Ehrenspielführer Uwe Seeler über die „falsche Neun“ und seine ersten Eindrücke von der WM

St. Peter-Ording . Im roten Pullover sitzt Uwe Seeler am Küchentisch. Eine kleine Deutschland-Fahne im hölzernen Ständer symbolisiert die Heimatverbundenheit. Der 77-Jährige ist im Gesundheitsurlaub in St. Peter-Ording in Schleswig-Holstein. Nun ist er doch zufrieden mit der Roten Karte seines Arztes, der dem 77-Jährigen die WM-Teilnahme vor Ort verbot. Keine 30 Grad Hitze oder 90 Prozent Luftfeuchtigkeit, stattdessen Deichschafe und eine frische Brise Nordseewind.

Seeler glaubt, dass sich die DFB-Fans auf das erste Gruppenspiel gegen Portugal freuen können, weil die Nationalelf über die bessere Mannschaft verfüge. „Unsere Spieler haben mehr internationale Erfahrung. Fußballer wie Lahm, Schweinsteiger, Mertesacker, Podolski und Klose wissen genau: Das ist unsere letzte Chance auf einen WM-Titel, was Motivation genug ist. Gleiches gilt für Joachim Jöw.“

Statt auf echte Mittelstürmer wie früher Seeler, Horst Hrubesch oder Klaus Fischer vertraut der Bundestrainer allerdings eher der Künstlergarde Özil, Götze und Müller. Wenig überraschend, dass sich Seeler nur schwer damit anfreunden kann: „Löw muss wissen, was er tut. Für die Zukunft des Fußballs aber gilt: Ein richtiger Stoßstürmer gehört in jede Mannschaft. Einer, der im Strafraum nur eine Richtung kennt: den Weg zum Tor. Man braucht einen im Angriff, der Löcher reißt und Laufwege frei macht.“

In Rage redet sich Seeler beim Thema Schiedsrichter: „Torlinienbeweis und Freistoßspray können nicht darüber hinwegtäuschen, wie untauglich sie in den ersten Spielen waren. Amateure! Zu Hause pfeifen sie vor 5000 Zuschauern – hier vor 50.000. Eine unmögliche Einteilung durch die Fifa. Ich verstehe diesen Laden nicht.“

Genauso scharf geht der frühere Torjäger mit dem Verband ins Gericht: „Dieses ständige Theater macht den Fußball kaputt. Man kann es doch nicht mehr hören. Korruption, Machtkämpfe, Blatter, Platini. Die Sperre von Franz Beckenbauer ist eine Farce. Die Fifa schafft es noch, das Image des Fußballs total zu ruinieren. Überhaupt erschüttert mich, wie dieser Sport zur Industrie verkommen ist. Es geht nur noch um Geld, Geld und Geld.“ Was ihm aber besonders am Herzen liegt: „Ich bete für eine friedliche WM . Unsere Welt ist ohne Fußball schon brutal genug.“