Wayne Rooney hat seine Heilsbringer-Rolle verloren, spielen darf der Engländer im Klassiker gegen Italien dennoch

Rio de Janeiro. Wayne Rooney lächelte. Wayne Rooney erzählte von hilfreichen Gesprächen mit einem Sportpsychiater, Wayne Rooney gab Fehler zu. Wayne Rooney ging sehr clever einer Kontroverse aus dem Weg. Wayne Rooney versprach, sich selber in Brasilien nicht zu sehr unter Druck zu setzen (Das sei früher der Fehler gewesen, hatte der Sportpsychiater ihm gesagt). Und Wayne Rooney hatte einen cleveren, hilfreichen Rat für junge, englische Nationalspieler: „Enjoy it.“

Von diesem interessanten, gut gelaunten Interviewpartner, wie ihn die englischen Zeitungen noch am gleichen Abend in ihren Online-Ausgaben beschrieben, hatten die etwa 150 internationalen Reporter im Auditorium der Escola Superior de Guerra (Hochschule für Kriegsstudien) in der Militärakademie von Urca nichts mitbekommen. Der 28-Jährige saß dort mit den Armen unter dem Tisch und durchgedrücktem Kreuz vorgebeugt zum Mikrofon; gerade und schief zugleich, wie der Blechmann aus „Der Zauberer von Oz“. Angestrengt lauschte er den mitunter rätselhaften Fragen der brasilianischen Medienvertreter (warum dieses lange Unterhemd unter dem Trikot, warum diese komische Aufwärmübungen mit Ball), angestrengt presste er ein paar dürre Antworten („Mache ich immer so”, „Verstehe die Frage nicht”) hervor.

Zehn Jahre, nachdem er als „weißer Péle” (The Sun) bei der Europameisterschaft in Portugal zum jugendlichen Weltstar aufstieg und sein Land beinahe zum ersten Titel seit 1966 schoss - eine Verletzung im Viertelfinale gegen die Gastgeber beendete den Traum - fällt „Wazza” der Umgang mit den Medien zwar etwas leichter. Aber nur in der kleinen Runde mit vertrauten, englischen Gesichtern. In einem Nebenzimmer der Hochschule öffnete er sich den Kollegen und gab Einblick in seine leicht verletzte, aber doch robuste Stürmerseele.

Rooney spielt in der Nacht zum Sonntag in Manaus gegen Italien (24 Uhr MESZ, ARD live) auf seiner Lieblingsposition, der Zehn – „im Loch”, wie man das auf der Insel gerne sagt, hinter der Spitze Daniel Sturridge (Liverpool). Roy Hodgson wird sein Gegenüber Cesare Prandelli mit dieser Personalie keineswegs überraschen. Rooney erzielte sieben Tore in der WM-Qualifikation, mit 19 Treffern für Manchester United war er einer der wenigen Profis in Normalform in einer miserablen Saison des Vereins (Platz sieben in der Liga). „Er ist ein Mann, der die anderen Teams ins Grübeln bringt”, sagte kürzlich Assistenztrainer Gary Neville, „deswegen steht er immer auf dem Spielberichtsbogen.“

Hodgson hatte zuletzt jedoch auch ein bisschen gegrübelt. Als Rooney zwei persönliche Fitnesstrainer in den Kurzurlaub vor der WM-Vorbereitung mitnahm, brach im Vereinigten Königreich eine lange aufgestaute Debatte vom Zaun. Rooneys Rolle als unantastbarer Heilsbringer - in der englischen Populärkultur werden ständig Retter gesucht, egal ob es sich um Popmusik, Fernsehunterhaltung oder Fußball handelt – stand plötzlich öffentlich zur Disposition. „Ich bin gespannt, ob der Trainerstab die Eier hat, Rooney draußen zu lassen, wenn er nicht fit ist oder nicht gut spielt”, sagte Rooneys ehemaliger Teamkollege Paul Scholes, „ich habe das Gefühl, dass er seinen Zenit schon überschritten hat.”

Die Gazetten sprangen auf den Zug auf und erinnerten sich, dass Rooney in den zwei vorherigen Weltmeisterschaften kein einziges Tor gelungen und die Nibelungentreue der Trainer Sven-Göran Eriksson und Fabio Capello zu dem Heißsporn einer der Hauptgründe für die Enttäuschungen gewesen war. Rooney war nach unglücklichen Verletzungen beide Male nicht komplett einsatzfähig ins Turnier gegangen, doch in England hat sich allmählich die Meinung durchgesetzt, dass das wohl nicht nur Pech war. Gerüchte um eine unseriöse Lebensführung befeuerte Alex Ferguson im Herbst in seiner Autobiografie. „Wayne muss aufpassen, dass seine Qualitäten nicht von mangelnder Fitness verschluckt werden”, schrieb der ehemalige Man-Utd-Coach. Sogar der echte Pelé fand vergangene Woche kritische Worte. „Natürlich muss Rooney raus, wenn er nicht Bestleistung für England bringt”, sagte der 73-Jährige.

Neville bezeichnete die Zweifel an Rooney als „Hexenjagd”, aber sein Vorgesetzter betonte zuletzt auffällig oft die Klasse der jüngeren Spieler wie Raheem Sterling (Liverpool), Danny Welbeck (Man Utd) und Adam Lallana (Southampton). Und falls nötig, sei er sowohl in der Lage, „die nötigen Entscheidungen” zu treffen, antwortete Hodgson auf Scholes Vorwurf der mangelnden Courage.

Vielleicht war das aber auch nur eine Kriegslist; ein Motivationsversuch. „Mir macht es nichts aus, wenn man mich anschreit”, sagte Rooney vor der Reise in den Urwald, „wenn ich nicht gut spiele, reagiere ich gut (auf die Kritik)”. Auf ein Wortduell mit Scholes wollte er sich nicht einlassen, aber „seltsam” fand er die Einlassung des Ex-Kollegen schon. Dr. Steve Peters, der Sportpsychologe, habe ihn angehalten, die eigenen Erwartungen nicht zu überziehen, sagte er, außerdem sei er „fest entschlossen, das Turnier zu genießen.” Besonders die jungen Spieler sollten Spaß haben, so sein Rat. So wie er, damals vor zehn Jahren, als Teenager, bei seinem ersten und bisher einzigen erfreulichen Turnier.

Selbst die widrigen Platzbedingungen in der Arena da Amazônia konnten die Engländer nicht aus der Ruhe bringen. Der Rasen ist laut Augenzeugenberichten in einem miserablen Zustand, viele hell-braune, notdürftig mit Sand zugeschüttete Furchen ziehen sich durch das Grün. „Arbeiter deckt fürchterliche Oberfläche ab...mit grüner FARBE!“, ereiferte sich der „Mirror“ über die Versuche, den Rasen matchtauglich zu bekommen. „Wir haben zu viel Dünger verwendet”, gab der Platzwart zu. Exakt dieses Problem kennt die englische Nationalmannschaft in großen Turnieren ja nur allzu gut – im übertragenen Sinne. Doch gerade aus jenen nicht selten zum Himmel stinkenden Vorführungen vergangener Wettbewerbe ist ein zartes Pflänzchen der Hoffnung erwachsen. Ohne Erfolgsdruck und mit der Unbekümmertheit von jungen Spielern wie Raheem Sterling (19, Liverpool) will England sich in Brasilien selbst überraschen.

„Es bringt nichts, über Minimalziele zu reden, man kann als Sportler nur versuchen, das Maximum zu erreichen”, sagte Torhüter Joe Hart (Manchester City) entspannt. Nicht einmal das blaue, bärtige Ungeheuer, das Hart und Co. vor zwei Jahren in Kiew (EM-Halbfinale) so fürchterlich tyrannisierte, vermag die Briten noch zu erschrecken. „Die Italiener sollen sich lieber Sorgen um unsere fantastischen Spieler machen”, sagte Wayne Rooney, als ihn jemand nach Sonderbewachungsplänen für den italienischen Spielmacher Andrea Pirlo fragte.

England: 1 Hart – 2 Johnson, 5 Cahill, 6 Jagielka, 3 Baines – 4 Gerrard, 14 Henderson – 20 Lallana, 10 Rooney, 11 Welbeck – 9 Sturridge.Italien: 1 Buffon – 7 Abate, 15 Barzagli, 3 Chiellini, 4 Darmian – 16 De Rossi – 8 Marchisio, 23 Verratti, 21 Pirlo, 6 Candreva – 9 Balotelli.Zweites Spiel, Gruppe D (14. Juni, 21 Uhr)Uruguay: 1 Muslera – 22 Caceres, 3 Godin, 2 Lugano, 16 Maximiliano Pereira – 17 Arevalo Rios, 15 Perez – 11 Stuani, 7 Rodriguez – 21 Cavani, 10 ForlánCosta Rica: 1 Navas – 16 Gamboa, 3 González, 4 Umaña, 19 Miller, 15 Díaz – 7 Bolaños, 17 Tejeda, 5 Borges – 10 Ruíz – 9 Campbell.