Im Achtelfinale gegen Argentinien könnte die Fußballkarriere des Schweizer Nationaltrainers nach 54 Jahren enden.

São Paulo. Beschweren kann sich Ottmar Hitzfeld wirklich nicht. Seine Reiseroute durchs WM-Land ist bisher sehr abwechslungsreich und spannend ausgefallen, so kurz vor der Rente. Die Abschiedstournee hat den 65-Jährigen zunächst in die futuristische Hauptstadt Brasilia geführt, dann in die erste Kapitale des riesigen Landes, ins afrikanisch geprägte Salvador da Bahia. Weiter ging es in den Amazonas-Regenwald, ins sagenumwobene Manaus, wo Hitzfeld entgegen seinen Befürchtungen sogar noch lernen konnte, dass Fußball auch dort durchaus Freude bereiten kann. Zum Beispiel wenn sich die von ihm trainierte Schweizer „Nati“ durch ein 3:0 gegen Honduras fürs Achtelfinale qualifiziert. „Ich bin glücklich, dass der Stress weitergeht“, hat Hitzfeld danach gesagt.

An diesem Dienstag gegen Argentinien steuert Hitzfelds Abenteuerreise in die Rente auf ihren vorläufigen Höhepunkt zu, in der größten Metropole der südlichen Hemisphäre, im Großstadtdschungel von São Paulo mit seinen 20 Millionen Einwohnern. Denn das Spiel gegen Lionel Messi und Kollegen ist für ihn ein echtes Finale.

Für seine Kicker gibt es in jedem Fall ein Danach, ein neues Spiel oder gar Turnier. Für den Trainer aber verdichtet sich die ganze Karriere nun auf diese eine Begegnung. Sie könnte den Abschluss bilden für ein Leben im Fußballsport, 54 Jahre nachdem er in seiner Geburtsstadt Lörrach beim TuS Stetten als Elfjähriger angefangen hatte zu bolzen und nicht mehr losließ, als Profi, Trainer und Funktionär.

Hitzfeld mag das Pathos nicht, das seinen bevorstehenden Abschied von der Fußballbühne nun begleitet. Er hat sich ganz auf das Spiel gegen Argentinien konzentriert, als wäre es nicht das wahrscheinlich letzte, sondern nur das nächste. Er hat Sätze gesagt, wie man sie ganz ähnlich schon oft von ihm gehört hat: „Der Iran hat mit seinen Kontermöglichkeiten gezeigt, dass Argentinien durchaus verwundbar ist.“ Oder dass man „ein enges Netz aufziehen“ wolle, „einen Manndecker auf Messi anzusetzen hat keinen Sinn“. Der Trainer-Routinier setzt auf eine Messi-Neutralisierung im Kollektiv, so wie es auch die drei Vorrundengegner der Argentinier – wenn auch vergeblich – versucht hatten. „Es ist aber auch klar, dass es schwierig sein wird, Messi komplett aus dem Spiel zu nehmen“, sagte Hitzfeld.

Die Automatismen greifen beim ihm, so würde er das wohl selbst ausdrücken. Er weicht nicht ab von seiner Lebenslinie, bis zum Schluss. Damit, dass seine große Trainerkarriere in São Paulo enden könnte, will sich Hitzfeld aber „nicht eine Sekunde“ beschäftigen.

Der Beiname „General“ ist ihm angeheftet worden, und vielleicht trifft dieser seinen Charakter wirklich. Vor allem Selbstdisziplin ist sein Markenzeichen. Auch jetzt will er seine Aufgabe absolut korrekt erfüllen, er kann gar nicht anders. Der Schweizer Verbandschef Peter Gilliéron hat das schon in seine erste Laudatio eingeflochten. „Vor Spielen ist er immer angespannt. Aber zurzeit erreicht seine Fokussierung schon fast eine neue Dimension“, sagte Gilliéron, „dieser Zustand der totalen Konzentration ist imposant. Ich sehe ihm an, wie er sich permanent mit dem kommenden Spiel beschäftigt.“

Seine Pflicht bestmöglich erfüllen zu wollen, dieser Wesenszug ließ sich schon auf anderen Stationen beobachten, vor allem beim FC Bayern München. 2004 wurde die Zusammenarbeit dort nach sechs Jahren zwölf Monate vor dem Ablauf des Vertrages beendet. Viel später hat Hitzfeld einmal erzählt, er habe damals vor einem Burn-out gestanden und nicht einmal mehr die Kraft gehabt, von sich aus aufzuhören.

Doch diesmal hat er sich frühzeitig festgelegt. Das Turnier in Brasilien soll den endgültigen Abschluss seiner Trainerkarriere bilden. Und natürlich werden nun noch einmal all seine herausragenden Erfolge aufgezählt, die sieben deutschen Meisterschaften, drei Pokalgewinne und vor allem die beiden Champions-League-Titel mit Borussia Dortmund 1997 und dem FC Bayern 2001. Hängen geblieben aus seiner zweiten Amtszeit in München ist auch die Verletzung, die ihm Karl-Heinz Rummenigge zufügte. „Fußball ist keine Mathematik“, sagte der Vorstandschef 2007 spitz. Den ehemaligen Mathematiklehrer Hitzfeld traf das tief. Im Sommer darauf beendete er seine Karriere als Vereinstrainer. Trotzdem beim FC Bayern. Und mit dem Double. Ganz korrekt. Am Schluss weinte er.

Wenn eine Überraschung nun ausbleibt, fliegt Hitzfeld am Mittwoch in den Ruhestand. Läuft es aber gut in seinem Finale gegen Argentinien, folgen ein kleiner Aufschub und mindestens ein weiteres Finale. Hitzfeld sagte dazu: „Wir haben Träume, und ob diese in Erfüllung gehen, entscheiden wir selbst.“ Und: „Man kann Geschichte schreiben“ – ein Satz, den am Montag auch viele seiner Spieler so oder ähnlich sagten.

1954 stand die Schweiz letztmals im Viertelfinale. Vor 54 Jahren fing Hitzfeld an zu kicken. Seinen Vornamen erhielt er wegen Ottmar Walter, der 1954 Weltmeister wurde. Ottmar Hitzfeld hat eine lange Abenteuerreise durch die Welt des Fußballs hinter sich.

Argentinien: 1 Romero – 4 Zabaleta, 2 Garay, 17 Fernández, 16 Rojo – 5 Gago, 14 Mascherano, 7 di María – 10 Messi, 9 Higuaín, 22 Lavezzi.Schweiz: 1 Benaglio – 2 Lichtsteiner, 20 Djourou, 22 Schär, 13 Rodriguez – 11 Behrami, 8 Inler – 10 Xhaka, 23 Shaqiri, 18 Mehmedi – 19 Drmic.Schiedsrichter: Eriksson (Schweden).