Miroslav Klose, 36, will seine Karriere krönen, Thomas Müller, 24, wieder WM-Torschützenkönig werden. Vor allem aber wollen sie den Titel

Santo André. Die Frage musste ja kommen. Ob er nicht das Finale von 2002 gegen Brasilien mit dem Finale 2014 gegen Argentinien vergleichen könne, wurde Miroslav Klose am Donnerstag im Hotel Costa Brasilis gefragt. Der zurückhaltende Fußballer, der einzige Nationalspieler, der bei beiden Endspielen dabei sein wird, versuchte erst gar nicht, eine besonders kreative Antwort zu geben. Die zwei Finalspiele, sagte der Angreifer trocken, könne man nicht miteinander vergleichen. Punkt. Viel mehr gebe es dazu eigentlich nicht zu sagen.

Letzteres stimmt natürlich nur bedingt. Immerhin zwölf Jahre ist es nun schon her, dass Deutschland zum letzten Mal in einem WM-Finale stand. „The Ketchup Song“ von den Las Ketchup belegte 2002 auf Platz eins der Hitliste. Auf der Tribüne drückte Bundeskanzler Gerhard Schröder die Daumen. Auf dem Rasen standen Fußballvirtuosen wie Carsten Ramelow, Jens Jeremies und Dietmar Hamann. Der heutige DFB-Manager Oliver Bierhoff wurde in Yokohama eingewechselt. Für den 24 Jahre jungen Klose.

Eine gefühlte Ewigkeit ist das nun her. Thomas Müller spielte in Bayern Münchens C-Jugend und schaute das WM-Finale 2002 im Fernsehen. Dass der talentierte Knirps zwölf Jahre später mit dem ewigen Klose gemeinsam im nächsten WM-Finale auf Torejagd gehen würde, war in etwa so wahrscheinlich wie die Annahme, dass dieses Ketchup-Lied auch heute noch rauf und runter im Radio gespielt wird.

Zwölf Jahre später hört man Musik über das Internet, und der Tomatensoßensong ist aus dem öffentlichen Gedächtnis weitgehend verschwunden. Doch Altmeister Klose, mittlerweile 36 Jahre alt, und Jungstar Müller, noch immer 24 Jahre jung, sollen tatsächlich gemeinsam auf dem Platz für Deutschland auflaufen. Am Sonntag. Im Finale der Weltmeisterschaft. Gegen Argentinien. In Rio de Janeiros Maracana.

Der eine, Klose, möchte in seinem vermutlich letzten Turnier-Länderspiel seine Karriere krönen. Nur offiziell verkünden will er es noch nicht: „Ich weiß es selbst noch nicht. Das werde ich spontan nach dem Finale entscheiden.“ Der andere, Müller, will als erster Fußballer zum zweiten Mal in Folge WM-Torschützenkönig werden: „Natürlich schielt man auf diese Liste.“ Doch zunächst wollen die Torjäger, die unterschiedlicher nicht sein könnten, eines gemeinsam werden: Weltmeister.

Miroslav Klose, ruhig, sachlich, zurückhaltend, wollte eigentlich gar kein Fußballprofi werden. Im pfälzerischen Kusel besuchte der gebürtige Pole zunächst die Haupt- und dann die Realschule. Anschließend absolvierte er eine Lehre als Zimmermann, spielte nebenbei bei der SG Blaubach-Diedelkopf in der Bezirksliga Westpfalz (siebte Liga). Die Nachwuchsleistungszentren der Bundesligaclubs, die ab 2001 verpflichtend wurden, waren damals noch nicht mal eine Idee.

Thomas Müller, vorlaut, lustig, schlagfertig, wollte schon immer Fußballprofi werden. Mit elf Jahren wechselte der Oberbayer vom TSV Pähl in die D-Jugend zu Bayern München. 2000 war das, im gleichen Jahr also, in dem auch Klose in die erste Mannschaft des 1. FC Kaiserslautern wechselte. Müller durchlief alle FCB-Nachwuchsmannschaften und ab der U16 auch alle Jugendnationalteams. Wenn man eine Karriere am Reißbrett entwerfen könnte, dann würde man in etwa Müllers Lebenslauf konstruieren.

Der gelernte Zimmermann Klose ging von Blaubach-Diedelkopf über Homburg und Kaiserslautern bis nach Bremen, München und schließlich Rom auf große Wanderschaft. Irgendwann zwischendurch, mit immerhin 26 Jahren, hat er seine Sylwia geheiratet. Oberbayer Müller hatte schon in der Jugend einen unterschriftsreifen Vertrag von 1899 Hoffenheim vorliegen, blieb aber immer seinem FC Bayern München treu. Genau wie seiner Jugendfreundin Lisa, die er bereits als 20-Jähriger ehelichte.

Gemeinsam haben die beiden eigentlich nur eines: einen weltweit wohl einzigartigen Torinstinkt. Klose ist mit insgesamt 16 WM-Treffern der beste Torjäger der WM-Geschichte. Und Müller hat schon wieder fünf Treffer auf dem Konto, eine Marke, mit der er 2010 WM-Torschützenkönig wurde. „Ich bin dem Miro auf den Fersen“, sagt Müller, dem auch Bundestrainer Joachim Löw nach dem epochalen 7:1 gegen Brasilien beipflichtet: „Es ist ein Rekord, der in Zukunft nur noch von Müller gebrochen werden kann.“

So ganz konnte Fußballlehrer Löw seine Genugtuung nach dem Finaleinzug nicht verbergen, dass ausgerechnet seine beiden Torjäger vom Dienst weltweit vor dem Endspiel gegen Argentinien gewürdigt werden. Denn in der Heimat, im Land der Uwe Seelers, Horst Hrubeschs, Gerd Müllers und Rudi Völlers, wurde vor dieser Weltmeisterschaft kein Thema so kontrovers diskutiert wie der vermeintliche Mangel von Torjägern. Wie soll die Nationalmannschaft bloß Tore schießen, wenn der einzige Stürmer im Team schon das Rentenalter von 36 Jahren erreicht hat? 17 Turniertore später scheinen die Diskussionen um echte und falsche Neuner genauso alt wie der Ketchup-Song. Klose trifft zuverlässig wie eh und je in klassischer Stürmermanier. Und Müller netzt als Angreifer, rechter oder auch als linker Mittelfeldspieler ein. „Ich würde ihm diesen zweiten goldenen Schuh des besten WM-Torjägers schon gönnen“, sagte Klose, und schob fast schon außergewöhnlich vorwitzig hinterher: „Einen habe ich ja auch schon.“

Am Sonntag wollen sie ohnehin wieder beide treffen. „Im Erfolgsfall könnte ich für nix mehr garantieren“, sagte Klose drei Tage vor dem Endspiel plötzlich im typischen Müller-Sprech: „Dann würde ich zum Feierbiest.“ Denn gelingt ihnen tatsächlich jeweils ein Tor, dann hätten sie wahrscheinlich noch eine weitere Gemeinsamkeit. Sie beide wären dann wohl: Weltmeister.