Duell der Alt-Weltmeister: England will gegen Uruguay mit frischem Offensivstil zum Erfolg kommen

Rio de Janeiro . Wo das Militär residiert, da lass dich nieder: Als alte Empire-Nation wissen die Engländer natürlich, dass Generäle über exquisiten Geschmack verfügen können, und haben sich deshalb in Rio de Janeiro auf einer alten Festungsanlage eingebunkert, die heute überwiegend als Kadettenschule genutzt wird. Klingt nach Kaserne? Sieht aber nicht so aus. Direkt über dem Komplex erhebt sich der Zuckerhut, in die Bucht plätschert sanft das Meer, und der Trainingsplatz ist von Palmen gesäumt. Gleichwohl hätten ein paar Seminare über Kriegsführung in den vergangenen Tagen durchaus von Vorteil sein können, denn nichts anderes als eine Schlacht erwarten manche Beteiligte im Sieg-oder-flieg-Spiel der „Todesgruppe“ D am Donnerstag (21 Uhr/ZDF) gegen Uruguay. Die Legenden von südamerikanischen Bosheiten sind so alt wie der letzte englische WM-Titel. Aufgewärmt hat sie vor dem Turnier ein Uruguayer, der den englischen Club Sunderland trainiert. Sein Land werde auch vor dunklen Methoden nicht zurückschrecken, sagte Gustavo Poyet, woraufhin Englands Stürmer Daniel Sturridge seinerseits robustes Auftreten versprach: „Ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, um dieses Spiel zu gewinnen. Und ich meine wirklich: alles.“

Beide Teams haben am ersten Spieltag verloren, allerdings unter ziemlich verschiedenen Umständen. Wo sich Uruguay gegen den vermeintlichen Punktelieferanten Costa Rica blamierte, zeigte England beim 1:2 gegen Italien im Dschungelkick von Manaus eine so energetische Performance, dass die bekannt leicht euphorisierbare Presse zu Hause trotz der Niederlage vom besten Länderspiel seit Jahren sprach. Trainer Roy Hodgson stimmte gern in den Chor mit ein („die positivste Leistung meiner Amtszeit“), und sogar statistisch ließ sich der Eindruck unterfüttern. 91 Prozent angekommener Pässe bedeuteten die beste Quote für den Zeitraum seit 1966, in dem sich diese Daten rückverfolgen lassen. Also auch seit dem letzten Weltmeistertitel.

England war endlich wieder England: konzeptuell etwas antiquiert, gerade im Vergleich zu den Italienern, aber so mutig, wie auch Woche für Woche in der Premier League gespielt wird. Wann hatte man das zuletzt gesehen? Wahrscheinlich 1998, als unter Glenn Hoddle nach einem Jahrhunderttor des 18 Jahre alten Michael Owen und einem dummen Platzverweis des 23-jährigen David Beckham das Achtelfinale gegen Argentinien verloren wurde: natürlich nach Elfmeterschießen.

Es folgte das taktische Fossil Kevin Keegan sowie die Ära der ausländischen Startrainer Sven-Göran Eriksson und Fabio Capello (mit dem unglücklichen Steve McClaren und seinem Regenschirm dazwischen). Warum man sich ausgerechnet zwei Radikalpragmatiker aus dem Kulturkreis des italienischen Fußballs auf die Insel holte, müssen die Verbandsoberen irgendwann noch mal beim gepflegten Dinner erklären. Jedenfalls vermochten beide aus der „Goldenen Generation“ um Beckham, Owen, Paul Scholes, Steven Gerrard, Frank Lampard und Wayne Rooney auch keinen Titel zu extrahieren, nicht mal einen Halbfinaleinzug bei WM oder EM. Darüber hinaus verrieten sie die Essenz des englischen Fußballs, seine einmalige Leidenschaft.

Hodgson den Kredit für die Wiederbelebung von Angriffslust und Tempo anzuschreiben wäre allerdings fast zu viel der Ehre. Noch bei der EM 2012 schockierte der 66 Jahre alte Veteran die Insel seinerseits mit finsterstem Catenaccio.

Den Weg gewiesen hat ihm Brendan Rodgers, der Trainer des FC Liverpool, das diese Saison mit tollkühnem Offensivfußball die Premier League aufmischte und erst am Ende den Titelkampf gegen Manchester City verlor. Hodgson übernahm das zentrale Mittelfeld mit Gerrard und Jordan Henderson, beide nicht gerade Zerstörer, wie auch das System mit vier (Halb-)Stürmern davor. Mehr als Wayne Rooney und Danny Welbeck von Manchester United überzeugten dabei gegen Italien die Liverpooler Sturridge, der Torschütze, und Raheem Sterling, den Mitspieler und Medien – wie gesagt: die übliche Begeisterungsfähigkeit – sogleich zur Weltklasse erhoben. Sterling, 19, klein, schmächtig und lächelnd, saß am Dienstag zusammen mit dem fast doppelt so alten Frank Lampard auf dem Podium der englischen Militäranlage.

Der Routinier ist bisher nur Ersatz, gibt sich aber väterlich und nahm Sterling größtenteils das Reden ab. Lampard sprach über den sechsten Liverpooler auf dem Platz, Uruguays Superstar Luis Suárez („Gegen ihn gibt es nicht die eine Lösung“), und die Obsession der Presse mit dem etwas rostig wirkenden Rooney: „Leider haben wir in England die Tradition, uns bei jedem Turnier auf einen Spieler zu fixieren.“

Es gibt also noch Dinge, die beim Alten geblieben sind. Ein Teil von Fans wie Reportern wollen Rooney am liebsten auf die Ersatzbank abschieben und sahen sich zu Wochenanfang schon fast am Ziel, als er mit den Reservespielern trainierte. Wie er selbst erklärte, hatte er jedoch nur eine freiwillige Extraschicht eingelegt: „Ich weiß manchmal wirklich nicht, was die Presse da veranstaltet.“ Ihn mag beruhigen, dass ein mindestens ebenso großer Teil der Experten fordert, ihn vom Flügel, von dem er gegen Italien immerhin Sturridges Tor vorbereitete, wieder auf die gewohnte Zehnerposition zu ziehen – im Tausch mit Sterling, wozu der Youngster artig sein Plazet gab: „Seine Übersicht und mein Tempo, das könnte bestimmt funktionieren.“

Beim Alten geblieben ist außerdem, dass sich England für Pannen und Kuriositäten aller Art zuständig fühlt. Beim ausgelassenen Jubel über Sturridges Tor in Manaus landete Physiotherapeut Gary Lewin an der Seitenlinie auf einer Wasserflasche und brach sich dabei den Knöchel. Für ihn ist die WM beendet. Vor zwei Jahren hatte Torwarttrainer Ray Clemence passen müssen, nachdem ihm beim Aufwärmtraining zum EM-Spiel gegen Frankreich die Achillessehne gerissen war.

Fast zu begrüßen also, dass England in Brasilien noch keine Elfmeter schießen musste. Dabei hätte Kapitän Gerrard gegen Italien eigentlich einen Strafstoß zuerkannt bekommen müssen, doch erstaunlicherweise wurde die Szene in der Nachbereitung kaum diskutiert. Man wollte nicht lange hadern, man fühlt sich auch nach einer Niederlage stark genug, „jedem Team in der Welt Probleme zu bereiten“, wie Gerrard voller Selbstbewusstsein sagt. „Wenn wir mit derselben Bravour wie gegen Italien spielen. Jahrelang hat man uns dafür kritisiert, nicht bissig genug zu sein. Das kann jetzt keiner mehr behaupten“, meinte er.

Trotzdem braucht es jetzt natürlich einen Sieg gegen Uruguay, das auf seinen am linken Knie verletzten Kapitän Diego Lugano verzichten muss. Denn auch für das neue, mutige England gelten die alten tabellarischen Regeln. So warnt der „Guardian“ bereits, dass bei einer weiteren Pleite, wie ehrenhaft auch immer, bestimmt nicht wieder mit Applaus zu rechnen sei. Denn: „Eine würdige Niederlage ist immer noch eine Niederlage.“

Uruguay: 1 Muslera – 4 Jorge Fucile, 19 Coates, 3 Godín, 22 Cáceres – 17 Arévalo, 5 Gargano – 11 Stuani, 7 Cristian Rodríguez – 10 Forlán, 21 Cavani. England: 1 Hart – 2 Johnson, 5 Cahill, 6 Jagielka, 3 Baines – 4 Gerrard, 14 Henderson – 10 Rooney, 19 Sterling, 11 Welbeck – 9 Sturridge. Schiedsrichter: Proenca (Portugal).