Vor wenigen Wochen hatten nur wenige Bastian Schweinsteiger diesen Finalauftritt zugetraut – jetzt hat er als Gesicht des WM-Titels seine Karriere gekrönt

Der Cut unter dem rechten Auge wird bleiben. Mindestens als Bastian Schweinsteigers Bild dieses WM-Titels. Mario Götze hat das Tor geschossen, elegant und filigran. Aber Schweinsteiger hat sich diesen Titel erarbeitet. Das konnte nun jeder sehen, nach 120 Minuten Kampf. Vor wenigen Wochen noch hatten ihm nur wenige diesen Finalauftritt zugetraut, nach der x-ten Blessur, die ihn mal wieder zurückgeworfen hatte. Jetzt hat er als Gesicht des WM-Finals seine Karriere gekrönt. Es war ein langer Weg dorthin.

Vielleicht musste aus dem bayerischen Spitzbub Basti wirklich erst dieser Kampfschweinsteiger werden, der am Sonntagabend im Estádio do Maracanã zu beobachten war, um die volle Anerkennung zu bekommen. Seine blutende Wunde geriet zum Sinnbild. „Das gehört dazu, da muss man sich einfach reinhauen. So ein Spiel spielt man nicht so oft in seinem Leben“, sagte der 29-Jährige. Gut möglich, dass es sein letztes WM-Finale war. 2018 wäre er schließlich fast 34.

Die Sehnsucht der Deutschen nach Kämpfertypen im Fußball ist längst nicht mehr so ausgeprägt. Und doch war sie nie erloschen. Der Wunsch nach ihnen schwang ja in all den Jahren immer mit, wenn die Nationalelf wieder einmal schön gespielt, aber nichts gewonnen hatte. Es ging in den Debatten viel um sogenannte Führungsspieler, um Gewinnertypen. Es ging im Kern um Kerle. Und damit auch um den latenten Vorwurf, dass Schweinsteiger keiner sei. Am Sonntag war er einer, wenn man das denn so sehen will. Ein Haudegen, aber ein moderner. Sein Cut wird in die Geschichte eingehen.

Bundestrainer Joachim Löw konnte mit den Debatten immer wenig anfangen, aber er weiß, dass sie wieder aufgekommen wären, wenn es auch diesmal nicht geklappt hätte. Nun konnte er sagen: „Wir wussten genau, dass Champions irgendwann diesen letzten Schritt auch machen.“ Dann verwies Löw auf Kapitän Philipp Lahm, auf Schweinsteiger, Per Mertesacker, Lukas Podolski und Miroslav Klose, „die waren die ganzen zehn Jahre mit dabei“, seit 2004, als Löw zunächst im Tandem mit Jürgen Klinsmann die Nationalelf übernommen hatte und zwei Jahre danach als Bundestrainer.

Für die, die immer dabei waren, freute er sich nun besonders, das war zu spüren. Der 54-Jährige sagte es so, ehe er die Dienstältesten aufzählte: „Wenn es überhaupt jemand verdient hat, dann diese Mannschaft.“ Dieser Titelgewinn sei möglich geworden durch „unglaublichen Teamgeist, großartiges Können, unglaubliche Willenskraft“, und „dieses tiefe Glücksgefühl, das wird für alle Ewigkeiten bleiben“. Das galt für ihn wie für seine Dienstältesten besonders.

Die Frage nach Schweinsteigers Einsatzbereitschaft hat er eher widerwillig beantwortet, es wirkte jedenfalls so. „Alle Spieler in dieser Mannschaft haben alles gegeben, angeführt natürlich auch von einem überragenden Bastian Schweinsteiger und einem überragenden Philipp Lahm“, befand Löw. Er erzählte dann noch: „Ich habe vor dem Spiel gesagt: ‚Ihr müsst heute so viel geben wie noch nie, wie noch nie in eurer Karriere. Dann werdet ihr das erreichen, was ihr noch nie hattet, nämlich diesen Pokal mit nach Hause nehmen‘.“ In Schweinsteigers Gesicht kam das nun zum Ausdruck.

Vieles wird nun überhöht werden, aber vielleicht ist es ja wirklich so, dass Schweinsteigers Geschichte dieses Abends am 19. Mai 2012 ihren Anfang nahm. Im Finale der Champions League stand er damals mit dem FC Bayern, endlich sollte es wieder klappen mit dem Gewinn des wichtigsten Titels im Vereinsfußball, elf Jahre nach dem bisher letzten Erfolg des erfolgreichsten deutschen Fußballclubs. Die Bühne war bereitet, das Endspiel fand in München statt, und der Gegner, der FC Chelsea, schien nahezu chancenlos. Bis zum Elfmeterschießen.

Schweinsteiger lief an und trat den Ball an den Pfosten. München versank in Trauer. Der Nationalspieler wurde zur Symbolfigur des Scheiterns. Auf dem Boulevard kam die Frage auf, in einer Mischung aus Anteilnahme und Lauern auf die emotionalen Geschichten vom Fall eines Fußballstars, ob Schweinsteiger an diesem Trauma zerbrechen werde. Ein Jahr später gewann er mit den Münchnern den wichtigsten Vereinstitel. Nun ist er Weltmeister. Der Cut wird bleiben. Mindestens als Bastian Schweinsteigers Bild dieses WM-Titels.