Mit dem 1:2 auf Schalke ist der Fehlstart der Dortmunder komplett. Trainer Jürgen Klopp will aus der Niederlage Kraft schöpfen

Gelsenkirchen. Auch wenn die Heimfahrt nur 25 Minuten gedauert hat – den Spielern von Borussia Dortmund dürften die 35 Kilometer Busfahrt von Gelsenkirchen zurück nach Dortmund viel länger vorgekommen sein. „Wir fahren jetzt nach Hause und werden einen Scheißabend haben“, hatte Jürgen Klopp gesagt, bevor sich der Mannschaftsbus der Schwarz-Gelben am Sonnabend an der Schalker Arena wieder in Bewegung gesetzt hatte.

Denn was die Borussen aus dem 85. Revierderby in der Bundesligageschichte mitgenommen haben, stärkt nicht gerade das angeknackste Selbstvertrauen: eine 1:2 (1:2)-Niederlage und allerlei Fragezeichen. Wie konnte es dazu kommen, dass der Start in die Bundesligasaison so gründlich danebengehen konnte? Es herrschte reichlich Frust – allen voran beim Trainer.

„Die Spieler sollen die Niederlage ruhig spüren, daraus kannst du Kraft schöpfen“, erklärte Klopp, dem nach dem Schlusspfiff offenbar bewusst wurde, dass die Schwächeperiode seiner Mannschaft mittlerweile schon zu lange anhält, um keine nennenswerten Auswirkungen auf den Gesamtverlauf der Spielzeit zu haben: Der BVB hat nach sieben Spielen nur sieben Punkte sammeln können, der Rückstand auf Bayern München beträgt sieben Zähler.

In Dortmund herrscht Erklärungsbedarf, und Klopp versuchte dem nachzukommen. „Wer das Derby verloren hat, sollte eigentlich die Fresse halten“, sagte er, ließ sich aber trotzdem nicht davon abhalten, detailliert über die Gründe für den Niedergang zu referieren. Anschließend forderte er die Kritiker, zu denen er im Presseraum der Schalker Arena sprach, auf: „Ihr könnt schreiben, was ihr wollt.“ Gerne, so Klopp, könne dabei auch seine Rolle kritisch durchleuchtet werden.

Das wäre ihm wahrscheinlich am angenehmsten: Wenn seine mittlerweile auch leicht verunsicherten Spieler von externer Kritik verschont blieben und die Krise ausschließlich an ihm selbst festgemacht würde – dem Mann mit dem bekanntermaßen breitesten Kreuz in Dortmund.

Doch das würde am Kern vorbeigehen. So hat auch Klopp möglicherweise den einen oder anderen Fehler begangen. Am Sonnabend beispielsweise hatte er eine Auf- und Einstellung gewählt, die der Mannschaft Sicherheit geben sollte, ihr aber stattdessen wesentliche Mittel raubte, um selbst torgefährlich zu sein: ein 4-4-2-System ohne einen einzigen Kreativspieler. Nur: Hatte Klopp tatsächlich eine Wahl? Nuri Sahin, Ilkay Gündogan, Oliver Kirch, Henrikh Mkhitaryan und Marco Reus sind immer noch verletzt oder in der Rekonvaleszenz. Shinji Kagawa, der in Schalke bis zur 57. Minute auf der Bank saß, ist nach zwei Jahren des Dauerreservistendaseins bei Manchester United körperlich noch nicht in der Lage, permanent Wochen mit Spielen im Dreitagerhythmus zu absolvieren.

Beim 2:0 gegen den FC Arsenal zum Auftakt der Champions League vor gerade mal eineinhalb Wochen hatte sich noch ein anderer BVB präsentiert: hellwach in Pressing und Gegenpressing, laufstark und mit viel spielerischer Raffinesse, der die Londoner nichts entgegenzusetzen hatten. „Fast perfekt“ hatte das Spiel seiner Elf in den Augen des glücklichen Trainers ausgesehen.

Ganz anders in Gelsenkirchen: In der zweiten Halbzeit, als sich die Schalker weit zurückzogen und nur noch ihre knappe Führung verwalteten, gab der BVB ein diffuses Bild ab. Die Mannschaft praktizierte eine Art „Kick and Rush“ mit vielen langen Bällen und ließ fast jegliche Raffinesse vermissen.

Klopps Plan, mit einer ungewöhnlich vorsichtigen Ausrichtung den bereits vorher erkennbaren Krisensymptomen entgegenzuwirken, war früh durchkreuzt worden. Haarsträubende Abwehrfehler hatten die Borussen auf die Verliererstraße gebracht. „Wer solche Gegentore kriegt, kann selten ein Spiel gewinnen“, haderte der Coach.

Die defensive Statik, Voraussetzung für die auf Pressing ausgerichtete Spielweise, stimmt bereits die ganze Saison nicht. Großzügiger, als die Dortmunder es taten, kann ein Gegner kaum zu Toren eingeladen werden: Diesmal konnte Joel Matip nach einer Ecke unbedrängt zum 0:1 einköpfen (10. Minute), und beim 0:2 war die Situation schon geklärt – bis Adrián Ramos den Ball wieder in die Gefahrenzone spielte und Schalkes Eric Maxim Choupo-Moting einschießen konnte (24.).

Die Gedankenlosigkeit, die den Schalker Toren vorausgegangen war, ist, anders als die spielerischen Defizite, nur bedingt mit der angespannten Personalsituation zu erklären. Dortmunds Defensive war in Bestbesetzung aufgelaufen. Die Innenverteidiger Mats Hummels und Neven Subotic mögen nach ihren langen Verletzungspausen zwar noch nicht in Bestform sein, müssten allerdings über genügend Routine verfügen, um bei Standardsituationen für eine klare Zuordnung zu sorgen.

Am Sonnabend könnte der HSV Dortmunds Schwächephase nutzen

Trotzdem wirkte die Abwehr häufig unkonzentriert. „Wir kriegen zwei Gegentore in jedem Spiel. Das ist eine Katastrophe“, sagte Hummels, der sich in seinem ersten Spiel von Beginn an vergeblich bemühte, Sicherheit zu vermitteln, und beim ersten Schalker Tor von seinem Gegenspieler Matip mit einer simplen Finte düpiert worden war.

Klopp hofft, dass speziell Hummels schnell wieder zu alter Form findet, um das Fundament des Dortmunder Spiels wieder zu stabilisieren. Dann könnte eventuell auch die fehlende Kreativität, die sich aus der wohl noch länger angespannten Personalsituation ergeben wird, kompensiert werden. „Die Mannschaft hat Qualität und Charakter, wir werden im sportlichen Sinn zurückschlagen“, sagte er und beendete seine Ausführungen zum Derby mit einem Appell: „Glaubt mir eins: Wir kommen zurück. Es kann vielleicht noch etwas dauern, aber wir kommen.“ Am Sonnabend darf aber zunächst der HSV hoffen, aus den Abwehrschwächen der Dortmunder Kapital zu schlagen.