Im Auftaktspiel führt der Star den Gastgeber zu einem 3:1-Sieg gegen Kroatien. Eröffnung des Turniers mit viel Tanz und Musik

São Paulo. Ein Elfmetergeschenk und die Nervenstärke von Doppel-Torschütze Neymar haben Brasilien die Eröffnungsparty bei der Fußball-WM gerettet. Der 22 Jahre alte Angreifer präsentierte sich beim 3:1 (1:1) gegen widerspenstige Kroaten als Retter in höchster Not und ebnete den Gastgebern in São Paulo den Weg zum sechsten, vom ganzen Land erwarteten WM-Titel – und das nach einem frühen Rückstand.

Der Sieg hatte allerdings einen faden Beigeschmack. Der Elfmeter, den Neymar in der 71. Minute zum enthusiastisch umjubelten 2:1 nutze, war mindestens fragwürdig – der Kroate Dejan Lovren hatte den theatralisch stürzenden Fred nur leicht an der Schulter berührt. Torhüter Stipe Pletikosa hätte den Ball sogar fast noch abgewehrt. Egal: Neymar warf sich trotzdem in Triumphpose. Der überragende Oscar erzielte in der Nachspielzeit (90.+1) dann den Endstand.

Zuvor hatte der 22 Jahre alte Offensivkünstler Neymar in seinem bereits 50. Länderspiel schon den Ausgleich erzielt (29.), nachdem der fünfmalige Weltmeister durch ein Eigentor von Marcelo in Rückstand geraten war. Der Sieg war aufgrund der größeren Spielanteile allerdings auch verdient.

Nach der 25-minütigen Eröffnungsfeier kamen zum ersten Spiel der WM genau jene elf brasilianischen Spieler auf den Platz, die im Vorjahr das Finale des Confed Cups gegen Weltmeister Spanien gewonnen hatten (3:0). Sie legten dem jeweiligen Vordermann die Hand auf die rechte Schulter, ein Symbol für den Zusammenhalt. Und den hatte die Selecao dann auch bald bitter nötig.

Elf Minuten waren gespielt, da passte der wie aufgedrehte Ivica Olic von der linken Seite in die Mitte, Nikica Jelavic lenkte den Ball leicht ab – und Marcelo, der gerade mit Real Madrid Champions-League-Sieger geworden war, verlängerte ihn mit der rechten Fußspitze ins eigene Netz. Der Unglücksrabe blickte drein, als kämen ihm die Tränen. Die Zuschauer schrien aus Trotz noch lauter als vorher. Es war das zweite Eigentor in einem WM-Eröffnungsspiel. Wie von Trainer Niko Kovac versprochen, hielt Kroatien dagegen, versteckte sich nicht, geriet aber immer mehr unter Druck.

Wie in einem schönen Märchen war es dann Neymar, der den Ausgleich erzielte. Zunächst war der erst 22 Jahre alte Superstar kaum zu sehen in seinem immerhin schon 50. Länderspiel. Nach dem Rückstand wurde er besser, und in der 28. Minute nahm er sich den Ball und zog aus 18 Metern flach mit links ab – Innenpfosten, Tor (29.).

Die Kroaten waren gehandicapt in die WM gegangen: Mario Mandzukic fehlte im Eröffnungsspiel wegen einer Rotsperre. Und Josip Simunic muss noch weitere neun Spiele pausieren wegen seiner Rassismus-Affäre. Doch auch ohne den Abwehrchef stand der WM-Dritte von 1998 gut, konnte trotz der großen Überlegenheit der Brasilianer immer wieder für Entlastung sorgen.

Brasilien rannte, Brasilien gab alles – doch die Kroaten ließen sich kaum aus der Ruhe bringen. So bedurfte es der umstrittenen Mithilfe von Schiedsrichter Yuichi Nishimura, der Fred die peinliche Sturzeinlage glatt abkaufte und Lovren sogar Gelb zeigte. Neymar, ansonsten ein wenig im Schatten des hervorragenden Oscar, durfte für den ersten großen Glücksmoment der Brasilianer sorgen. In der 88. Minute wurde er ausgewechselt, und die Fans feierten ihn mit Standing Ovations.

Vor dem ersten Anpiff hatten die 68.000 Zuschauer in der Arena Corinthians de São Paulo, unter ihnen Uno-Generalsekretär Ban Ki-moon, eine eher kurze, aber bunte Eröffnungsfeier erlebt, die gänzlich ohne längere Reden auskam – Fifa-Präsident Joseph Blatter (siehe Text unten auf dieser Seite) hatte offenbar damit gerechnet, von dem Publikum lautstark ausgepfiffen zu werden. Auch am sonst üblichen Feuerwerk wurde weitgehend gespart, schließlich wäre es bei Sonnenschein ohne größere optische Wirkung geblieben. Bei 22 Grad Celsius genossen die Zuschauer brasilianische Tanzkunst und etwas Folklore, mehr als 600 Tänzerinnen und Tänzer präsentierten mit viel südamerikanischen Glamour die drei „Schätze“ Brasiliens: Natur, Menschen – und natürlich Fußball.

Höhepunkt war ein Auftritt der US-amerikanischen Sängerin Jennifer Lopez, die im grünen Glitzerkleidchen zusammen mit den Künstlern Pitbull und Claudia Leitte auf die Bühne trat und, begleitet von der Karnevalsband Olodum, den offiziellen WM-Song „We are one“ vortrug. „J.Lo“ hatte ihr Erscheinen in der vergangenen Woche zunächst wieder abgesagt, ließ sich dann aber umstimmen.

Rund 430 Kilometer nordöstlich an Rios Copacabana herrschte den ganzen Tag über WM-Feststimmung. Tausende Fans aus allen Teilnehmerländern zogen in Nationaltrikots und Landesfahnen über die Strandpromenade. Restaurants, Kneipen und Straßen wurden mit Fahnen und Girlanden in den brasilianischen Nationalfarben Gelb und Grün geschmückt. Doch nicht überall gab es diese Zuversicht und Freude am Zuckerhut. Neben den sportlichen Schlagzeilen sorgte am Donnerstag der Streik des Flughafenbodenpersonals in Rio für Nebengeräusche. Auch die Mitarbeiter der Flughäfen Santos Dumont und Jacarepaguá wurden zu Arbeitsniederlegungen aufgerufen.

In der Eröffnungsstadt São Paulo kam es wenige Stunden vor Anpfiff des Auftaktspiels sogar kurzzeitig zu Tumulten zwischen WM-Gegnern und der Polizei. Die Sicherheitskräfte setzten Tränengas ein, um die Gruppe der Demonstranten aufzulösen. Ein Mann wurde von den Polizisten überwältigt und abgeführt, wie auf Livebildern des TV-Senders Globo zu sehen war. Auch aus den WM-Spielorten Belo Horizonte und Porto Alegre wurden gewaltsame Proteste und Tumulte gemeldet.

Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff machte deutlich, dass die Sicherheitskräfte keine Toleranz im Falle von Krawallen zeigen werden. Es werde nicht die „geringste Rücksichtnahme“ gegenüber Randalierern geben. Die Regierung werde auch „die Sicherheit aller Touristen garantieren“, sagte sie.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wird am Wochenende nach Brasilien reisen und am Montag das deutsche Auftaktspiel gegen Portugal von der Tribüne aus ansehen.

Tore: 0:1 Marcelo (11., Eigentor), 1:1 Neymar (29.), 2:1 Neymar (71., Foulelfmeter), 3:1 Oscar (90.+1). Schiedsrichter: Nishimura (Japan). Zuschauer: 62.103 (ausverkauft). Gelbe Karten: Neymar, Luiz Gustavo – Corluka, Lovren