Kevin-Prince Boateng und Jermaine Jones stehen beim Spiel zwischen den deutschen Gruppengegnern Ghana und USA im Blickpunkt

Natal. Was für ein Geschenk! Seine Frau Sarah sagte zu Jermaine Jones einen Tag vor dessen Geburtstag: „Du kriegst morgen einen besonderen Anruf. Das ist mein Präsent für dich.“ Morgens um drei Uhr klingelte das Telefon. In der Leitung eine Stimme, die sagte: „Hier ist dein Vater.“ Jones hatte den Mann nicht gesprochen, seit dieser die Familie verlassen hatte.

Der heutige Nationalspieler der USA war damals sechs Jahre alt gewesen. Das Telefonat dauerte vier Stunden. „Wir haben über alles gesprochen. Ich bin froh, meinen Vater zurückzuhaben. Ich hatte ihn vorher versucht zu finden, doch es war schwierig.“ Seine Liebste hatte es geschafft.

Jermaine Jones erzählt dies mit feuchten Augen, in einem Spot für den US-Fußballverband zur WM in Brasilien. „This is my story“ heißt der Film. Die Amerikaner sind stolz auf Jones, sie lieben solche Lebensgeschichten, von unten nach weit oben.

Der 32-Jährige ist im Frankfurter Problemstadtteil Bonames aufgewachsen. Im Hinterhof hat er Fußball spielen gelernt, die Tore waren Wäscheleinestangen. Er macht keinen Hehl daraus, dass die Straße ihn geprägt hat. Ein besonderer Fußballprofi. Es gibt inzwischen zu wenig solch polarisierende Typen in der Bundesliga. Die auch mal über das Ziel hinausschießen, aber ohne Angst ihre Meinung sagen. In den USA mögen sie Jones, sie nennen ihn dort „man of steel“.

Augenthaler hätte nicht gegen Jones spielen mögen


In Deutschland hingegen heißt es oft: Jones ist ein Rüpel. Nach Zweikämpfen mit ihm muss ein Gegenspieler schon einmal etwas länger auf dem Rasen liegen bleiben. Klaus Augenthaler, Weltmeister von 1990, sagte mal: „Ich war weiß Gott kein Kind von Traurigkeit. Aber gegen Jones hätte ich nicht spielen mögen.“

Als harten Hund bezeichnen viele auch Kevin-Prince Boateng. In Berlin-Wedding aufgewachsen. Also wie Jones in einer Gegend, in der man nicht gerade seinen Namen tanzt oder auf dem Schulhof über das Stummfilm-Festival vom Wochenende diskutiert. Hier geht es hart zu. Rap, Fußball, Tattoos, das war ihr Ding. Und ist es geblieben.

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In der Nacht zu Dienstag (0 Uhr/ARD) treffen die beiden aufeinander. Und die ganze Welt schaut zu. Ghana gegen die USA, das zweite Spiel in der deutschen Gruppe G. Die „Black Stars“ sind für die Amerikaner ein Angstgegner: Bei der WM 2006 in Deutschland verloren sie im letzten Gruppenspiel gegen Ghana 1:2 und verpassten das Achtelfinale. Bei dem Turnier vor vier Jahren in Südafrika unterlagen sie in der Runde der letzten 16 nach Verlängerung erneut 1:2. „Ghana hat viele Spieler, die dir richtig wehtun können, wenn du sie lässt“, sagt US-Nationaltrainer Jürgen Klinsmann. Er meint natürlich auch Boateng.

Jones soll im defensiven Mittelfeld mit seiner – diplomatisch ausgedrückt – robusten Spielweise genau das tun: Sie eben nicht lassen. „Dieses Spiel ist für uns bereits wie eine Partie in der K.-o.-Runde“, sagt Klinsmann.

Boateng und Jones haben eine Vergangenheit beim DFB


Das Besondere am Duell zwischen Jones und Boateng: Die beiden sind Kumpels, haben gemeinsam für den FC Schalke 04 gespielt und stehen auch nach Jones’ Wechsel zu Besiktas Istanbul via Telefon und WhatsApp in Kontakt. Es sind zwei, die sich in ihrer Karriere oft missverstanden, oft unverstanden gefühlt haben. Vielleicht mögen sie sich so, weil sie Parallelen in ihren Lebensläufen erkennen.

Beide haben sie schon für Deutschland gespielt, ehe es bei der WM nun gegen Deutschland geht. Jones für die U21 und das „Team 2006“, damals war er noch Stürmer. Boateng durchlief von der U15 bis zur U21 beinahe alle Jugendmannschaften. Nach dem Bruch mit dem Deutschen Fußball-Bund entschied er sich aber, für Ghana zu spielen, die Heimat seines Vaters.

Jones wurde von Bundestrainer Joachim Löw vor der Europameisterschaft 2008 aus dem Aufgebot gestrichen. Weil er nie in einem Pflichtspiel für die A-Mannschaft aufgelaufen war, konnte Jones sich für eine „zweite Karriere“ im Nationalteam der USA entscheiden.

Ab und zu müssen sich beide anhören, dass sie Nationen-Söldner seien. „Quatsch“, findet Jones. Er besitze ein Haus in Los Angeles, und vor allem sei sein Vater eben US-Amerikaner. Nach seiner Karriere in Europa will er noch ein wenig in den Staaten spielen und dann dort leben. Die Flagge des Landes hat er sich kürzlich tätowieren lassen.

Boateng will Jones einen Beinschuss verpassen


Das Image des Querulanten treffe auf ihn längst nicht mehr zu. Er hat mit Sarah fünf Kinder, er trage Verantwortung. Seinen Ferrari und Lamborghini habe er längst gegen einen Van und einen Geländewagen getauscht, auch seinen Hummer verkauft. Was die Leute Negatives über ihn sagen, ist ihm nicht mehr so wichtig. Auf seinem Arm steht: „Nur Gott kann mich richten“.

Auch Boateng hat sich gewandelt. Skandale wie zu seiner Zeit bei Hertha BSC gibt es nicht mehr. Der 27-Jährige verriet kürzlich, dass er jetzt William Shakespeare liest. Und sich mit seiner Frau über die Wohnungseinrichtung unterhält. Auch er ist inzwischen Vater. Er habe viel aus seinen Fehlern in seinen wilden Jahren gelernt und sei reifer geworden. Auf Schalke loben sie seine Führungsqualitäten, auch bei Ghana ist er einer der wichtigsten Spieler.

Auf dem Platz aber gehen beide weiter hart zur Sache und können dort besonders laut sein. „Wir wissen, dass es schwer wird. Ghana ist ein physisch starkes Team, die haben mit Kevin, Michael Essien und Kwadwo Asamoah richtig gute Spieler. Ich bin aber hundertprozentig überzeugt, dass wir gewinnen können“, sagt Jones.

Boateng hat angekündigt, seinem Kumpel in der Partie einen Beinschuss zu verpassen. Jones kontert spaßig: „Dann wirst du danach nicht mehr laufen können, mein Freund.“ Im letzten Gruppenspiel der USA gegen Deutschland am Donnerstag kommender Woche will Jones übrigens nicht jubeln, falls er treffen sollte. Er habe Deutschland zu viel zu verdanken, erklärt er. Umso mehr aber dürfte er einen Treffer gegen die Mannschaft seines Kumpels Boateng feiern.

Die voraussichtliche Aufstellung

Ghana: 12 Kwarasey – 4 Opare, 19 Mensah, 15 Sumaila, 2 Inkoom – 5 Essien, 11 Muntari – 10 A. Ayew, 9 Boateng, 20 Asamoah – 3 Gyan

USA: 1 Howard – 23 Johnson, 5 Besler, 20 Cameron, 7 Beasley – 13 Jones, 15 Beckerman, 11 Bedoya, 4 Bradley – 8 Dempsey, 17 Altidore

Schiedsrichter: Eriksson (Schweden)