Ausgerechnet der Ausfall ihres Stars Franck Ribéry beflügelt die Équipe Tricolore

Rio de Janeiro. Der WM-Plan der jungen, wilden Franzosen steht fest: Erst mit einem weiteren Erfolg gegen Ecuador als Gruppensieger ins Achtelfinale, dann ab zur Fete mit den Mädels – und am liebsten bis zum 13. Juli durchfeiern. Denn welcher Mann will sich schon vor den Augen der eigenen Frau blamieren? Die „WAGS“ (Wives and Girlfriends) der neuen französischen Nationalhelden sind rechtzeitig zum dritten Gruppenspiel ihrer Jungs am Mittwoch (22 MESZ/ZDF) in Rio eingetroffen, und wollen „Les Bleus“ bis zum Finaltag anfeuern.

Derart hingebungsvoll unterstützt, werden Karim Benzema – der mit seinen bislang drei Toren und zwei Vorlagen die Erwartungen an ihn übererfüllt hat und zu einem der ganz großen Stars der WM avanciert – und seine Mitspieler besonders Gas geben. „Es ist wunderbar, dass die Mädels endlich da sind“, sagte Verteidiger Mathieu Debuchy. Natürlich wolle man den Damen einen Sieg schenken. Es wäre der dritte nach den Erfolgen gegen Honduras (3:0) und die Schweiz (5:2), die ganz Frankreich nach der Skandal-WM 2010 den Glauben an seine Fußballer zurückgegeben hat. Mancher fühlt sich sogar schon an die goldene Generation von 1998 erinnert.

„Sie machen ganz Frankreich Spaß. Die Spielfreude, der Zusammenhalt – es ist wie damals“, sagte Youri Djorkaeff, einer der Helden von damals. Djorkaeff, Zinédine Zidane und Co. sind die bislang einzige französische WM-Mannschaft mit drei Siegen in der Vorrunde – es könnte also eine weitere Parallele geben. Das WM-Aus des aktuell und ohnehin häufig verletzten Franck Ribéry betrachten einige Medien inzwischen sogar als Segen, weil das Spiel variabler und unberechenbarer geworden ist – und weil der Bayern-Profi doch auch immer als potenzieller Störenfried gesehen wurde.

Der Gruppensieg ist wichtig – sonst wartet im Achtelfinale Argentinien

Ein Erfolg gegen Ecuador, das ebenfalls noch ins Achtelfinale kommen kann, hätte vermutlich einen entscheidenden Vorteil: Als Sieger der Staffel E würde Frankreich im Achtelfinale dem Ersten der Gruppe F aus dem Weg gehen – und das dürfte Mitfavorit Argentinien um Lionel Messi sein. Frankreich, das fast sicher in der K.o.-Runde steht, muss erst nach den Gauchos ran. „Wir werden das genau beobachten“, sagte Mathieu Valbuena, „aber wir sind ja selbst mathematisch noch nicht durch. Wir sollten alles für Platz eins geben.“ Die aufgeflammte Euphorie der Landsleute geht dem Mittelfeldspieler zu weit. „Favoriten? Wir?! Nun mal langsam. Es ist gerade einmal ein paar Monate her, da gab es noch überhaupt keine Begeisterung. Der Weg ist weit.“ Trainer Didier Deschamps erwägt indes, dem einen oder anderen Spieler eine Pause zu gönnen. Fehlen werden Raphael Varane (Magen-Darm) und Yohan Cabaye (Gelbsperre).

Wie immer Deschamps entscheiden wird – die Grande Nation liegt ihrem „Asterix“ aus Fleisch und Blut derzeit zu Füßen. Der wie die Comicfigur kleingewachsene, knorrige aber herzliche Deschamps hat das geschafft, was viele in dieser Form für unmöglich gehalten hatten: Er verwandelte die langjährige Chaostruppe in ein Klasse-Team. Euphorisch feierten Medien wie die Zeitung „Le Telegramme“ den „Alchimisten“ Deschamps. Schon in früheren Jahren hatten Trainerkollegen wie Bruno Bini geschwärmt: „Alles, was Didier anfasst, wird zu Gold.“

Wie schlimm es noch vor wenigen Jahren um das Team wirklich stand, hatte François Manardo jüngst enthüllt. Der damalige Teamsprecher verriet, dass sich die Spieler im Herbst 2008 unmittelbar nach einem 1:3 in der WM-Qualifikation in Österreich plötzlich um drei Uhr morgens im Teamquartier versammelt hatten. „Ich sagte: Klasse, die sind verantwortungsbewusst, wollen über das Spiel sprechen. Denkste. Die bereiteten einen Protest gegen die Uhrzeit des Frühstücks vor, die ihnen nicht genehm war. Da dachte ich: Willkommen im Club.“

Affären wie Trainerbeleidigungen durch Spieler und sogar einen Trainingsstreik gab es nicht nur bei der Fiasko-WM 2010 in Südafrika, sondern in kleineren Dimensionen auch bei den Europameisterschaften 2008 und 2012. Nach dem Weggang von Trainer Raymond Domenech führte Nachfolger Laurent Blanc seine Schützlinge zwar zu einer Serie von 23 Spielen ohne Niederlage, verzweifelte aber auch an der mangelhaften Einstellung der Profis.

Dass die Franzosen sportlich eine Renaissance erleben, ist nach Meinung vieler Fachleute Deschamps zu verdanken. „DD“ sei „natürlich“ der wahre Macher der neuen Équipe Tricolore, versicherte am Montag im WM-Quartier der Franzosen in Ribeirão Preto der Präsident des FFF-Verbandes, Noël Le Graët. „Er wirkt beruhigend auf die Gruppe, ist ein echter Profi. Er steht den Spielern nahe, agiert wenn nötig aber auch mit harter Hand.“

Als er im Sommer 2012 das Amt des Nationaltrainers übernahm, warnte der Disziplinfanatiker Deschamps: „Die Nationalspieler haben kein Recht auf Fehler mehr.“ Nasri bootete der neue Trainer kurz vor WM-Beginn trotz einer sehr guten Saison bei Manchester City und des Gewinns des Premier-League-Titels wegen der laschen Einstellung im WM-Qualifikationsplayoff gegen die Ukraine aus.

Disziplin hat nach den Skandalen der Vergangenheit einen neuen Stellenwert

Disziplin, lautet das Zauberwort bei den neuen Les Bleus. Die Spieler machen mit und loben bei jeder Gelegenheit das „tolle Zusammenleben“ im Quartier in Brasilien. Auch der 45-jährige Deschamps fühlt sich wohl: „Das macht hier sehr viel Spaß.“

In der Gruppe E ist theoretisch noch alles drin. Sowohl Ecuador als auch die Schweiz, die im letzten Spiel auf das punktlose Honduras trifft, können mit dem jeweils zweiten Sieg die Franzosen in der Tabelle noch hinter sich lassen. Die Ecuadorianer wollen zumindest nichts unversucht lassen. „Wir haben Frankreich auf Video gut analysiert. Wir wissen, wie sie spielen. Wir wollen versuchen, ihre Taktik zu zerstören“, kündigte Trainer Reinaldo Rueda an. Sorgen bereitet dem Coach die Form von ManUniteds Mittelfeldspieler Antonio Valencia. „Mit ihm hat es in letzter Zeit nicht so gut geklappt“, räumte Rueda ein. Der Coach setzt deshalb gegen Frankreich eher auf Enner Valencia, der in Brasilien bereits dreimal getroffen hat.

Zurück zu den französischen Spielerfrauen. Die sind sich sicher, dass das Potenzial ihrer Männer riesig ist. „In der Mannschaft herrscht ein unglaublicher Zusammenhalt“, sagte Wortführerin Ludivine Sagna, Partnerin von Abwehrspieler Bacary Sagna, der Zeitung „Le Figaro“. Kaum aus dem Flieger gestiegen, plauderte die 25-Jährige ein bisschen aus dem Nähkästchen. „Ich verrate Ihnen mal ein Geheimnis: Unsere Jungs können weit kommen. Warum sollten sie nicht den Titel gewinnen?“, sagte sie, und schloss mit dem Schlachtruf: „Allez les Bleus!“

Ecuador: 22 Dominguez – 4 Paredes, 2 Guagua, 3 Erazo, 10 W. Ayovi – 14 Minda, 6 Noboa – 16 A. Valencia, 7 Montero – 13 E. Valencia, 11 Caicedo. Frankreich: 1 Lloris – 15 Sagna, 21 Koscielny, 13 Mangala, 17 Digne – 19 Pogba, 22 Schneiderlin, 14 Matuidi – 18 Sissoko, 10 Benzema, 11 Griezman. Schiedsrichter: Doue (Elfenbeinküste).