürlich.