Kiel. Johannes Flum wird für die Hamburger zum Matchwinner. Schwere Ausschreitungen vor dem Spiel überschatten das Nordderby.

Es waren skandalöse und beängstigende Szenen, die sich im Holstein-Stadion abspielten. Eine halbe Stunde vor dem Anpfiff stürmten rund 50 vermummte Kieler Fans aus dem Heimblock – zum Teil mit Eisenstangen bewaffnet – auf den Platz, um die St.-Pauli-Kurve zu attackieren. Dort klauten die Störche-Hooligans eine Fahne der Hamburger Fans vom Zaun. Es entwickelte sich eine Hetzjagd, an der sich auch Spieler und Trainer des FC St. Pauli beteiligten. Torwarttrainer Mathias Hain und Co-Trainer Patrick Glöckner machten sich ebenso auf die Jagd nach den Chaoten wie Stürmer Sami Allagui, der zunächst die St.-Pauli-Fahne zurückholte und anschließend einen weiteren fliehenden Hooligan auf dem Rasen niederstreckte.

Polizei griff spät ein

Ordnungsdienst und Polizei waren trotz der Klassifizierung als Sicherheitsspiel überfordert, griffen viel zu spät ein. Es grenzte an ein Wunder, dass niemand ernsthaft verletzt wurde. Schiedsrichter Harm Osmers (Hannover) machte unmissverständlich klar, dass ein weiterer Platzsturm zu einem Spielabbruch geführt hätte. Die Partie begann mit knapp zehn Minuten Verspätung. Ein Nachspiel seitens das Deutschen Fußball-Bundes (DFB) wird ohnehin folgen.

Hintergrund der Attacke: Am vergangenen Sonnabend kam es am Holstein-Stadion zu Ausschreitungen, bei denen angeblich der Fanszene des FC St. Pauli angehörende Krawallmacher ein Banner der Kieler geklaut hatten. Eine üble Geste der Provokation unter Fußballfans. Und so geriet das 1:0 (1:0) auf dem Rasen fast schon in den Hintergrund.

„Wir haben im Spielerkreis beschlossen, dazu nichts zu sagen“, sagte Abwehrspieler Lasse Sobiech. Drei Tage nach dem blamablen 0:4 gegen den FC Ingolstadt zeigte St. Pauli die erhoffte Reaktion. Trainer Olaf Janßen setzte auf ein 4-1-4-System mit drei personellen Änderungen. Sobiech ersetzte in der Innenverteidigung den verletzten Marc Hornschuh, Daniel Buballa kam für Cenk Sahin in die Partie, und für Maurice Litka feierte Mittelfeldtalent Richard Neudecker sein Startelfdebüt beim Kiezclub.

Taktik ging auf

Der Überraschungstabellenführer aus Schleswig-Holstein war zu Beginn die spielbestimmende Mannschaft, die sich aber schwer tat, gegen gut organisierte Hamburger Chancen zu kreieren. Außer eines Kopfballs von David Kinsombi, den Robin Himmelmann herausragend parierte, gab es kaum Torabschlüsse der bisher erfolgreichsten Offensive der Zweiten Liga. St. Paulis Taktik ging hingegen auf, immer wieder setzte das Janßen-Team Nadelstiche, doch Neudecker (13.), Waldemar Sobota (17.), Johannes Flum (24.) und Jeremy Dudziak (34.) fehlte im Abschluss die letzte Konsequenz.

Wie es besser geht, zeigte Flum unmittelbar vor der Pause eindrucksvoll. Eine überragende Vorarbeit des auffälligen Neudecker schweißte der ehemalige Frankfurter ansatzlos in den Winkel. Das nicht unverdiente 1:0 glich in Entstehung und Vollendung einem Kunstwerk. St. Pauli war defensiv stabil und griffig in den Zweikämpfen, was der Kieler Trainerbank nicht gefiel. Immer wieder bepöbelten sich Coach Markus Anfang und St. Paulis Janßen wild gestikulierend. Nicht ganz so emotional ging es dann in Hälfte zwei weiter.

Gelb-Rot für Hermann

Die Kieler versuchten irgendwie, Lösungen gegen die taktisch disziplinierten und leidenschaftlich verteidigenden Kiezkicker zu finden. Klare Torchancen blieben Mangelware, obwohl sich St. Pauli phasenweise zu tief in die eigene Hälfte drängen ließ. Auch bis zu Janßen hatte sich herumgesprochen, dass die Kieler ungern das Spiel machen und lieber Konterfußball spielen. Und dass das Glück durchaus mit dem Tüchtigen ist, zeigte sich in Minute 75, als Kiels Aaron Seydel aus kurzer Distanz am Tor vorbei zielte. Wenn aber die Hamburger das berühmt berüchtigte Haar in der Suppe suchen wollen, muss ihnen die fehlende Entlastung in der zweiten Halbzeit angekreidet werden. Außer einer Halbchance des eingewechselten Allagui gab es kaum Offensivaktionen. Doch es sollte auch so reichen, zumal Kiels Patrick Herrmann sechs Minuten vor dem Ende mit Gelb-Rot vom Platz musste.

Mentalität schlägt Qualität

Und so konnten die Hamburger spätestens nach der Sensationsparade von Himmelmann gegen erneut Kinsombi in der Nachspielzeit gemeinsam mit ihren 2300 mitgereisten Anhängern den wichtigen Auswärtssieg im Holstein-Stadion feiern. „Geiler geht es nicht. Wenn Mentalität Qualität schlägt, ist es doch umso schöner“, fasste Neudecker einen Abend zusammen, an dem der Fußball abseits des Platzes sein hässliches Gesicht gezeigt hatte.