Stephan Rahn muss wie alle Spieler des Hamburger Oberligisten SC Victoria vor dem DFB-Pokalspiel heute gegen den VfL Wolfsburg arbeiten.

Hamburg. Stephan Rahn schlägt vor, Nudeln essen zu gehen. "Dieses Spiel ist wichtig", sagt der Fußballspieler des SC Victoria. "Da muss ich besonders auf meine Ernährung achten." Rahn, 28, ist kein Profi. Selbst vor diesem großen Spiel der Vereinsgeschichte muss er seinem Beruf nachgehen. Korrekt in Anzug und Krawatte gekleidet, verkauft er in Othmarschen Autos.

Deshalb redet er in der Mittagspause auch nicht nur über das DFB-Pokalduell seines Oberligaklubs heute Abend um 19 Uhr am Millerntor gegen den VfL Wolfsburg, den deutschen Fußballmeister von 2009, sondern über das Preis-Leistungs-Verhältnis der Marken Renault und Dacia, die Arbeit auf Provisionsbasis und die 40-Stunden-Woche, "die auch mal länger wird". Er muss gut verkaufen, "sonst kann ich nicht pünktlich beim Training sein. Unser Trainer Bert Ehm hat dafür Verständnis".

Beim Italiener bestellt Stephan Rahn Gnocchi arrabiata und ein Wasser. Dutzende Menschen sitzen auf kleinen braunen Hockern, der Kellner verwechselt gleich zweimal die Bestellung. Rahn bleibt höflich und freut sich, als sein Essen schließlich auf dem Tisch steht.

"Realistisch gesehen haben wir keine Chance", beginnt Rahn die Abwägung, ob eine weitere Fußball-Sensation möglich sein könnte - und unwillkürlich muss an dieser Stelle wohl jeder nicken, der sich für einen Fußballexperten hält. Der VfL Wolfsburg arbeitet nicht zuletzt wegen seines Hauptsponsors VW mit einem Etat von rund 60 Millionen Euro, der fünftklassige SC Victoria muss mit einem Tausendstel dieser Summe auskommen: 60 000 Euro. Ein Sieg gegen Wolfsburg würde alleine an Fernseh- und Bandengeldern fast das Zehnfache des Etats bringen. Und während die Profis um Diego jeden Tag mehrere Stunden trainieren und dafür mit Millionengehältern entlohnt werden, muss das Team von der Hoheluft arbeiten gehen. Ohne Ausnahme. Die Spieler erhalten zwischen 50 und 100 Euro Grundgehalt, kommen, wenn es gut läuft, mit Provisionen auf rund 400 Euro im Monat. Derzeit klappt das nicht mal ansatzweise, da Victoria in der Oberliga häufig verliert.

Und doch glaubt auch der realistisch-skeptische Rahn an seine Chance. Und sagt drei Sätze, die nachhallen. "Wir vertreten den gesamten Hamburger Amateurfußball. Dieses große Spiel ist unsere Bühne. Das ist das, was viele von uns immer wollten." Ob Sven Trimborn, der ehemalige Jugend-Nationalspieler, ob Jan Melich, der einst bei Hannovers Amateuren kickte, oder Torwart Florian Ludewig, der als Pokalheld im Spiel gegen Oberhausen Außenseiterchancen auf einen Einsatz besitzt und sich einst in Bremens zweiter Mannschaft versuchte - der SC Victoria hat einige Spieler, denen man eine große Karriere zutraute. Und die es dann doch nicht ganz schafften.

Auch Rahn gehört dazu. In der Jugend spielte er sieben Jahre bei St. Pauli, wechselte dann zum HSV, schaffte dort aber nicht den großen Sprung. Schließlich ging er mit 21 zum SC Concordia in die Oberliga, gab seinen Traum aber nie auf - und scheiterte. Als ein Wechsel zum norwegischen Erstligaklub Odd Greenland nicht klappte, war ihm klar: "Mit dem Profitum wird es für mich nichts mehr."

Jetzt gilt Rahn, der mit Victoria in fünf Jahren viermal in Folge Meister wurde und mehr als 100 Tore erzielte, an der Hoheluft als Freistoßkünstler mit einem genialen linken Fuß. "Ich glaube, weil hier viele spielen, die auch höher hinaus wollten, haben wir eine ganz besondere Gemeinschaft", sagt Rahn. Auch wenn Tore "nie das Wichtigste" waren, träumt er natürlich von einem Freistoßtor gegen Wolfsburg.

Und so wird Rahn auch heute um viertel nach sieben aufgestanden sein und neun Stunden gearbeitet haben, wenn er am Abend zum Millerntor fährt. Und wenn es wie gegen Oberhausen wieder einen Freistoß in Strafraumnähe gibt, "werde ich hingehen, schauen wo der Torwart steht und alles geben, um den Ball reinzuhauen".

Was die Arbeit betrifft, kann er ganz beruhigt sein. Verkaufsleiter Mirko Strecker sagt: "Ich vertrete ihn, während er ganz Hamburg am Millerntor vertritt." Und weiter: "Seine Leistung bei uns ist sehr gut. Und ich bin überzeugt: Das wird morgen auf dem Platz nicht anders sein."