Argentinien steht erstmals seit 1990 wieder im WM-Halbfinale

Brasilia. Wie süß hatten die Lobeshymnen vor dem Turnier doch geklungen. Geradezu verführerisch versprachen Namen wie Angel Di Maria, Gonzalo Higuain, Ezequiel Lavezzi und allen voran Lionel Messi die Offenbarung des Offensivfußballs. Schnelle Kombinationen, Finten, Traumtore. Hacke, Spitze, eins, zwei oder auch gern drei Treffer – wer Spieler, Trainer und andere mehr oder minder ausgewiesene Experten nach der vielversprechendsten Offensive des Turniers fragte, erhielt keine Antwort, ohne dass die Sprache auf Argentinien gekommen wäre. Welch Trugschluss!

Nach dem 1:0 gegen Belgien steht die „Albiceleste“ zwar erstmals seit 1990 wieder in einem WM-Halbfinale, doch statt sich durch die Runden zu zaubern, steht das jüngste Ergebnis vom Sonnabend als treffende Zusammenfassung des argentinischen Spiels bei diesem Turnier. 1:0 als Ausdruck von Effizienz und immer größer werdender Defensivstärke. Fünf Spiele haben sie in Brasilien bislang absolviert – und fünfmal mit einem Tor mehr als der Gegner gewonnen. Wer von schmutzigen Siegen spricht, wird Argentinien ein dreckiges Turnier attestieren.

Die Matchpläne sind dabei so einfach wie erfolgreich. Option eins: Nach einem frühen Tor wie gegen Bosnien-Herzegowina (2:1) und Belgien wird der Vorsprung über die Zeit verteidigt. Plan B: So lange mauern und den Gegner zermürben, bis Messi einen Geistesblitz hat. Erlebt beim 1:0 gegen den Iran, als der Superstar in der Nachspielzeit traf, oder beim 1:0 in der Verlängerung gegen die Schweiz, als er in der 118. Minute für Di Maria auflegte. „Meine Spieler haben das heute exzellent gemacht“, sagte Trainer Alejandro Sabella.

Auch wenn Messi oder Di Maria immer für einen genialen Moment gut sind, kommt diese Truppe insgesamt ohne Glanz und Glamour aus. Javier Mascherano, Lucas Biglia, Ezequiel Garay, der gegen Belgien aus der Startelf rotierte Fernando Gago und der im Halbfinale nach abgesessener Sperre wieder spielberechtigte Außenverteidiger Marcos Rojo sind die Vorarbeiter innerhalb dieses mittlerweile hervorragend verteidigenden Gesamtgebildes, in das sich gegen Belgien nun auch noch Martin Demichelis problemlos einfügte. „Für mich geht es immer darum, Räume zu besetzen“, predigt Sabella seit Turnierbeginn, „wenn ich Spieler auf dem Platz habe, die das nicht machen, dann ende ich mit meiner Philosophie auf halber Strecke.“

Die Mannschaftsteile arbeiten zusammen, die Abstimmung funktioniert. Das latente Herummosern an seinen Aufstellungen blieb somit nach dem in der Heimat so langersehnten Halbfinaleinzug aus. Sabella hätte die Situation nutzen und einen Konter gegen seine Kritiker fahren können, doch er beließ es mit Blick auf seine Personalauswahl bei einem kleinen Seitenhieb: „Ein Gramm Verstand ist mir mehr wert als ein Kilogramm Muskeln.“

Auf große Namen wie Maxi Rodriguez oder Rodrigo Palacio gibt Sabella nichts. „Ich halte nicht viel davon, alten Claims nachzuhängen“, sagte er. Bei ihm zählen Cleverness und Selbstlosigkeit. Mit einer Ausnahme: Da man mit starken Defensivleistungen zwar Niederlagen verhindern, aber auch keine Siege direkt herbeiführen kann, benötigt er vorne Spieler wie Di Maria, dessen noch nicht genau diagnostizierte Oberschenkelverletzung möglicherweise das WM-Aus bedeutet, und eben Messi. „Jede Bewegung, die er macht, ist für uns ein Zeichen der Hoffnung. Seine Anwesenheit ist für uns entscheidend. Messi ist das Wasser in der Wüste. Wenn es besonders trocken ist, gibt er uns Wasser und sorgt für frische Luft“, beschrieb Sabella die Bedeutung des Superstars für sein Team.