Ralf Rangnick, Sportdirektor der Red-Bull-Teams Leipzig und Salzburg, über seinen Burn-out, die Vorwürfe der Konkurrenz und ein Angebot des HSV

Hamburg. Seinen ersten schlagzeilenträchtigen Auftritt hatte Ralf Rangnick 1998 im „Aktuellen Sportstudio“, als er als Trainer des damaligen Zweitliga-Clubs SSV Ulm an der Magnettafel die raumorientierte Viererkette erklärte. Das Trainer-Establishment reagierte empört. Inzwischen sind Rangnicks damals fast revolutionäre Erkenntnisse längst Allgemeingut in der Trainerausbildung. Über den VfB Stuttgart, Hannover 96, Schalke 04, TSG Hoffenheim und erneut Schalke 04 führte Rangnicks Weg schließlich nach Salzburg, wo er als Sportdirektor bei Red Bull für Österreichs Topverein Salzburg sowie für Zweitliga-Aufsteiger Leipzig verantwortlich ist.

Hamburger Abendblatt:

Herr Rangnick, der Manager von Mainz 05, Christian Heidel, sagt, Ihr Verein RB Leipzig sei nur erfolgreich, weil es am Ende einen gebe, der alles bezahlt. Dafür müsse ein anderer Verein mit gewachsenen Strukturen seinen Platz in der Liga räumen. Was entgegnen Sie Herrn Heidel?

Rangnick:

Wenn Sie schon zitieren, dann bitte auch vollständig. Herr Heidel hat nämlich auch gesagt, dass wir unsere Arbeit so schlecht nicht machen.

Das stimmt, ändert aber nichts daran, dass weite Teile der Branche den Erfolgsweg ihres Vereins mit Argwohn begleiten. RB Leipzig sei ein reines Kunstprodukt, erschaffen von Red-Bull-Milliardär Dietrich Mateschitz.

Rangnick:

Wenn wir auf alles entgegnen würden, was jemand über uns sagt, kämen wir gar nicht mehr zu unserer Arbeit. Und natürlich hat jeder das Recht zu einer eigenen Meinung über RB Leipzig. Was mich allerdings wirklich stört, sind völlig falsche Behauptungen.

Zum Beispiel?

Rangnick:

Etwa über unser angeblich fehlendes Zuschauerpotenzial. In der Dritten Liga hatten wir in unserer Arena gegen Saarbrücken oder Darmstadt über 40.000 Zuschauer. Und ich wage schon jetzt die Prognose, dass in der künftigen Saison nur wenige andere Zweitliga-Clubs bei Auswärtsspielen mehr mitreisende Fans mobilisieren werden als RB Leipzig.

Aber es stimmt doch, dass Sie dank Red Bull bessere Möglichkeiten haben als die meisten Konkurrenten.

Rangnick:

Es stimmt, dass wir dadurch das ein oder andere machen können, was für einige andere Vereine nicht ohne Weiteres möglich ist. Aber wir handeln nachhaltig und stecken beispielsweise viel Geld in eine bessere Infrastruktur für den Nachwuchs. Und darüber hinaus scouten wir auch sehr genau. Schon in Hoffenheim haben wir Spieler wie Demba Ba oder Gustavo geholt, die hier absolute Nobodys waren. Auch in Leipzig wollen wir Spieler entwickeln und nicht einfach von der direkten Konkurrenz holen. Wir haben im Drittliga-Jahr keinen Spieler eines Drittligisten abgeworben und jetzt keinen Spieler eines Zweitliga-Clubs geholt.

Dafür kommt mit Massimo Bruno ein Nationalspieler für neun Millionen Euro.

Rangnick:

Diese in den Medien kolportierte Summe ist schlichtweg falsch. Die Ablöse beläuft sich auf fünf Millionen plus die entsprechenden extrem erfolgsabhängigen Bonuszahlungen beim Erreichen der jeweiligen Ziele.

Mit Tradition hat das alles aber trotzdem nichts zu tun. RB Leipzig wurde im Mai 2009 gegründet.

Rangnick:

Dieter Mateschitz hat auf diese Frage einmal sehr treffend geantwortet. In 400 Jahren, hat er gesagt, wird der einzige Unterschied in Sachen Tradition zwischen dem FC Bayern und dem RB Leipzig sein, dass es den einen Verein 500 und den anderen 400 Jahre gibt. Mit dieser Traditionsargumentation könnten Sie auch Weltmarken wie Google oder Facebook ihre Daseinsberechtigung absprechen. Das Leben ist nun mal ein ständiger Wandel.

Sie scheinen solche Aufbrüche besonders zu reizen. Mit der von Milliardär Dietmar Hopp unterstützten TSG Hoffenheim sind Sie 2006 aus der Dritten Liga in die Bundesliga durchmarschiert.

Rangnick:

Aber in Hoffenheim war ich in anderer Funktion, als Trainer. Wobei ich auch schon damals Verantwortung für die Strukturen übernommen habe. Jetzt bin ich als Sportdirektor bei Red Bull für die Clubs Leipzig und Salzburg verantwortlich. Ich bin in der Tat jemand, der die Dinge nicht zufällig entwickelt, sondern auch Einfluss auf Entscheidungsprozesse nehmen möchte. Das ist in Leipzig oder Hoffenheim eher möglich, als wenn sich zehn oder zwölf Aufsichtsräte überhaupt erst treffen müssen, um dann mit zu entscheiden, ob ein Trainer nun kommt oder nicht. Nicht überall, wo Tradition draufsteht, heißt das gleichzeitig auch, dass professionell gearbeitet wird. Für mich hat Fußball viel mit der freien Wirtschaft zu tun, wo du in kurzer Zeit Entscheidungen möglichst klug treffen musst.

Fast wären Sie 2011 beim Bundesliga-Dino HSV gelandet.

Rangnick:

Es stimmt, es gab gute Gespräche mit Bernd Hoffmann. Und als er dann weg war, habe ich mit dem damals neuen Sportdirektor Frank Arnesen verhandelt. Schalke hat sich allerdings wesentlich mehr um meine Rückkehr bemüht.

Hätte der HSV mit Ihnen endlich den gewünschten Erfolg gehabt?

Rangnick:

So eine Frage ist rein hypothetisch. Die Trainerfindungskommission des HSV hat ja auch mal Jürgen Klopp abgelehnt, weil er Jeans mit Löchern trage und angeblich mal zu spät zum Training gekommen sei.

Auf Schalke sind Sie in Ihrer zweiten Amtsperiode wegen eines Burn-outs zurückgetreten. Von außen betrachtet ist Ihr Job jetzt noch stressiger, schon allein durch das Pendeln zwischen den Red-Bull-Standorten Salzburg und Leipzig.

Rangnick:

Rückblickend bin ich sehr froh, dass die Ursache meines Erschöpfungszustandes später festgestellt wurde. Ich hatte das Pfeiffersche Drüsenfieber verschleppt. Zudem habe ich zu wenig auf eine gute Ernährung geachtet. Ich habe mich gefühlt wie ein Handy, dass ständig rot blinkt, obwohl es auf der Ladestation liegt. Es stimmt, dass ich von der Stundenzahl jetzt deutlich mehr arbeite als in meiner Trainerzeit. Aber ich fühle mich jetzt so energiegeladen wie früher.

Der ehemalige Schalke-Manager Rudi Assauer hat einmal gesagt, Sie seien wie ein Brummkreisel, der dazu neige, fünf Dinge auf einmal zu machen.

Rangnick

(lacht): Meine Frau fand, dass der Rudi schon recht habe. Rückblickend sage ich auch, dass ich es mit meinem Hang zur Perfektion manchmal übertrieben habe.

Auf Schalke haben Sie sich sogar in die Diskussion um die Busfahrten eingeschaltet.

Rangnick:

Wir fuhren damals von unserem Teamhotel in Duisburg in die Schalke-Arena zum Heimspiel gegen Köln. Die Autobahn war gesperrt, es ging nichts mehr. Wenn der Busfahrer zwei Stunden früher mal Radio gehört hätte, dann wären wir anders gefahren. So musste meines Wissens zum ersten Mal in der Bundesliga-Geschichte ein Spiel später angepfiffen werden, weil die Heimmannschaft zu spät kam. Wir konnten uns nicht einmal anständig aufwärmen. So etwas geht einfach nicht. Mit Hannover 96 waren wir mal im Trainingslager und haben erst vor Ort gesehen, dass der Platz nicht vernünftig gemäht war. Manchen ist es vielleicht egal, ob die Halme nun einen Millimeter kürzer oder länger sind. Aber für mich sind professionelle Arbeitsbedingungen sehr wichtig. Das hängt auch mit meiner Vita zusammen.

Das müssen Sie erklären.

Rangnick:

Sehen Sie, mir ist der Job eines Bundesliga-Trainers nicht auf dem Silbertablett serviert worden. Ich bin als 25-jähriger Spielertrainer bei Viktoria Backnang in der Bezirksliga geworden und habe mich um alles selbst gekümmert. Ich habe sogar meine Teamkollegen getapt, weil wir kein Geld für einen Physiotherapeuten hatten. Ich hatte das im Studium zum Glück gelernt. Solche Erfahrungen prägen.