Hamburg. Der ehemalige Trainer des FC St. Pauli hat als Interimscoach von Gladbach eine einmalige Erfolgsserie hingelegt. Aber wieso eigentlich?

André Schubert hat Germanistik studiert, Uni Kassel. Neben Sport. Er weiß also, was er sagt und was das, was er sagt, auch tatsächlich bedeutet. Also sagte André Schubert kürzlich: „Wir sind doch alle Interimstrainer.“

Prägnanter kann einer seine Situation ja nicht zusammenfassen – oder die ständige Nachfrage danach karikieren. Ja, er wurde als Interimstrainer bei Borussia Mönchengladbach von jetzt auf gleich für die Profimannschaft eingesetzt, nachdem Lucien Favre erkannt hatte, dass offenbar er und sein Verhältnis zur Mannschaft der Grund für die Niederlagenserie zu Saisonbeginn war. Ja, Schubert ist seitdem über die Maßen erfolgreich: sechs Siege in der Bundesliga, einen alten Rekord eingestellt. Ja, Schubert sorgt für Unglaube, Euphorie und Staunen. Und nein, der Trainer leitet aus seiner Erfolgsserie keine Ansprüche ab. Jedenfalls nicht öffentlich. „Wir sind doch alle Interimstrainer.“

Kommentar: Favres Schritt war Gladbachs Glück

Durchschnittlich ein Jahr und zwei Monate ist die Verweildauer eines Trainers bei einem Verein der Fußballbundesliga. Das ist ein flüchtiges Interregnum im Leben eines Clubs, eine Interimstätigkeit, und Schubert selbst war auch schon in dieser Interimsrolle mit Cheftrainervertrag. Beim FC St. Pauli, zwischen dem 1. Juli 2011 und dem 26. September 2012 – ein Jahr und etwas über zwei Monate. Davor wirkte er knapp über zwei Jahre als Cheftrainer beim SC Paderborn, immerhin. Er kennt also das Geschäft, er weiß, dass die Ergebnisse über allem stehen. Niemand fragt nach der Befindlichkeit der Spieler, wenn die Spiele gewonnen werden. Wie jetzt in Mönchengladbach. Aber wehe, wenn nicht ...

Rüder Umgangston und fehlende Kritikfähigkeit?

Beim FC St. Pauli wurde er nach dem Bundesligaabstieg 2011 Nachfolger von Clublegende Holger Stanislawski. Er fand eine Mannschaft vor, in der Spieler wie Carlos Zambrano, Fin Bartels und Max Kruse Bundesligaqualität hatten, den angestrebten Wiederaufstieg allerdings verpasste das Team knapp. Am Ende landete St. Pauli punktgleich mit Fortuna Düsseldorf auf Rang vier. Mehr wäre drin gewesen, aber es stimmte einfach vieles nicht.

Während der Saison hatten nicht nur der Mannschaftsrat bei Manager Helmut Schulte und dem Präsidium vorgesprochen und dem Chef Mängel in der Kommunikation sowie einen rüden Umgangston vorgeworfen. Auch Sponsoren, Präsidium und Aufsichtsrat waren oft entsetzt, wie Schubert in manchen Fragen „nicht den richtigen Ton traf“. Als das Abendblatt einmal über Zwist in der Mannschaft schrieb, wollte Schubert unbedingt erfahren, wer der Informant sei. Als sich das Abendblatt auf den Informantenschutz berief, keilte Schubert zurück: „Sind wir hier bei James Bond?“

Undiplomatisch gegenüber den Chefs

Ähnlich undiplomatisch verhielt er sich auch gegenüber der Chefetage. Als der damalige Vize und Ex-Profi Jens Duve einmal höflich fragte, ob es denn eine gute Idee sei, bei gegnerischen Ecken keinen Spieler auf der Linie zu positionieren, reagierte Schubert höchst unwirsch. Ihm müsse niemand erklären, wie er sich taktisch zu verhalten habe. Einen anderen Vorstandskollegen herrschte er an, weil der zu spät und dann auch noch telefonierend den Mannschaftsbus nach einem Auswärtsspiel geentert hatte. „Kann sein, dass ich den einen oder anderen brüskiert habe“, gab Schubert auf der seltsamen Pressekonferenz am 12. Mai 2012 zu.

Auf der sollte eigentlich sein Rauswurf verkündet werden. Drei der fünf Vorstandsmitglieder waren dafür, sich von dem Trainer zu trennen. Schulte war bereits beauftragt, einen Nachfolger zu suchen und stand schon in engem Kontakt mit Marco Kurz, der kurz zuvor in Kaiserslautern gehen musste. Doch Schubert konnte das Präsidium um Stefan Orth noch irgendwie umdrehen. „Es gab ein kritisches Analysegespräch über atmosphärische Störungen“, verkündete Orth danach zum allgemeinen Erstaunen, „wir freuen uns, weiterhin mit dem Cheftrainer zusammenzuarbeiten.“ Schubert konnte die Wendung selbst kaum glauben. „Es ist bemerkenswert, dass das Präsidium die Situation nach unserem Gespräch anders bewertet“, erklärte er. Drei Tage später ging Helmut Schulte.

Und drei Monate später André Schubert. Dann doch.

Schubert ist unumstrittener Fachmann

Dass Schubert ein Fachmann ist, bestreitet niemand in der Fußballszene. Als Jahrgangsbester hatte er 2004 seinen Trainerschein gemacht, hatte sich in diversen Nachwuchsteams des DFB als Assistent weitergebildet und Einblicke verschafft. Er ist ehrgeizig, fleißig und wissbegierig. „Aber er hat ein Problem mit seiner Dünnhäutigkeit und mangelnder Kritikfähigkeit“, sagt Paderborns Präsident Wilfried Finke.

Und nun? In Mönchengladbach gibt es nichts zu kritisieren. Es läuft. Über alle Maßen gut. An diesem Dienstag empfängt die Borussia in der Champions League Juventus Turin und strebt den ersten Sieg an. Schubert wird dann den grellgrünen Hoodie gegen ein Sakko tauschen, weil ja die Königsklasse so eine festliche Angelegenheit ist. Kapitän Granit Xhaka hat trotz des letzten Tabellenplatzes nach drei Partien das Weiterkommen noch nicht abgeschrieben: „So, wie wir jetzt drauf sind, ist das machbar.“

Sie glauben, sie spielen, sie siegen. Der Kopf ist klar, Schubert findet den richtigen Ton. Diese Mannschaft weiß der 44-Jährige hinter sich. „Wer jetzt sagt, es passt doch nicht, hat keine Ahnung von Fußball“, sagte Xhaka: „Es gibt keinen Grund, warum er nicht bleiben sollte.“ Und so steigen Spiel für Spiel die Chancen, dass Schubert, der erst vor der Saison von der U15 des DFB nach Gladbach gekommen war, um dort die Regionalligamannschaft zu übernehmen, doch noch seinen Vertrag als Cheftrainer bekommt. „Wir sprechen mit keinem anderen Trainer“, sagte Manager Max Eberl: „André ist jetzt 40 Tage im Amt und macht seinen Job herausragend.“

Ob er mit dieser Chance selbst noch gerechnet hatte? Wirkt er deswegen lockerer? „Klar ist, dass ich in Zukunft einige Dinge anders machen werde, speziell in der Kommunikation“, sagte Schubert nach seinem Abschied aus Hamburg. Das scheint ihm derzeit zu gelingen.

Zumindest interimsweise.