Moderator Oliver Welke hat gelitten. Unter dem Krach der Fans aus Costa Rica, die bis drei Uhr früh vor seinem Hotel lautstark ihren Sieg über Griechenland feierten. Und Experte Oliver Kahn sekundiert: „Die trommeln gern.“ Was natürlich ganz besonders laut ist. Die positive Nachricht: Diese Fans, die sich da selig in den Armen lagen, die das vida loca, das verrückte Leben, genossen, die tanzten, sangen und Unbeteiligte wach hielten, sie hatten nichts anderes zu tun. Sie konnten tatsächlich ihren Gefühlen völlig unbelastet freien Lauf lassen.

Ganz anders als das Gros der Stadionbesucher zwischen Manaus und Porto Alegre. Die haben zwar vielfach eine lange Anreise hinter sich, vielleicht den Jahresurlaub geopfert, auf jeden Fall jede Menge Geld investiert, um ihr Team (hoffentlich) siegen zu sehen. Um sich vor Nervosität die Fingernägel abzuknabbern und – wenn’s schlecht läuft – durch ein Tal der Tränen zu gehen.

Doch im Stadion gibt’s ein Wundermittel, das gegen alle Fan-Qualen hilft: die Videoleinwand. Kaum dass sich jemand, eben noch zu Tode betrübt über den Rückstand kurz vor Schluss, darauf entdeckt, wird über beide Wangen gestrahlt und manisch gewinkt. Was ist schon das Ausscheiden der eigenen Mannschaft gegen das „O mein Gott, ich bin im Bild!!!“-Glück? 15 Minuten Berühmtheit gestand Andy Warhol einst allen Nicht-Promis zu, heute reichen schon zwei Fernsehsekunden, um völlig die Fassung und damit das Spiel weitgehend aus den Augen zu verlieren.

Welch Wohltat war da am Montag das Spiel Frankreich – Nigeria, bei dem die Regie endlich ein Einsehen hatte und die Hallo-hier-bin-ich-Einstellungen deutlich reduzierte. Stattdessen gab es zwei manchmal glücklose, aber immer engagierte Mannschaften zu sehen sowie mit Didier Deschamps und Stephen Keshi zwei Trainer, die spürbar mitlitten und keinen Zweifel daran ließen, worum es beim Fußball wirklich geht: um die Achterbahn der Gefühle, um tiefe Trauer und endloses Glück. Manchmal wird es dann sehr laut. Sogar bis tief in die Nacht hinein. Aber das muss auch so sein.

Der Autor ist stellvertretender Kulturressort-Leiter des Abendblatts