Portugal verpasst den Auftaktsieg bei der EM. Holger Stanislawski deckt die Schwächen von Superstar Cristiano Ronaldo auf.

Rekordmann Cristiano Ronaldo kämpfte und schimpfte, er feuerte aus allen Lagen – doch auch der Superstar konnte die Blamage nicht verhindern: In seinem 127. Länderspiel mussten sich der dreimalige Weltfußballer und seine Portugiesen gegen EM-Neuling Island mit einem enttäuschenden 1:1 (1:0) begnügen – eine böse Überraschung zum EM-Auftakt gegen den krassen Außenseiter.

Mittelfeldmann Birkir Bjarnason (50.) vom FC Basel glich in Saint-Étienne Portugals Führung durch Nani (31.) aus, der den 600. Treffer der EM-Geschichte erzielte. Dabei schienen Island nach gutem Beginn gegen technisch stärkere Portugiesen, bei denen der künftige Münchner Renato Sanches eingewechselt wurde (71.), die Mittel auszugehen.

Doch die tapferen Nordmänner – wilde Bärte, lange Haare – steckten nie auf und wurden belohnt. Auch, weil Ronaldo in der 85. Minute den Siegtreffer per Kopf vergab. Und es hätte sogar noch schlimmer kommen können: Joker Alfred Finnbogason vom FC Augsburg hatte die Sensation auf dem Fuß (86.).

Stanislawski deckt Ronaldos Schwächen auf

ZDF-Experte Holger Stanislawski
ZDF-Experte Holger Stanislawski © Witters | ValeriaWitters

Für ZDF-Experte Holger Stanislawski präsentierte sich Portugal dennoch wie ein Titelfavorit. Die Kombination, die zum 1:0 führte, sei „herausragend gut“ gewesen. Der Spielzug habe die fußballerische Qualität der Portugiesen gezeigt. Warum es dann aber nicht zum Sieg reichte, begründete der ehemalige Spieler und Trainer des FC St. Pauli mit den kämpferischen Qualitäten des Gegners. „Island hat alles in die Waagschale geworfen und gegen richtig gute Portugiesen brutal dagegengehalten.“

Genau daran mangelte es Superstar Cristiano Ronaldo nach Ansicht Stanislawskis. „Wenn er den Ball hat, macht er geniale Dinge. Aber letztendlich wird er nie aktiv, wenn er den Ball nicht hat. Er reißt nie mal Lücken für seine Mitspieler“, kritisierte „Stani“.

Island glaubt ans Achtelfinale

Bei den Aussagen von Torschütze Nani könnte man meinen, das Spielerische sei wichtiger als das Ergebnis. „Wir haben gezeigt, dass wir das bessere Team waren. Die haben nur lange, hohe Bälle geschlagen. Aber das war nur das erste Spiel“, sagte Nani. Islands Torwart Hannes Halldorsson meinte: „Wir haben gegen den besten Spieler der Welt gespielt, die letzten 35 Minuten waren echt lang. Wir haben großen Charakter gezeigt – und es geschafft. Jetzt ist alles möglich.“

Für die kleinste Nation, die je bei einem großen Turnier dabei war, war schon die Teilnahme eine Sensation. Auf der Insel leben 330.000 Menschen – wie in Bielefeld. Portugal hat 32-mal so viele Einwohner. Und doch schaltete Island in der Qualifikation sogar die Niederlande um Superstar Arjen Robben mit zwei Siegen (2:0/1:0) aus.

Ronaldo wusste um die Schwere der Aufgabe, beim Warmmachen feuerte er die Fans wild winkend zum Anfeuern auf. Dazu streute er ein paar Übersteiger in seine Vorbereitung ein – noch ohne Gegenspieler. Als es los ging, nahmen ihn die Isländer gleich ordentlich ran. Auch an „netten“ Worten für den bisweilen selbstgefälligen Star mangelte es nicht.

Ronaldo lief sich häufig fest

Trainer Lars Lagerbäck hatte die Begegnung bereits im Vorfeld angeheizt, als er Ronaldo und Abwehrchef Pepe „Schauspielerei“ vorwarf. Beim Versuch, sich sportlich zu revanchieren, lief sich Ronaldo immer wieder in den beiden Viererketten des Außenseiters fest. Die erste Chance gehörte dem Underdog durch den ehemaligen Hoffenheimer Gylfi Sigurdsson (3.).

Doch der Favorit wurde bald munter. Wolfsburgs Vieirinha prüfte Kult-Keeper Halldorsson (18.), im „richtigen“ Leben Filmregisseur. Dann hatte „CR7“ seinen ersten großen Auftritt: Popowackler, ansatzlose Flanke - Halldorsson rettete gegen Nani bärenstark (21.).

Der Torhüter rückte vor 38.742 Zuschauern im Stade de Geoffroy Guichard nun in den Blickpunkt. Ronaldo köpfte vorbei (23.), Ronaldo scheiterte an Halldorsson (25.). Portugals Fußball-Held, der noch vor wenigen Tagen mit Staatspräsident Marcelo Rebelo de Sousa speisen durfte, fehlte die Präzision. Nani machte es besser, als er eine flache Hereingabe von André Gomes nach schulbuchmäßiger Vorarbeit von Vieirinha verwertete.

Stanislawski erklärt Islands Kampfgeist

Ronaldo läutete Hälfte zwei mit einem weiteren Torschuss ein (47.), als urplötzlich Island eiskalt zuschlug. Bjarnason nutzte ein Missverständnis zwischen Vieirinha und Pepe. Ronaldo nahm das 1:1 als persönliche Beleidigung auf, er fluchte und meckerte – auch gegen seine Kollegen. Portugal erhöhte am Ende den Druck, doch letztlich jubelte der Außenseiter. „Das 1:1 wirkte, wie wenn man den Stecker in die Steckdose steckt: Die isländischen Akkus wurden wieder aufgeladen“, analysierte Stanislawski.

Die Statistik

Portugal: Patricio/Sporting Lissabon (28 Jahre/46 Länderspiele), Vieirinha/VfL Wolfsburg (30/23), Carvalho/AS Monaco (38/87), Pepe/Real Madrid (33/72), Guerreiro/FC Lorient (22/8) - Joao Mario/Sporting Lissabon (23/12) ab 76. Quaresma/Besiktas Istanbul (32/51), Danilo/FC Porto (24/13), Gomes/FC Valencia (22/9) ab 84. Eder/OSC Lille (28/27) - Moutinho/AS Monaco (29/85) ab 71. Sanches/Benfica Lissabon (18/6) - Nani/Fenerbahce Istanbul (29/97), Ronaldo/Real Madrid (31/127). - Trainer: Santos

Island: Halldorsson/FK Bodo/Glimt (32/34) - Saevarsson/Hammarby IF (31/58), Sigurdsson/FK Krasnodar (29/57), Arnason/Malmö FF (33/48), Skulason/Odense BK (29/39) - Gunnarsson/Cardiff City (27/60) ab 90. Bjarnason/Aarhus GF (29/28), Sigurdsson/Swansea City (26/40) - Gudmundsson/Charlton Athletic (25/48), Bjarnason/FC Basel (28/48) - Sigthorsson/FC Nantes (26/40) ab 81. Finnbogason/FC Augsburg (27/35), Bödvarsson/1. FC Kaiserslautern (24/22). - Trainer: Lagerbäck

Schiedsrichter: Cüneyt Cakir (Türkei)

Tore: 1:0 Nani (31.), 1:1 Bjarnason (50.)

Zuschauer: 38.742

Gelbe Karten: - Bjarnason, Finnbogason

Torschüsse: 26:4

Ecken: 11:2

Ballbesitz: 69:31 %