Frankfurt/Main. Ex-Präsident Niersbach soll Beckenbauer bei Vorladung schwer belastet haben. Der DFB bestreitet die brisanten Aussagen nicht.

Die Nachricht von peinlichen Indiskretionen in der WM-Affäre erwischte den möglichen neuen DFB-Chef beim Ortstermin mit Flüchtlingen in Berlin. „Ich bedauere, dass Infos durchgestochen worden sind“, sagte Präsidentschaftskandidat Reinhard Grindel am Dienstag, nachdem Details aus dem externen Untersuchungsbericht der Ermittler beim Deutschen Fußball-Bund durchgesickert waren. Der Ärger über das Leck bei der Aufklärungsarbeit war Grindel deutlich anzusehen. „Der DFB hat mit großem Befremden zur Kenntnis genommen, dass vertrauliche Vernehmungsprotokolle in den Medien auftauchen“, teilte der Verband mit.

Den Inhalt der brisanten Aussagen - unter anderem von Ex-Präsident Wolfgang Niersbach gegen seinen langjährigen Freund Franz Beckenbauer - bestritt der DFB nicht. „Es bleibt trotz dieser äußerst ärgerlichen Indiskretionen dabei, dass Freshfields seine gesamten Ergebnisse vorstellt, sobald die Untersuchungen abgeschlossen sind“, hieß es weiter.

DFB geht von externem Maulwurf aus

Der Bericht der vom DFB beauftragten Frankfurter Wirtschaftskanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer soll frühestens im Februar fertig sein. Die „Bild“-Zeitung hat aber bereits jetzt Auszüge aus den Vernehmungsprotokollen publik gemacht - für den krisengeplagten DFB ein weiterer Tiefschlag.

Der „Maulwurf“ kann nach Angaben des Verbandes nicht aus dem eigenen Haus kommen. „Zur Klarstellung: Weder der Präsidialausschuss noch das gesamte DFB-Präsidium hatten zu irgendeinem Zeitpunkt Zugang zu den Protokollen der Kanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer“, erklärte der Verband. Ein Sprecher von Freshfields sagte, das Unternehmen werde aus Rücksicht auf laufende Ermittlungen keine Stellungnahme abgeben.

Die Chronologie des WM-Skandals

16. Oktober

Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) räumt in einer Pressemitteilung Ungereimtheiten rund um eine Zahlung in Höhe von 6,7 Millionen Euro an den Weltverband Fifa ein.

16. Oktober

„Der Spiegel“ berichtet, dass für den Zuschlag der Fußball-WM 2006 Geld aus einer schwarzen Kasse des Bewerbungskomitees geflossen sei, um damit vier entscheidende Stimmen im Fifa-Exekutivkomitee zu kaufen. Das Geld soll von Ex-Adidas-Boss Robert Louis-Dreyfus gekommen sein.

17. Oktober

Erstmals äußert sich DFB-Präsident Wolfgang Niersbach: „Ich kann versichern, dass es (...) definitiv keine schwarzen Kassen beim DFB, dem Bewerbungskomitee oder dem Organisationskomitee gegeben hat.“

18. Oktober

Franz Beckenbauer meldet sich zu Wort und dementiert den „Spiegel“-Bericht: „Ich habe niemandem Geld zukommen lassen, um Stimmen für die Vergabe der Fußballweltmeisterschaft 2006 nach Deutschland zu akquirieren. Und ich bin sicher, dass dies auch kein anderes Mitglied des Bewerbungskomitees getan hat.“

19. Oktober

Die Staatsanwaltschaft prüft einen Anfangsverdacht für ein Ermittlungsverfahren. Mögliche Tatbestände: Betrug, Untreue, Korruption.

19. Oktober

Niersbach weist die Korruptionsvorwürfe erneut zurück, räumt aber „den einen offenen Punkt“ ein: „Dass man die Frage stellen muss, (...) wofür diese Überweisungen der 6,7 Millionen verwendet wurden.“

21. Oktober

Die DFB-Landesverbände fordern von Niersbach eine schnelle Aufklärung der Vorwürfe.

22. Oktober

Niersbach tritt in Frankfurt sichtlich erschöpft vor die Presse und bringt nur wenig Licht ins Dunkel.

23. Oktober

Das DFB-Präsidium stärkt Niersbach den Rücken.

23. Oktober

Zwanziger bezichtigt Niersbach der Lüge und berichtet im „Spiegel“ von der mutmaßlichen Existenz einer schwarzen Kasse „in der deutschen WM-Bewerbung“. Es sei „ebenso klar, dass der heutige Präsident des DFB davon nicht erst seit ein paar Wochen weiß, wie er behauptet, sondern schon seit mindestens 2005“.

26. Oktober

Beckenbauer räumt in der Affäre erstmals einen „Fehler“ ein: Das Organisationskomitee hätte nicht auf einen Vorschlag der Fifa-Finanzkommission eingehen dürfen, um einen Finanzzuschuss zu bekommen.

3. November

Die Staatsanwaltschaft führt beim DFB eine Steuerrazzia durch. Zudem durchsucht sie die Wohnungen von Niersbach, Zwanziger und Ex-DFB-Generalsekretär Horst R. Schmidt. Der Verdacht: Steuerhinterziehung in einem schweren Fall.

6. November

„Der Spiegel“ veröffentlicht angeblich von Niersbach stammende handschriftliche Notizen auf einem Schreiben des WM-OK an die Fifa aus dem Jahr 2004. Diese sollen belegen, dass er nicht erst 2015 von den Vorgängen Kenntnis hatte.

9. November

Am Nachmittag trifft sich das DFB-Präsidium zu einer Sitzung mit Niersbach. Der 64-Jährige erklärt seinen Rücktritt.

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„Der ist auch mit meinem Geld gewählt worden“

„Bild“ zitierte aus den Vernehmungsprotokollen von Niersbach, Ex-Generaldirektor Horst R. Schmidt und Ex-DFB-Direktor Stefan Hans. Demnach habe sich Niersbach daran erinnert, dass Beckenbauer ihm 2002 nach der Wiederwahl von Fifa-Präsident Joseph Blatter gesagt habe: „Der ist auch mit meinem Geld gewählt worden.“ Ähnlich habe sich Hans geäußert. Beckenbauer habe auf die Frage, wem Blatter seine Wahl zu verdanken habe, auf sich selbst gezeigt. Zu diesen Darstellungen wollte sich Beckenbauer auf Anfrage am Dienstag nicht äußern.

Im Kern geht es um die 6,7 Millionen Euro (10 Millionen Schweizer Franken), die damals vom DFB an die Fifa flossen. Deren Zweck und Verbleib ist nach wie vor ungeklärt. Beckenbauer, der damalige Präsident des WM-Organisationskomitees, hatte in einem Interview der „Süddeutschen Zeitung“ Ende November gesagt, dass man der Fifa-Finanzkommission zehn Millionen Franken habe bezahlen müssen, um den WM-Zuschuss von 250 Millionen Schweizer Franken zu bekommen. Dies ist auch die Version des DFB.

DFB lässt Niersbach in Fifa und Uefa

Ein Verdacht ist, dass die Summe verwendet wurde, um Stimmen für die Vergabe der WM 2006 zu kaufen. Ein zweiter, dass sie für Schmiergelder in Blatters Wahlkampf verwendet wurden. Auf eine entsprechende Frage hin hatte Beckenbauer gesagt: „Was soll ich sagen. Ich weiß es einfach nicht. Es bringt ja nichts.“ Der damalige DFB-Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder habe ihm geraten, sich nicht in Fifa-Interna einzumischen.

Niersbach sitzt als DFB-Vertreter in den Exekutivkomitees der Europäischen Fußball-Union Uefa und des Weltverbandes Fifa - und das soll nach Ansicht des DFB auch so bleiben. Für eine Abberufung sieht der weltgrößte Sportfachverband weiter keinen Grund. „Die Ergebnisse der unabhängigen Untersuchung durch die Kanzlei Freshfields liegen zwar noch nicht vor, zum jetzigen Zeitpunkt gibt es aber keinerlei Anzeichen, dass Niersbach aufgefordert werden müsste, aus seinen Ämtern bei der Uefa und Fifa auszuscheiden“, sagte DFB-Interimspräsident Rainer Koch der „Sport Bild“ (Mittwoch).

Mögliche Kandidaten fürs DFB-Präsidentenamt

Rainer Koch

Der Vize-Präsident des DFB hat Ambitionen auf die Niersbach-Nachfolge - und als Chef des Süddeutschen Fußball-Verbandes eine starke Hausmacht im Rücken. Der Jurist hat seit Jahren großen Einfluss im Verband, wäre ein starker Kandidat der Amateurbasis und brachte sich am Montag mit starken Aussagen in Richtung Franz Beckenbauer bereits in Position.

Reinhard Rauball

Der Ligapräsident und Chef von Borussia Dortmund genießt einen exzellenten Ruf und ist vom Führungsstil durch und durch präsidiabel. Er wäre - Stand jetzt - aber nur ein Übergangskandidat für eine Amtszeit, da er mit 68 Jahren kurz vor der DFB-Altersgrenze (70) steht.

Reinhard Grindel

Der CDU-Bundestagsabgeordnete gehört seit zwei Jahren als Schatzmeister zum DFB-Führungszirkel. Als Nachfolger von Horst R. Schmidt hat er sich in der DFB-Zentrale schnell etabliert. Wie Niersbach arbeitete er früher als Journalist. Zu klären wäre, ob er wegen der FIFA-Statuten seinen Politiker-Job aufgeben müsste.

Helmut Sandrock

Der frühere Junioren-Nationalspieler und Vorstandschef des MSV Duisburg rückte als Nachfolger von Niersbach auf den Posten des DFB-Generalsekretärs. Den Job verrichtet er eher im Hintergrund als im Scheinwerferlicht. Eher unwahrscheinlich.

Heribert Bruchhagen

Außenseiterkandidat. Früher Manager des FC Schalke 04 und Hamburger SV, aktuell seit fast zwölf Jahren Vorstandschef von Eintracht Frankfurt: Der Ex-Geschäftsführer der DFL ist bestens vernetzt. Wird nach dieser Saison bei der Eintracht aufhören und wäre damit zumindest als Übergangslösung frei. Hat eine Kandidatur zuletzt aber ausgeschlossen.

Oliver Bierhoff

Der prominenteste Name. Seit über elf Jahren Teammanager der Nationalmannschaft und wichtigster Mitarbeiter von Weltmeister-Trainer Joachim Löw. Der Europameister von 1996 ist sehr gut vernetzt im Profibereich und bei Sponsoren. Und der 47-Jährige ist ein Medienprofi. Für die einflussreiche Amateurbasis ist er aber nur schwer vermittelbar. Zudem wiegelt er selbst (noch) ab.

Wolfgang Niersbach

Der Gedanke klingt im Lichte des Rücktritts absurd. Aber auszuschließen ist nichts. Sollte der Ex-Präsident bei allen Ermittlungen reingewaschen werden, ist ein Comeback nicht grundsätzlich auszuschließen. Mit seiner Demission hat er nicht an Kredit verspielt und von vielen Wegbegleitern sogar Respekt gewonnen. Bedingung wäre aber ein Freibrief durch die Staatsanwaltschaft.

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Jetzt soll Niersbach weiter vermitteln

Niersbach war am 9. November als Verbandschef zurückgetreten, nachdem er im Skandal um eine dubiose 6,7-Millionen-Euro-Zahlung vor der WM 2006 in Deutschland eine schlechte Figur gemacht hatte. Bei der Uefa soll Niersbach dem DFB weiter bei der Bewerbung um die Europameisterschaft 2024 helfen.

„Er hat über Jahrzehnte sehr viele internationale Kontakte aufgebaut. Es wäre ja töricht, sein Angebot, uns Türen zu öffnen und sich für unser Vorhaben einzusetzen, auszuschlagen“, sagte Koch. Zudem solle Niersbach die weitere Aufklärungsarbeit beim DFB durch die externen Freshfields-Ermittler auf internationaler Ebene vermitteln.