Nach dem 0:1 in Berlin rutscht der BVB auf den Relegationsplatz. Die Gründe für den Niedergang der Borussen sind vielfältig.

Dortmund. Bei Borussia Dortmund ist kein Ende der Krise in Sicht: Nach der 0:1 (0:1)-Niederlage bei Hertha BSC fand sich die Mannschaft von Jürgen Klopp wieder einmal auf einem Tiefpunkt wieder, dem 16. Tabellenplatz. „Es ist absolut beschissen“, sagte Mittelfeldspieler Sven Bender: „Wir hauen uns alles wieder um.“ Das Abendblatt erklärt den Niedergang.

Fehlende Integration der Zugänge

Dortmund musste in den vergangenen Jahren immer wieder wichtige Leistungsträger abgeben: 2011 verließ Nuri Sahin den Verein, 2012 Shinji Kagawa und 2013 Mario Götze. Konnten diese Abgänge durch eine geschickte Personalpolitik zunächst noch kompensiert werden – Ilkay Gündogan und Marco Reus wurden verpflichtet –, war der Abgang von Robert Lewandowski im Sommer nicht mehr aufzufangen.

Speziell in der vergangenen Saison, als sein Wechsel zu Bayern München bereits feststand, war Lewandowskis Rolle für das Dortmunder Spiel bedrohlich dominant geworden. Die Mannschaft verließ sich fast nur noch auf ihn. Ohne Lewandowski hätte es wohl schon früher erste Krisensymptome gegeben. Da es unmöglich war, Lewandowski eins zu eins zu ersetzen, wurden andere Stürmertypen verpflichtet: Adrian Ramos geht in die Tiefe, lebt von seiner Schnelligkeit. Ciro Immobile ist ein reiner Strafraumstürmer. Strategische Fähigkeiten und herausragende Stärken im Kombinationsspiel wie Lewandowski haben beide nicht. Trotzdem aber versuchen die Dortmunder, weiterhin das Spiel so aufzuziehen, als ob sie einen Stürmer von der Klasse eines Lewandowski hätten.

Massive Verletzungsprobleme

Mit Marco Reus und Sokratis hat Jürgen Klopp derzeit nur den Ausfall von zwei Stammspielern zu beklagen. Das heißt allerdings nicht, dass alle anderen Profis in guter Verfassung sind. Ob Neven Subotic, Mats Hummels, Marcel Schmelzer, Sven Bender, Ilkay Gündogan, Nuri Sahin, Jakub Blaszczykowski, Henrikh Mkhitaryan – mehr oder wenige alle wichtigen Spieler hatten entweder langwierige Verletzungen hinter sich oder fielen wiederholt aus. Mkhitaryan wird nun nach einem Muskelbündelriss sechs Wochen fehlen.

Auswirkungen der WM

Die Probleme mit dem verspäteten Trainingseinstieg der Weltmeister hatte nicht nur Dortmund zu bewältigen. Aber im Gegensatz zu den Stars des FC Bayern, die in deutlich größerer Zahl in Brasilien vertreten waren, fehlten den Borussen Erfahrungswerte im Umgang mit den zusätzlichen Belastungen durch ein intensives Turnier und den Auswirkungen des Titelgewinns. Es kann kein Zufall sein, dass Erik Durm, Matthias Ginter, Roman Weidenfeller und Kevin Großkreutz massive Formprobleme haben. Weidenfeller verlor sogar nach zehn Jahren seinen Status als Nummer eins. Großkreutz war in Berlin nicht einmal im Kader. Der einzige Weltmeister, dessen Formbarometer akzeptable Werte aufzeigt, ist tatsächlich der einzige wirkliche Weltmeister: Hummels hat in Brasilien eine wichtige Rolle gespielt. Durm, Ginter, Weidenfeller und Großkreutz waren Statisten beim Sommermärchen – auch dies will mental verarbeitet werden.

Unklare Hierarchien in der Mannschaft

Vor Saisonbeginn wurde ein Kapitänswechsel vollzogen. Nach sechs Jahren hatte Sebastian Kehl die Spielführerbinde abgegeben. Klopp hatte diese Entscheidung akzeptiert und Hummels zum neuen Kapitän ernannt. Doch dieser sagt selbst, dass er in diese Rolle „noch hineinwachsen muss“. Fakt ist: Hummels ist mit seiner Klasse zwar ein wichtiger Faktor für die Lösung der Dortmunder Probleme – aber er verhielt sich in den vergangenen Monaten nicht immer wie ein Kapitän. Nach der 0:1-Niederlage gegen Hannover hatte er sich darüber gewundert, dass der Ball beim Gegentor „sehr lange geflogen“ ist. „Ich war überrascht, dass der ins Tor geflogen ist“, hatte er gesagt. Eine Kritik an Weidenfeller? Hummels ruderte später zurück. Doch sechs Wochen danach saß Weidenfeller tatsächlich auf der Bank. Es gibt Indizien, dass die Mannschaft nicht mehr so homogen ist. Vor dem 1:0-Sieg über Hoffenheim war es nicht Hummels, sondern Ex-Kapitän Kehl, der in der Kabine eine Motivationsrede hielt.

Fehlende Erfahrung im Abstiegskampf

Es ist wie ein Kulturschock: Spieler, die sich bislang in erster Linie durch ihre technischen Fähigkeiten und über ihren fußballerischen Anspruch definiert haben, müssen sich komplett anderen Herausforderungen stellen. Das „Kratzen und Beißen“ liegt den Dortmundern nicht. Und dem Trainer ist es bislang nicht gelungen, den Profis die Mentalität zu vermitteln, die nötig ist, um einen Abstiegskampf erfolgreich bestreiten zu können: Gegentore und Fehler lösen bei den Spielern Selbstzweifel aus. „Ich weiß, wie Abstiegskampf geht“, beteuert Jürgen Klopp und verweist auf seine Zeit als Spieler und Trainer bei Mainz 05. Doch der Unterschied ist: Für die Mainzer war der Existenzkampf nichts Ungewöhnliches. Die Fallhöhe für die Dortmunder, die im Mai 2013 noch im Champions-League-Finale standen, ist dagegen bedrohlich hoch. Den Beweis, dass er diesen Sturz stoppen kann, ist Klopp trotz aller Verdienste um den BVB bislang schuldig geblieben. „Ich höre im Wochenrhythmus, was für eine großartige Mannschaft wir sind. Aber diese großartige Mannschaft hat auch großartige Probleme“, sagte Klopp jetzt.