Der 21-jährige Franzose ist eine der WM-Entdeckungen

Rio de Janeiro. Auf dem Wunschzettel von José Mourinho steht sein Name ganz oben, egal wie hoch der Preis ist. Aktuell wird auf dem Transfermarkt eine Börse von 75 Millionen Euro für Paul Pogba gehandelt, Tendenz steigend. Eine stolze Summe für einen 21-Jährigen. In den Augen des Chelsea-Starttrainers ist der Mittelfeldspieler, der am Freitag (18 Uhr, MESZ) mit der französischen Nationalmannschaft gegen Deutschland um den Halbfinal-Einzug bei der WM kämpft, aber jeden Cent wert. Pogba zählt neben dem Kolumbianer James Rodriguez zu den großen Entdeckungen dieser WM. Der Defensivspezialist von Juventus Turin ist der neue Star der Franzosen.

Als die „Equipe tricolore“ im Achtelfinale gegen Nigeria (2:0) ins Schlingern geriet und sich einer drohenden Verlängerung entgegen sah, war es nicht etwa Torjäger Karim Benzema, der im Turnierverlauf schon drei Treffer erzielten konnte, der den Kurswechsel herbeiführte. Es war Pogba, der mit seinem Kopfballtor in der Schlussphase den Weg in die nächste Runde ebnete.

Dabei ist das Toreschießen gar nicht seine Aufgabe. Pogba ist im defensiven Mittelfeld angesiedelt. Er soll Löcher stopfen, Bälle verteilen, Räume schaffen. Pogba erledigt seine Aufgabe mit einer derartigen Spielintelligenz, dass er bereits mit Patrick Vieira verglichen wird. Dieser ebenfalls dunkelhäutige Stratege mit afrikanischen Wurzeln war einst die ordnende Hand im Mittelfeld, als Frankreich noch als Titelfavorit zu den großen Turnieren gefahren war. Dass „Les Bleus“ nun wieder gute Chancen zugerechnet werden, liegt auch an Pogba, der zusammen mit Yohan Cabaye und Blaise Matuidi das Herzstück in der Zentrale bildet.

Bei Juventus Turin hat er sich seit seiner Ankunft vor zwei Jahren gleich als feste Größe etabliert. Obwohl beim Rekordmeister mächtig Betrieb durch namhafte Kollegen im Mittelfeld (Andrea Pirlo, Arturo Vidal, Claudio Marchisio) herrscht, hat er 63 Ligaspiele in zwei Jahren bestritten. In der vergangenen Saison kam er nur zweimal nicht zum Einsatz. Star-Torhüter Gianluigi Buffon gerät geradezu ins Schwärmen: „Pogba ist ein Spieler, der dich sprachlos macht. Nach drei, vier Trainingseinheiten haben wir uns angeguckt und gefragt: Sind die in Manchester blind?“

In Manchester stand zu jener Zeit Sir Alex Ferguson auf dem Kommandoposten, als Pogba 2012 Old Trafford verließ – ohne einen Cent Ablöse. Dabei hatten die Engländer das Talent mit 16 Jahren von Le Havre auf die Insel gelockt, mit einem fast unmoralischen Angebot: 15.000 Euro Gehalt pro Monat. Doch die kühnen Träume blieben auf beiden Seiten unerfüllt: Unter der Trainer-Legende war der Weg ins A-Team versperrt, und auch die Chemie hatte wohl nicht gestimmt zwischen diesen zwei grundverschiedenen Charakteren. Der Youngster, dessen Vater aus Guinea und die Mutter aus dem Kongo stammt, gilt nicht als pflegeleicht. Auf dem Platz hat er sein Temperament nicht immer im Griff. Bei seinem erst zweiten Spiel für Frankreich in der WM-Qualifikation gegen Spanien flog er mit Gelb-Rot vom Platz. Die Verwarnungen kassierte er innerhalb von nur drei Minuten. Ähnliches hätte ihm auch zum Auftakt gegen Honduras passieren können, als er gegen Wilson Palacios nachgetreten hatte. Und bei Juventus hatte er mal Rot gesehen, nachdem er einen Gegenspieler angespuckt hatte.

Dass er mit Skandalprofi Mario Balotelli verglichen und mitunter verwechselt wird, ist daher gar nicht so abwegig. Mit seinem extravaganten Hahnenkamm auf dem Kopf sieht er dem italienischen Stürmer ziemlich ähnlich. Einst in Manchester, als zu jener Zeit auch Balotelli für den Stadtrivalen City spielte, wurde er gar nach Autogrammen gefragt. Spätestens seit seinen starken Auftritten in Brasilien geht der Youngster aber als Pogba bei den Fans durch. Und auch sein Umfeld in Turin passt kaum zu Balotelli: Der Franzose leistet sich einen eigenen Koch und einen Ernährungsberater.

Disziplinfanatiker Didier Deschamps verteidigt ihn gegen jede Kritik. Er sei noch jung. „Da sind Leistungsschwankungen normal, aber er hat großes Potenzial“, urteilt der Coach und ist beeindruckt, dass der Juve-Profi schon derart Verantwortung übernimmt. Wegen seiner großen Präsenz im Mittelfeld hat er in Italien bereits den Spitznamen „Il polpo Paul“ (Krake Paul) erhalten. Gegen Nigeria leistete er sich in den ersten zehn Minuten vier Fehlpässe, weil er den perfekten Ball spielen wollte.

Verunsichert hat ihn das nicht. „Paul setzt sich extrem unter Druck“, sagt Matuidi und Torhüter Hugo Lloris fügt hinzu: „Natürlich kann er sich noch verbessern, aber es ist sehr beeindruckend, was er in seinem Alter spielt.“

Beeindruckend ist auch Pogbas Werdegang. Seit der U-16-Auswahl hat der 1,88 Meter große Schlaks, dessen ältere Brüder Florentin (AS St. Etienne) und Mathias (Crewe Alexandra) für Guinea spielen, alle Jugendmannschaften Frankreichs durchlaufen. Bei der U20-WM 2013 holte die Grande Nation erstmals den Titel, und Pogba wurde als bester Spieler des Turniers ausgezeichnet. In Brasilien träumt er von einem Halbfinale gegen den Gastgeber. „Ich habe das Finale 1998 als Kind gesehen. Das würden wir gerne wiederholen“, sagt Pogba. Frankreich müsse sich vor keinem Gegner fürchten, auch nicht vor Deutschland.