Eine Million Menschen auf der Fanmeile und in den Straßen: Berlin bereitet den erschöpften Weltmeistern einen rauschenden Empfang

Helden. Mehr als 500.000 Menschen wollten am Dienstag in Berlin ihre Helden sehen. Dafür waren sie mitten in der Nacht aufgestanden, hatten stundenlang in der Hitze ausgeharrt, die zweistündige Verspätung der Lufthansa-Sondermaschine LH 2014 und die quälend lange Fahrt des Busses durch die Stadt weggetanzt und weggesungen. Nur um die Fußball-Weltmeister zu sehen. Als der DFB-Tross dann endlich gegen 1 Uhr mittags auf die Bühne am Brandenburger Tor kam, sahen Spieler und Trainer erschöpft aus von den Strapazen der Reise, ihre Stimmen waren schlaff vom vielen Feiern, einzig Per Mertesacker brachte noch ein paar knackige Sätze raus. „Wir sind so stolz, hier zu sein“, sagte der Verteidiger gerührt. Es waren dieselben Worte wie 2006, als er noch Protagonist des Sommermärchens war. Doch dieses Mal ging der Mertesacker-Satz noch weiter: „Und wir sind stolz, dass wir den Titel geholt haben.“ Der Rest ging im Jubel unter.

Die Erzählung, die 2006 noch jäh unterbrochen worden war, fand nun endlich ihre Pointe. Besonders stolz schien denn auch Joachim Löw zu sein. Über ein Jahrzehnt lang hatte der Bundestrainer seinen Masterplan mit der Beharrlichkeit eines Zen-Meisters verfolgt, und nun schlug ihm die Glückseligkeit der Massen entgegen, die sich rund um die Straße des 17. Juni versammelt hatten und die Mitte der Hauptstadt in ein fahnenschwenkendes Schland-Meer verwandelten.

„Ohne euch wären wir nicht hier. Wir sind alle Weltmeister!“, rief Bundestrainer Joachim Löw den frenetisch jubelnden Fans entgegen. Auf die Frage nach seiner Zukunft wich Löw aus. Doch das war an diesem historischen Tag nebensächlich. Für Lukas Podolski war es der „geilste Moment meiner Karriere“, sein Kumpel Bastian Schweinsteiger, dem die Fans mit Fußball-Gott-Sprechchören huldigten, hielt stolz die originalgetreue Kopie des WM-Pokals in den Händen und brüllte ins Mikrofon: „Jetzt haben wir endlich das Scheiß-Ding. Danke Jungs!“

Angeführt von Siegtorschütze Mario Götze schickten die Spieler auch einen Seitenhieb Richtung Finalgegner Argentinien. „So gehen die Gauchos, die Gauchos gehen so“, sangen sie in gebückter Haltung, um dann aufrecht hüpfend zu skandieren: „So gehen die Deutschen, die Deutschen gehen so!“ Götze meinte: „Das ist ein Ding der Geschichte. Jeder Fan in Deutschland hat den Titel verdient.“ Die Spieler trugen schwarze T-Shirts mit einer großen weißen Nummer eins auf der Vorderseite. Torwarttitan Manuel Neuer stimmte passend dazu den Jubelgesang an: „Die Nummer eins der Welt sind wir!“ Schalkes-Profi Julian Draxler nutzte die große Bühne, um BVB-Spieler Kevin Großkreutz, der wegen eines Dönerwurfs in die Schlagzeilen geraten war, eins auszuwischen: „Großkreutz, rück den Döner raus!“

Die WM-Helden schossen fleißig Erinnerungsfotos, auch mit Stargast Helene Fischer, die im Deutschland-Trikot ihren Hit „Atemlos“ mit den Spielern sang, und twitterten wie Thomas Müller („Waaaaaaaahhhhnnnnnssiiiiiiinnn!“). Um 13.50 Uhr verabschiedete sich das Team in den wohlverdienten Urlaub.

Seit der WM 2006 steht die Mannschaft für unverkrampftes Auftreten

Das Sommermärchen mit Happy End acht Jahre nach der Heim-WM endete mit einer grandiosen Fete, auf die das Ausland neidisch blickte. Die britische Zeitung „The Sun“ twitterte: „Wünscht sich noch jemand, Deutscher und gerade in Berlin zu sein? Nur für einen Tag ...“ DFB-Präsident Wolfgang Niersbach war mächtig stolz: „Ich wüsste nicht, was dieses Wirgefühl in unserem Land stärker auslösen könnte als diese Fußball-WM.“ Der Empfang glich einem Staatsereignis. Die Fernsehsender übertrugen die Ankunft stundenlang live. Die Handynetze rund um das Brandenburger Tor brachen zusammen. Nach Auswertung der Luftaufnahmen ging die Polizei von insgesamt einer Million feierfreudiger Menschen aus. Einen Gruß hatte die US-Botschaft unweit des Brandenburger Tors parat: „Wir gratulieren dem deutschen Team!“ Ein kreativer Twitter-User schoss von dem Plakat ein Bild und fügte in Anspielung auf die Spionage-Affäre hinzu: „P. S.: Wir wussten es schon vorher!“

Für einen Gänsehautmoment sorgte Pilot Uwe Strohdeicher. Er lenkte die Sondermaschine LH 2014 mit der Aufschrift „Siegerflieger“ kurz vor der Landung in 600 Metern Höhe über die Fanmeile. Um 10.08 Uhr hatten die Champions wieder deutschen Boden unter den Füßen. Der Flieger war mit zweistündiger Verspätung aus Rio de Janeiro abgehoben, weil ein Gepäckwagen das Flugzeug gerammt und einen Lackschaden verursacht hatte.

Als erster Spieler stieg Kapitän Lahm aus. Ihm folgte Bastian Schweinsteiger, der die zehn Stunden Flug für einen „Erholungsschlaf“ nach der heftigen Titelparty in Rio genutzt hatte. DFB-Boss Niersbach verriet über die Rio-Abschlussfete: „Der ein oder andere hat früh schlapp gemacht. Da hat der Caipirinha seine Wirkung gezeigt.“

Nach der Landung bestieg der DFB-Tross einen schwarzen Weltmeister-Truck mit den vier goldenen Sternen und der Aufschrift „1954, 1974, 1990 2014!“, um zur Fanmeile zu fahren. Der Truck mit dem Kennzeichen „CHAMPIONS“ kam nur schleppend voran, weil Zehntausende Fans die Straßen säumten und dem Team auf dem offenen Deck zujubelten.