Ehemaliger Hannoveraner schießt Aufsteiger SC Paderborn gegen seinen alten Club an die Spitze der Bundesliga

Paderborn. Der Schuss in die Bundesliga-Rekordbücher war für Moritz Stoppelkamp im wahrsten Sinne des Wortes ein Befreiungsschlag. Ausgerechnet gegen seinen ehemaligen Arbeitgeber Hannover 96 gelang dem Neuzugang des SC Paderborn in letzter Minute der Nachspielzeit jener Spannstoß, der den Ball nach exakt 82,3 Metern ins leere Tor zum 2:0-Endstand hoppeln ließ. „Das ist ein unglaubliches Gefühl“, sagte Stoppelkamp. Der 27-Jährige verbesserte damit die bisherige Bestmarke des ehemaligen Frankfurters Giorgios Tzavellas, der am 2. März 2011 für die Eintracht aus 73 Metern bei der 1:2-Niederlage auf Schalke zum zwischenzeitlichen 1:1 getroffen hatte.

„Mir sind 1000 Dinge durch den Kopf gegangen. Es war ja keine schöne Zeit in Hannover, wo ich ausgepfiffen und auf der Straße oft beleidigt wurde. Natürlich war das eine Genugtuung“, gab Stoppelkamp zu. Von 2010 bis 2012 war der Offensivakteur in Hannover unter Vertrag – für ihn das bisher dunkelste Kapitel als Profi. In den ersten elf Spielen der Saison 2010/2011 war Stoppelkamp erste Wahl, ehe ihn ein doppelter Außenbandriss zurückwarf. Danach lief an der Leine wenig zusammen, und er wurde auch zur Zielscheibe des Unmuts der Fans. Bei 1860 München fand „Stoppel“, wie ihn seine Kollegen nennen, dann in der Zweiten Liga wieder zu seinen Stärken zurück, machte die meisten Meter in seinem Team und war mit 13 Assists bester Vorlagengeber in der vergangenen Zweitligasaison. Paderborns Trainer André Breitenreiter war von ihm spätestens nach Paderborns 2:2 bei 1860 München überzeugt, als der laufstarke Stoppelkamp in den letzten zehn Minuten die Löwen-Tore von Daniel Bierofka und Yuya Osako auflegte. Paderborn riskierte deshalb den Königstransfer für 700.000 Euro.

Und in Paderborn hat er anscheinend nun sein Fußballglück gefunden. „Es macht unglaublichen Spaß hier“, sagt Stoppelkamp. Für Breitenreiter war das Husarenstück „ein Produkt harter Arbeit“ Stoppelkamps – und eben kein Zufall. „Er hat die Situation erkannt“, erklärte der Coach, dessen Leistungsträger schon beim 3:0 in Hamburg den Schlusspunkt setzte. Stoppelkamp jedenfalls war „überglücklich. Der Fußball schreibt unglaubliche Geschichten, das war wieder so eine.“ Galt er in Hannover nach 44 Ligaspielen ohne Tor als „Chancentod“, traf er gegen 96 bereits zum zweiten Mal im vierten Einsatz für Paderborn.

Am Dienstag tritt der SC Paderborn bei Meister FC Bayern München an

Groll seinem ehemaligen Verein gegenüber hegt Stoppelkamp nicht. Er trifft sich immer mal wieder mit den Kollegen von damals. Und schließlich ist er regelmäßig in Hannover, weil Freundin Ina dort wohnt. Somit blieb es eine sportliche Abrechnung. Wohl auch deswegen wurde Stoppelkamp nicht pathetisch. Auf die Frage, ob er nach seinem Rekordtor eine Träne weggedrückt habe, antwortete er: „So nah am Wasser bin ich jetzt auch nicht gebaut. Man sieht sich im Leben immer zweimal. Das war heute der Fall.“

Den historischen Tag will der SC Paderborn am liebsten für immer der Nachwelt erhalten. „Die Tabelle kann man ausschneiden. Daraus kann der Fanshop eine schöne Tapete machen“, sagte Manager Michael Born, nachdem der Bundesliganeuling am Sonnabend um 17.20 Uhr sogar von der Tabellenspitze grüßte und diese mindestens bis zum Dienstagabend nicht mehr abgeben wird. Das ist der zweite geschichtliche Moment für den laut Breitenreiter „krassesten Außenseiter der Bundesligageschichte“. Dass nun ausgerechnet am Dienstag (20 Uhr/Sky live) der Auftritt bei Doublegewinner Bayern München ansteht, sorgt aus Paderborner Sicht für das i-Tüpfelchen. Es ist das Gipfeltreffen des fünften Spieltages.

„Die Allianz Arena war für uns eine besondere Motivation in der letzten Saison. Nachdem wir dort gegen 1860 eingelaufen sind, haben wir uns gesagt: ‚Wir kommen wieder, wenn das Stadion rot und voll ist‘“, erinnert sich Breitenreiter. Es wird keine normale Partie zwischen der Bundesliga-Übermannschaft und dem Underdog, sondern „ein echtes Spitzenspiel“, wie Stoppelkamp meint. „Auch in München wollen wir die beste Leistung abrufen und Vollgas geben. Die Jungs sollen das Spiel genießen. Das Ergebnis steht für mich nicht an erster Stelle“, sagt Breitenreiter. „Wir haben natürlich auch gegen die Bayern einen taktischen Plan. Aber Bayern München ist Bayern München, dieser Verein ist eine Klasse für sich.“

Der Klassenerhalt bleibt für Trainer und Manager weiter das einzige Ziel

Acht Punkte haben die ungeschlagenen Paderborner nun schon geholt, nach dem unglücklichen 2:2 gegen Mainz zum Auftakt dreimal zu null gespielt. „Wir haben gebrannt, sind gerannt, wollten unbedingt den ersten Heimsieg. Alles bei uns ist ein Produkt harter Arbeit“, sagt Breitenreiter, dessen Team mit großer Lauf- und Einsatzbereitschaft die gut in die Saison gestarteten Hannoveraner niederkämpfte. Elias Kachunga leitete mit seinem dritten Saisontreffer (71.) zum 1:0 den 0Sieg vor 15.000 begeisterten Anhängern ein.

Abheben wollen sie in Paderborn auf keinen Fall. Manager Born erklärte, dass dieser Moment wohl eher „etwas für die Fans“ sei, die ihn genießen sollten. Der Verein werde „nicht den Blick für die Realität verlieren“. Das sieht auch Breitenreiter so: „An unseren bescheidenen Rahmenbedingungen, kleinster Etat und kleinstes Stadion der Bundesliga, hat sich ja nichts geändert – es kommen nur an jedem Spieltag jetzt 14 Einsätze mehr Erfahrung hinzu. Für uns geht es weiter ausschließlich darum, die Klasse zu halten. Und ob uns das gelingt, werden wir wohl erst im Mai nächsten Jahres wissen.“